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Seelenmüll zu Diamanten

 

Phillip Boa buddelt wieder einmal in dem Graben, der die avantgardistisch-kantige Rockmusik vom Pop trennt. „Diamonds Fall“ heißt sein 17. Album – es klingt besser als viele zuvor

Phillip Boa & The Voodooclub – Valerian
 
Von dem Album: Diamonds Fall Constrictor Records (2009)

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Lord Garbage hat Phillip Boa sich einmal genannt – und der Herr des Weggeworfenen ist er auch heute noch, der schillernde Arrangeur des Dunklen, des Grüblerischen, des Seelenmülls. Seit der Gründung seines Voodoo Clubs aalt sich der auf Malta lebende Dortmunder im eigenen Charisma. Er und seine furiose Gesangspartnerin Pia Lund klingen wie die schrille Ruhrpottvariante der englischen Pop-Exzentriker Mark E. und Brix Smith. Angesiedelt irgendwo zwischen Punk-Rotznäsigkeit und den Niedlichkeiten des Pop.

Gerade ist ein neues Album erschienen, das den Titel Diamonds Fall trägt. Über ein Vierteljahrhundert ist Boa sich treu geblieben. Heute wie damals buddelt er in dem Graben, der die avantgardistisch-kantige Rockmusik vom Pop trennt. Und noch immer ist es die E-Gitarre, die weit vorne klingt. Sie schreddert nervös, hackt herum, holpert, taumelt.

Das Schöne an Diamonds Fall ist die Unterscheidbarkeit der Lieder: Hier wiederholt sich nichts, jedes Stück steht für sich, ist ein Unikum. Hier ist es schwelgerisch und erinnert an die Pixies, dort erklingt das trashig-komödiantische Fiat Topolino; hier Stakkati, dort ein Offbeat – so ungemein rhythmisch ist dieses Album!

Mehr dem Rhythmus als den Melodien zugetan war Phillip Boa ja schon immer. Diesmal hat er mit Jaki Liebezeit einen Trommler dabei, der das Rhythmisch-Perkussive in immer neuen, ungewöhnlichen Variationen vorzuführen weiß. Was auch dazu führt, dass man Diamonds Fall lieber hören mag als viele Alben Boas in den letzten Jahren.

Ein Mann der großen Gefühle ist Boa auch auf seinem 17. Album noch. Er singt „Let’s distroy the sunset„, das ist kein abgegriffenes Pathos, das Boa hier als Innerliches verhökert. Tatsächlich ist er ein meisterhafter Komponist, die besten Stücke des Albums können sogar neben den schönsten neueren Balladen von Morrissey bestehen. Ein anderes Mal erinnert Diamonds Fall an David Bowie, an The Fall, sogar an die frühen Rolling Stones. „Eigentlich ist absolut alles in der westlichen Popkultur schon erzählt“, sagt Boa. Und geht doch leidenschaftlich zu Werke.

In einem antiquarisch erstandenen Buch des britischen Poeten John Keats fand Boa – so will es die Legende – ein Foto der kürzlich verstorbenen Schauspielerin Jane Wyman. Beglückt von dem Fund schrieb er ihr ein Liebeslied, Jane Wyman. Dem Romantiker Keats hätte diese Ode an eine Tote sicher gefallen.

„Diamonds Fall“ von Phillip Boa & The Voodooclub ist bei Constrictor/Rough Trade erschienen.


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