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Opium für die Bionade-Boheme

 

Das zweite Album von Florence and The Machine ist wie gemacht für Großstadtmenschen, die Enya mögen, obwohl sie Enya-Hörer verachten. „Ceremonials“ lässt die hippen Townhouses vibrieren.

© Tom Beard

Man muss ja nicht gleich so weit gehen wie Alex Niven. Der Kolumnist des Guardian schrieb unlängst, Florence and The Machine seien schuld am Untergang des Abendlandes. Okay, ganz genau so hat er es nicht formuliert. Aber Florence Welch, ihr neues Album Ceremonials und ihre „Bloomsbury-meets-Björk-Ästhetik“ seien, schreibt Turner, allesamt Symptome dafür, dass „die eigentlich reformfreudige, liberale britische Mittelklasse sich von Gegenkultur und wahrer Radikalität verabschiedet hat zugunsten einer so unseligen wie dauerhaften Obsession mit eskapistischen Lifestyle-Fantasien“.

Uff. Übertragen auf deutsche Verhältnisse könnte man wohl sagen: Florence and The Machine spielen den Soundtrack für die endgültige Verfettung von Joschka Fischer. Sie vertonen das Verkommen der grünen Utopie zum privaten Träumchen der Bionade-Boheme. Und sie verwechseln Musikmachen mit dem Massieren saturierter Seelen.

Tatsächlich dürfte Ceremonials mit einiger Sicherheit bei den selbstorganisierten Baugruppen in den neuen In-Bezirken unserer Großstädte bereits im CD-Player der Bose-HiFi-Anlage rotieren. Florence and the Machine sorgen für Erleichterung nach einem stressigen Zehn-Stunden-Tag in der Kreativwirtschaft. Sie entspannen die zweifache Mutter im dritten Jahr ihrer Elternzeit, die eigentlich nur acht Monate dauern sollte, weshalb sich die Mutter nun mit Yoga- und Pekip-Kursen davon ablenkt, dass ihre berufliche Laufbahn zu versanden droht. Und sie sorgen zudem noch für einen gewissen Distinktionsrestgewinn und das gute Gewissen, sich nicht einfach mit billigem Massenpop zu betäuben. Oder noch mal anders gesagt: Florence and the Machine sind Enya für Menschen, die Menschen, die Enya hören, noch vor ein paar Jahren die Freundschaft gekündigt hätten.

Dafür, das muss allerdings auch mal gesagt sein, kann Florence Welch allerdings kaum etwas bis gar nichts. Die 25-Jährige aus London hat nur das getan, was man von ihr erwarten durfte: einen adäquaten Nachfolger ihres Debüts Lungs abgeliefert. Zwei Jahre später klingt die Maschine, wie von Welch vorher versprochen, tatsächlich „dunkler, schwerer, mit dickeren Drums, größerem Bass“, aber hat sich ihren grundsätzlichen Charakter bewahrt.

Das bedeutet vor allem: Popmusik, die einerseits die Überreste des einstmals so trendigen Weird- oder Neo-Folk fleddert, andererseits aber esoterische Walle-Walle-Gesänge adaptiert, in denen Frau Welch möglichst kryptische Zeilen vorträgt, die alles und nichts bedeuten können. Die Folge ist Musik, die zum Spülmaschinenausräumen ebenso taugt wie zum Meditieren. Der Produzent Paul Epworth, der schon für Adele, Kate Nash und Maximo Park einen üppigen Radio-Sound designte, hat zudem gesorgt, dass sich der niedliche Folkrock von Lungs auf Ceremonials immer wieder zum pompösen Pathospop aufplustert. Das klingt so prächtig, damit kann man den frisch gegossenen Betonboden des Townhouses zum wohligen Zittern bringen.

Im Prenzlauer Berg, dem Berliner Bezirk, der mittlerweile komplett von Mama Macchiato und Ciapapa übernommen worden ist, gibt es Kinder, die jeden Tag mehr als 20 Kilometer aus der Innenstadt in einen Waldkindergarten gefahren werden. Der Spagat zwischen urbaner Bourgeoisie und kleingeistigem Wertkonservatismus wird mittlerweile ohne Rücksicht auf Verluste gelebt. Die Aufgabe von Florence and the Machine ist es, die Widersprüche von einst mit klebriger Popmusik zuzudecken.

„Ceremonials“ von Florence and The Machine ist erschienen bei Island/ Universal.