„Wolfgang Amadeus Phoenix“ zeigt, wie perfekter Pop geht. Das neue Album der Band Phoenix aus Versailles passt in jede Jahreszeit – und ganz besonders zum kommenden Sommer.
Als das neue Album der französischen Band Phoenix vor zehn Wochen den Weg ins Internet fand, durchwärmten gerade die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings Mitteleuropa. Die neuen Lieder seien wundervoll und passten hervorragend zum emsigen Sprießen und zum grellen Leuchten dieser Tage, befand eine Neugierige in einem Internetforum. Sie fragte sich, weshalb die Platte erst Ende Mai veröffentlicht würde. Es sei schließlich eine Frühlingsplatte.
Nun ist Wolfgang Amadeus Phoenix auch im Laden erhältlich, und das erste Durchhören bestätigt das frühe Urteil: Emsige Elektronik und grelle Gitarren kitzeln in den Ohren, luftig wie Gräserpollen tanzen die Melodien durch den Raum. „Federnd“ möchte man den Klang nennen, Phoenix den „perfekten Pop“ attestieren. Natürlich, beides ist auch an anderer Stelle zu lesen, beides ist so präzise wie ungenau.
Denn: Die Perfektion des Klangs haben Phoenix erreicht, nicht erst jetzt. Schon vor Jahren nahmen sie in einem lustigen schallfreien Raum auf, umgeben von Schaumstoffspitzen, damit auch ja kein Widerhall entstehe. Auch das neue Album, es ist ihr viertes, ist makellos gemischt. Nicht der kleinste Spalt findet sich in dieser Mauer aus Popgeräusch. Der Band mag das ein gewisser Distinktionsgewinn sein, doch, nein, den Reiz des Albums macht diese Perfektion nicht aus. (Überhaupt macht Perfektion ja selten den Reiz guter Musik aus, und auch das ausgefeiltest aufgenommene Lied kann zu Tode langweilen.)
Der Reiz liegt vielmehr darin, dass es Phoenix gelingt, derart verdichtetes Klangwerk überhaupt in Schwung zu versetzen. Aseptisch aufgenommen, organisch anzuhören. Die Mauer zittert, bebt – sie lebt. Die jauchzenden Melodien bringen die Ziegel zum Tanzen. Das Schlagwerk wippt trocken wie eh und je, und Thomas Mars‘ säuselige Stimme versöhnt Melodie und Rhythmus, Gitarre und Keyboard. Hier ist nichts im Widerstreit, die Klangmauer ist stabil, sie vibriert als Ganze.
Der Sänger Thomas Mars (rechts) und seine Band Phoenix aus Versailles
Am stärksten sind die ersten drei Stücke, Lisztomania, 1901 und Fences. Phoenix, wie man sie kennt und leicht verdauen kann. Das anschließende ausufernde Instrumentalstück Love Like A Sunset Part I baut Spannung auf. Der zweite Teil des Albums hält nicht ganz das Versprechen des ersten, Rome und Armistice sind dennoch gelungen. Nur Love Like A Sunset Part II klingt enttäuschend schmierig.
Der großmäulige Titel fordert natürlich noch ein Wort: Er ist bedeutungslos, mit der Feinsinnigkeit Mozarts haben die Lieder nichts gemein. Wolfgang Amadeus Phoenix, das klinge einfach fantastisch, sagte die Band im Interview. Dazu passt, das Thomas Mars weitgehend sinnfreie Lyrik zum Besten gibt – gut klingen sollten auch die Worte. Und dazu passt sicher auch, dass sich die Band dem rocktypischen Eskapismus hingab und das Album in einem angemieteten Haus in New York schrieb. Vielleicht erweckt gerade diese Sorglosigkeit den Eindruck der Perfektion. Diese Direktheit, diese Sucht nach dem guten Klang, dem schließlich jeder Schnörkel zum Opfer fallen muss. Die Welt in dreieinhalb Minuten, und sie dreht sich nur um sich selbst.
Frühlingshaft sind die Lieder übrigens nicht lange, sie passen sich dem Azorenhoch an. Klingen am Nachmittag schwül und durstig, später erfrischend wie ein kühler Abendwind. Und in den frühen Morgenstunden hängen sie wie getrockneter Schweiß im T-Shirt. Wolfgang Amadeus Phoenix ist eine Platte für warme Sommernächte, momentan. Wer weiß, wahrscheinlich passt sie irgendwann auch zum Altweibersommer, zu den ersten Herbststürmen und unter den Tannenbaum.
„Wolfgang Amadeus Phoenix“ von Phoenix ist auf CD, LP und Mp3 bei V2/Cooperative Music erschienen.
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