Mit dunkler Romantik überflügeln Florence & The Machine die angesagten britischen Popmädchen. Aus ihrem Zauberwald hallen Folk und Blues, Trommeln und Harfen.
Und das Orakel sprach: Hütet Euch vor dem Fluch, der sich auf Liebende senkt hernieder. Was sanft und süß beginnt, verwandelt sie in Krieger!
Nicht der griechischen Mythologie sind diese Zeilen entnommen. Nein, das Orakel ist ganz gegenwärtig. Es trägt den Namen Florence Welch, zählt 23 Jahre und lebt in England.
Von Dunkelheit und Zwielicht, Blitz und Donner, Feigheit und Heldenmut erzählen die Gleichnisse der Seherin. Mit der Schärfe eines Seziermessers zerteilt ihre Stimme die Anatomie der Liebe: Hingabe, Eifersucht, Gewalt, Tod. Florence Welch fantasiert in wechselnder Gestalt. Mal ist sie furchtlose Amazone, mal liebestrunkene Traumwandlerin. Mal Penthesilea, mal Käthchen. Wie Kleist schrieb: Küsse, Bisse, das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt, kann schon das Eine für das Andre greifen.
Dazu erklingt sanfte Musik, fast scheinheilig, als wollten die Klänge über die Finsternis der Parabeln hinwegtäuschen. Ja, das sei ihre Absicht, sagt sie. Aber jetzt schnell raus aus dem Märchenwald! Hinein in die Popwelt. Hier richten sich die Augen nicht auf den Abgrund, sondern auf die flirrende Luft darüber. Und Florence mit ihrer Band The Machine ist im Aufwind. Englische Musikkritiker haben sie zum interessantesten Emporkömmling des Jahres gewählt und ihr eine große Zukunft prophezeit. Ihre Singles und ihr erstes Album Lungs verkaufen sich prächtig. Wohl auch, weil weiblich, britisch, jung gerade angesagt ist. Man denke an La Roux oder Little Boots.
Mehr als Demografisches hat Florence Welch mit den Mitstreiterinnen allerdings kaum gemein. Während jene sich darin üben, Achtzigerjahreklischees aufzufrischen, hat sie einen eigenen eklektischen Stil gefunden. Durch ihren Zauberwald hallen Folk, Blues, Indiepop und Elektronika. Zwar dringt auch hier bisweilen das Echo der Achtziger ans Licht, aber sie bricht die Synthethik mit organischen Klängen. Streichersätze, Chöre, Trommelsalven und Harfentöne begleiten ihren durchdringenden Gesang. Freilich: Ihre Texte wollen dramatisch vorgetragen werden. Doch versteht es Florence Welch, die dunklen Worte mit leichten Melodien zu verschleiern.
Umso deutlicher hören wir die Großen des Pop hindurchschimmern: Wenn sie in Girl With One Eye davon singt, wie sie vor lauter Schmerz einer Widersacherin (oder einer Geliebten, man weiß es nicht genau) ein Auge ausstechen und das Herz entreißen will, schwingt der morbide Blues von Nick Cave mit. Wenn die Bestie in ihrer Brust aufheult (Howl) und das Blut des Liebsten vergießen will, läuft sie Kate Bush in die Arme. New Romantic, Gothic und der süßliche Schauer der Twilight-Trilogie liegen nicht fern.
Diese Ambivalenz zwischen gefälliger Oberfläche und Tiefgründigkeit macht Lungs zu einer wirklich guten Pop-Platte. Das britische Orakel hatte recht: Florence & The Machine sind eine musikalische Bereicherung in diesem Jahr.
„Lungs“ von Florence & The Machine ist als CD, Deluxe CD, LP und Download bei Universal erschienen.
Florence & The Machine im Konzert: 5. 10. Hamburg, 6. 10. Köln, 12. 10. Berlin, 14. 10. Wien, 15. 10. München, 17. 10. Zürich
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