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Auf keinen Fall Folk!

 

Für Sam Genders‘ Bandprojekt Diagrams müsste man ein neues Genre benennen. Sein Album „Black Light“ quillt über vor Kreativität und ist im besten Fall toller, verspielter Pop.

© Paul Heartfield/Chrissie Abbott

Folk kann man ja auch schon wieder nicht mehr hören. New Folk, Old Folk, Eastcoast Folk, Westcoast Folk, dazu Folkpunk, Folkrock, Indiefolk, Elektrofolk, Weird Folk oder leicht aufgeblasen: baroque harmonic pop jams, wie die Fleet Foxes den orchestralen Folk der neuesten Art umschreiben – wann immer junge Männer ihren melodramatischen, selbstreferenziellen, oft suizidalen, jedenfalls wirklich echten innersten unmännlichen Gefühlen allein oder gemeinsam mit ihrer Gitarre Ausdruck verleihen wollen, ist rasch vom Unwort des Musikjahrzehnts die Rede. Folk.

Da ist also Vorsicht geboten, wenn ein – man sagt das heute aus Angst vor Festlegungen so – neues Projekt von offizieller Seite als „experimenteller Folk“ apostrophiert wird. Denn die Diagrams, eben solch ein „Projekt“ des Sängers der (Obacht!) Folktronicaband Tunng, haben mit Folk eigentlich nichts am Hut.

Sam Genders‘ Solo-Ausflug mit Hilfe befreundeter Kollaborateure ist viel zu ereignisreich für Folk, viel zu vielstimmig und abseits aller Worte aussagefreudig. Daran ändert seine artgarfunkelig verdoppelte Hauchstimme wenig. Auch eine erdfarbene Gebirgscollage mit Rabenvogel auf dem Cover sorgt nicht für abschließende Ländlichkeit. Und durch die getragene Grundstimmung des Ganzen wird die Folkthese ebenfalls nicht schlüssiger.

Nein – Black Light, das erste (und hoffentlich nicht letzte) Album der Diagrams, ist Pop. Purer Pop sogar, der in seiner Verspieltheit gelegentlich an die Yeasayer erinnert, sich aber mit einer überaus gradlinigen Rhythmik wieder zurück ins Radio spielt. Nicht Folkpop (falls es das gibt), sondern einer, der zwischen Genders‘ sanften Gesangslinien kleine Gewitter instrumenteller Artenvielfalt streut, ohne eins mit dem anderen zu verwirren.

Da sind die Drums von Matt McKenzie and Tom Marsh, die sich im Hintergrund halten, dabei mehr als bloß Präsenz zeigen und gleich zu Beginn in Tall Buildings fast davontreiben. Da sind die Saiteneinsätze von Danyal Dhondy, der den Bass in Mills beinahe slappt, dessen Gitarre in Appetite fast funky klingt, der nie am Genre festhält, sich selbst aber stets zurück. Da wäre Hannah Peel, die ins ohnehin quirlige Antilope unerwartet einige Posaunen mischt und das Stück mit Geigen, Samples, Allerlei fast in Bigband-Sphären treibt.

Es ist also ein ziemliches Durcheinander – ganz anders als Folk nämlich–, das zwischen den Zeilen fast kontemplative Gelassenheit erreicht. Man mag da an Edwyn Collins denken, Robert Palmer, Hot Chip womöglich.

Am Ende bleiben die Diagrams sie selbst: ein buntes Panoptikum eines Ideenreichtums, der sich keine Grenzen auferlegt. Der alles fröhlich in jeden Song hinein sampelt, bis er überquillt vor Kreativität. Dabei keinen der neun Tracks zappelig klingen zu lassen, jedem einzelnen so viele Momente entspannter Ruhe zu gestatten – das ist das Verdienst von Sam Genders und seinem Schmuseorgan. Aber nicht allein. Es liegt auch am Arrangement, am Mut zur Pause, am Ausbleiben jeder Konvention. Man müsste dafür ein neues Genre benennen. Nur Folk sollte darin nicht vorkommen.

„Black Light“ von Diagrams ist erschienen bei Full Time Hobby.