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Malis Glamourpaar

 

Amadou und Mariam sind blind, leben in Bamako und sind Weltstars. Popgrößen aus England oder Amerika wollen mit ihnen Musik machen. Jetzt ist ein neues Album erschienen.

© Benoît Peverelli

Amadou & Mariam, le couple aveugle de Mali, sind die unwahrscheinlichsten Superstars, die man sich vorstellen kann. Als sich das Sängerpaar vor über dreißig Jahren in einer Blindenschule in Bamako zusammentat, hätte niemand eine Wette darauf abgeschlossen, dass sie einst zum erfolgreichsten Duo des Kontinents aufsteigen würden.

Ihr knarziger Bluesrock klingt nicht „afrikanisch“ genug, um die Puristen unter den Weltmusikfreunden anzusprechen, Bluesveteranen wie Blind Lemon Jefferson oder John Lee Hooker wiederum, auf die sie sich beziehen, sind lange tot. Und doch sind die beiden mit Mitte fünfzig auf dem Höhepunkt ihrer Karriere.

Alles steht Schlange, um mit ihnen ins Studio zu gehen, von der angesagten Elektropopsängerin Santigold bis zu Jake Shears von den Scissor Sisters, aber auch lokale Größen wie der Ngoni-Virtuose Bassekou Kouyaté. Der Andrang scheint so groß gewesen zu sein, dass das neue Album Folila ursprünglich ein Doppelalbum werden sollte, zur Hälfte in New York und zur Hälfte in Bamako eingespielt.

Von Paris aus stieß gar Bertrand Cantat dazu, seines Zeichens Ex-Sänger der französischen Rockband Noir Désir, der 2003 seine Frau, die Schauspielerin Marie Trintignant, in einem Hotelzimmer in Vilnius erschlug. Doch nach solchen Details fragen Amadou & Mariam nicht, sie lassen alle Kindlein zu sich kommen. Cantat wurde ja auch wegen guter Führung vorzeitig entlassen.

Es ist dann doch bei einer einzelnen CD geblieben, aber was für einer! Nord trifft hier ungebremst auf Süd, während Amadou in die Saiten greift und Mariam ihre charakteristische Stimme erschallen lässt. Nichts, was hier nicht reibungsvoll zueinanderfindet. Wir werden Zeuge, wie karge Bluesverzierungen sich mit epischen Backgroundchören mischen, kühler New Wave auf Postpunk trifft, Rap oder zumindest etwas Rap-Ähnliches auf schlichte Lebensweisheiten aus Mali.

Der klassische Erfolgssound des blinden Paars wirkt, als habe man ihn mit einer dicken Glamourschicht überzogen – ein verbeulter Oldtimer, der zu einem blinkenden Ufo aufgemotzt wurde. Manchmal hebt dieses Ding sogar ab, öfter aber sehnt man sich, erschöpft ob des Angebots, nach den stillen Ufern des Niger, an denen die Anfänge dieses Welterfolgs liegen. Mehr ist eben nicht immer mehr, sondern in manchen Fällen schlicht und einfach – zu viel.

„Folila“ von Amadou & Mariam ist erschienen bei Warner Music.

Aus der ZEIT Nr.12/2012