Jeder kennt den Impuls: Muss ich mir diese neue Band wirklich anhören? Die Frage ist, wie fortgeschrittenes Alter mit einem Desinteresse an Pop korreliert.
Früher haben wir uns alle Bands angehört, die ein dreitägiges Popfestival unserer Wahl bevölkerten. Heute, mit Anfang 30, suchen wir uns vier oder fünf Konzerte heraus, für die wir bereit sind, stundenlang in Regen oder Hitze zu stehen. Das restliche Programm: „Kenn ich nicht, brauch ich nicht. Hab ja meine Favoriten.“ Der jüngere Teil des Publikums schaut sich auch die anderen Auftritte an und nimmt dafür stundenlanges Warten in Kauf.
Ist die Hingabe zum Pop eine Generationenfrage? Verliert sich die Begeisterung mit fortschreitendem Alter?
Mit diesem interessanten Thema beschäftigt sich gerade der amerikanische A.V. Club auf seiner Website. Das Popkulturmedium lässt seine Autoren Steven Hyden (33) und Noel Murray (40) im großen Rahmen darüber diskutieren, ob früher alles besser war und warum so viele, die einst mit großem Vergnügen in die Popkultur eintauchten, sie schon ein paar Jahre später nicht mehr verstehen.
Der jüngere der beiden Autoren zeigt zunächst Verständnis für ältere Hörer: „Um heute die interessantesten Künstler zu finden, muss man bereit sein, unbekannte Gewässer zu durchwaten. Das kann schwierig sein für ältere Hörer, die sich an Musik mit fest etablierten Parametern gewöhnt haben.“ Aber er kritisiert die Früher-War-Alles-Besser-Haltung. Heutiger Indierock würde nicht rocken? Das liege ganz einfach daran, dass sich der Rezipient verändert habe. Es könne keine Band geben, die beim Hörer dieselben Gefühle auslöst, die er hatte, als er 15 war.
Noel Murray, obwohl nur sieben Jahre älter als Hyden, vertritt die Position des arrivierten Musikliebhabers. Er ertappt sich oft beim Gedanken: Es ist verschenkte Zeit, sich durch die ganzen Neuerscheinungen zu graben. „Ich verstehe nicht, was die meisten Hype-Bands Neues an sich haben, um ihre begrenzten Fähigkeiten als Songwriter oder Musiker zu kompensieren“, schreibt er.
Sein Gegenspieler erwidert: „Zu sagen, die Musik sei nicht mehr so gut wie früher, ist wie zu behaupten, das Essen sei nicht mehr so gut wie früher. Vielleicht musst Du nur Deine Ernährungsweise überdenken.“ Um sein Argument zu untermauern, es sei wichtig, mit der Zeit zu gehen und sich neuer Musik auszusetzen, zieht er eine Parallele zur Kinofilmrezeption. Da sei es selbstverständlich, dass man auf dem neusten Stand bleiben möchte und sich die aktuellen Filme ansieht, um am Diskurs teilnehmen zu können, schreibt Steven Hyden. Man begnüge sich ja auch nicht damit, immer wieder Pulp Fiction zu schauen, analog dazu, wie sich ältere Musikfans an ihre alten Helden klammern.
Freilich muss man festhalten, dass sich dort zwei Musikkritiker unterhalten. Sie haben also per se einen anderen Zugang zum Thema als der Durchschnittshörer, „der nur ein bisschen nette Unterhaltung auf der Autofahrt vom Büro nach Hause sucht“. Dennoch: Auch dieser Aspekt ist diskussionswürdig: Dürfen junge Popkritiker den Ballast der Geschichte abstreifen und sich ohne historischen Referenzrahmen ihrem Thema widmen? Ist der Vergleich aktueller Musik mit schon dagewesener sinnvoll oder müßig?
Fragen, über die zu streiten sich lohnt! Viel Vergnügen.