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Ist nicht alles Gold

 

Und wieder hat die Musikpresse einen neuen Liebling: Santogold kommt aus Brooklyn, sie ist schwarz und selbstbewusst. Im allgemeinen Hurra hört man kaum, wie unentschlossen ihr Album klingt

Santogold

Santogold ist in aller Munde. In sämtlichen Feuilletons und Musikmagazinen wird ihr Debütalbum gefeiert. Denn sie feiern gerne, die Musikjournalisten. Fühlen wir auf die Krone: Ist Santo Gold? Oder glänzt es hier nur?

Santi White – so der bürgerliche Name der goldbehangenen schwarzen Künstlerin – schreibt hübsche Refrains. Das Album beginnt mit L.E.S. Artistes, man lässt sich mitreißen von Euphorie und Schwebe, dreht lauter. Später bei I’m A Lady bastelt sie mit einfachen Mitteln noch ein gutes Poplied. Und Santogold hat noch viel mehr vor, kaum eine moderne Spielart populärer Musik bleibt unangetastet. Ihr Album ist eine Werkschau der Vielseitigkeit.

Nur: Heißt vielseitig automatisch gut? Man könnte bemängeln, dass es Santogold an Fokussierung fehlt. Ihr Durcheinander ist zu durcheinander. Aber geht es bei solch hybrider Musik nicht genau um die Uneindeutigkeit von Stilen und Einflüssen? Warum sollte man sich auf nur eine musikalische Ausdrucksform reduzieren?

Das Problem liegt woanders. Santogold baut keine Brücken zwischen den Stilen. Ihrer Musik fehlt es an Herz. So tönt das Drama des Adepten – in zwölf Akten. Es wird gekonnt komponiert, gespielt und ausgeführt. Ein Bekenntnis aber gibt sie nicht ab, alles klingt beliebig und schwammig, seltsam kalt.

Strebsam und gelehrig ist Santi Whites Musik, ständig zerrt sie am Hörer und sagt: »Guck mal, was ich alles kann!« – aber Vielseitigkeit allein macht nicht aufregend. Dem Hören geht der Inhalt ab, Santogold bedient akustische Abziehbilder. Ihre Stimme ist biegsam und passt sich dem Musikstil an. Wenn es sein muss, klingt sie sogar wie Sheryl Crow. Bei HipHop-Stücken verwechselt man sie schnell mit M.I.A., zumal diese auch noch als Gastsängerin auftritt. Bei You’ll Find A Way klingt’s nach Sting und seiner unseligen Polizei. Diese Aufzählung von Referenzen ließe sich fortsetzen.

Aber warum fliegen nun die Musikjournalisten dermaßen auf Santogold? Ihr Phänomen ist soziologischer Natur: Eine schwarze Frau, die angesagt und nach Ghetto aussieht, sich aber auf weiße Rockmusik bezieht. Led Zeppelin und die Talking Heads nennt sie als ihre Einflüsse, das verleiht ihr den Nimbus der Aufgeklärten. Oder wie es die Frankfurter Rundschau ausdrückt: »Ghetto war gestern, hier kommt eine kluge schwarze Frau und macht Crossover-Avantgarde in Form mitreißender Popsongs.« Dabei will Santi White eigentlich Schluss machen mit dem musikalischen Rassismus und ihre Lieder für sich sprechen lassen. Wieso verwehrt man ihr das und sortiert sie ins abgegriffene Muster?

Zuviel des Lorbeers schadet der Künstlerin. Vom nächsten großen Ding kann sie schnell zum nächsten grandiosen Opfer der Erwartungshaltungen werden. Entkrampften sich alle Beteiligten ein bisschen, könnten wir uns auf Santogolds kommende Alben richtig freuen.

Das Debütalbum von Santogold ist als CD und LP bei Lizard King Records/Rough Trade erschienen.

Die Popsensation des Jahres? Lesen Sie hier das große Santogold-Porträt von Frank Sawatzki »

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