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Wird beim x-ten Hören immer besser

 

Das Klischee, aus Finnland käme nur düstere Musik, hat ausgedient. Die Band Rubik schafft den perfekten Pop und macht unseren Autor Jan Freitag glücklich.

© Pipsa Palttala

Perfektion ist ein Mythos und Pop undefinierbar. Wie kann es da den perfekten Popsong geben? Gäbe es ihn, es wäre ein Titel ohne Pokal, den selbst Wettbewerber nicht unbedingt erringen möchten und falls doch, eine schier unlösbare Aufgabe vor sich hätten. Denn der perfekte Popsong bräuchte alles und nichts: Demut und Größenwahn, Pathos und Leichtsinn, Tempowechsel und Konstanz, Sublimes und Oberfläche, Anmut und Grandezza.

Exakt 2’42 Minuten sei er lang, hat der Musikblogger Joshua Allen errechnet. Auch beim tausendsten Hören dürfe er sich nicht abnutzen, forderte der New Musical Express als Kriterium. Lenas Satellite war zuletzt in der Ausschreibung, doch von den Beatles über The Smiths bis Coldplay werden doch eher britische Bands favorisiert. Und mit Wonderwall, behaupten nicht wenige, seien Oasis der Perfektion sehr, sehr nah gekommen. Dass eine finnische Band mit dem mathematischen Namen Rubik den englischen Rockbrüdern nun Konkurrenz um den perfekten Popsong macht, ist da umso erstaunlicher.

Ihr zweites Album Solar bietet eine ganze Reihe von Songs mit nahezu makellosen Popstrukturen. Storm In A Glass Of Water etwa ist schon beim ersten, mehr noch beim dritten, unzweifelhaft dann beim x-ten Hören so stimmig und dabei stets im Fluss, dass man es bis zum St. Nimmerleinstag auf Auto-Replay stellen möchte. Das Paradestück der Platte beginnt mit einem gezupften Riff, das hinüberleitet zum falsettartigen Gesang Artturi Tairas, der sodann im Gleitflug zwischen tonaler Leere und Volllast über ein Meer aus Achtzigerorgeln, Neunzigergeigen, Gegenwartssamples schwebt. Dabei erzählt er von der Liebe und ihrem Sehnen und weckt im Hörer den Wunsch nach mehr solcher Popsongs.

Zu viel? Zu dick aufgetragen? Zu schwärmerisch? Gewiss! Pop eben. Einer der natürlich nicht jedermanns Sache ist, dafür ist er zu zart, zu vertrackt bisweilen. Aber eben Pop, der zu sich steht, unverbrüchlich. Der mischt und mischt und doch nie verwirrt mit all den Stilen, die sich auch im unvergleichlichen Crisis Meeting At The Lyceum zunächst unlösbar zu verknoten scheinen, wenn Fanfaren im Eilzugtempo durch klirrende Gitarrenläufe zu einem Gesang führen, der fröhlicher klingt als die biblischen Plagen, von denen er handelt. Aus der stilistischen Vielfalt webt sich ins wunderbare Solar Death March plötzlich ein Flamenco – ständig neue Überraschungen.

Dem Quartett – das sich zur Erlangung dieser Klangdichte personell bisweilen verdreifacht – gelingt die Umstrukturierung des Chaos. Was oft den Keim völliger Überfrachtung in sich trägt, entfaltet im Innern eine enorme Präzision, die virtuose Vivisektion des Poporganimus. Schon das Auftaktstück World Around Us will sich offenbar selbst überholen mit breakbeatartigen Drums und Tairas Countertenor, als würde man Talking Heads, Scissor Sisters, die Yeasayer erst übereinanderstapeln auch noch hochpitchen.
Alles an Rubiks zweitem Album ist so viril, dass man an ihrer Herkunft zu zweifeln beginnt, jenem Land, das so gern Metal und Melancholie hervorbringt. Das Klischee hat ausgedient. Rubik machen glücklich.

„Solar“ von Rubik ist erschienen bei Fullsteam Records.