Man hatte es geahnt. Spätestens seit dieser grandiosen Szene in Sofia Coppolas Film Lost In Translation. Lässig schmachtet Scarlett Johansson da Brass In Pocket von den Pretenders ins Mikrofon. Das war Karaoke, doch wusste man: Die wird mal eine Platte machen.
Die Schauspielerin ließ sich Zeit mit ihrer zweiten Karriere, denn sie meinte es ernst. Das unkaputtbare Summertime sang sie für einen guten Zweck ein und galt als Favoritin für die Hauptrolle in Andrew Lloyd Webbers Musical The Sound Of Music. Ihre selbstbewussten Auftritte mit den Indierockern The Jesus and Mary Chain gaben Grund zur Hoffnung, sie könne erfolgreich das Fach wechseln. Nur wenigen gelingt das.
Jetzt hat sie es tatsächlich gewagt. Die Johansson hat eine ganze Platte gemacht, Anywhere I Lay My Head. Als Produzenten verpflichtete sie David Siget. Das beweist Geschmack, Siget ist nebenbei Musiker der Rockband TV On The Radio. Macht diese Frau denn alles richtig?
Dann ein erster Wehmutstropfen: Scarlett Johansson spielte keine eigenen Lieder ein, sondern ausschließlich von Tom Waits komponierte. Dass ausgerechnet der Leitwolf der verbeulten Tramps und Strauchdiebe für Johanssons Debüt herhalten muss, ist zunächst überraschend. Der grantelnde Rüpel und die blasse Frau – kann das gut gehen? Leider geht es nicht gut.
Was hätte man alles aus Johanssons Stimme herausholen können! In den guten Momenten erinnert ihre düstere Färbung an Nico. Doch die guten Momente sind selten, denn Anywhere I Lay My Head ist ein Lehrstück verschwenderischer Produktionskunst. Sitek webt Johanssons Gesang in einen Teppich aus Gitarrenrückkopplungen, Saxofonexzessen, Spieluhrmelodien und hallenden Keyboards. Früher sprach man angesichts solcher Textur anerkennend vom Wall Of Sound,
hier klingt sie prätentiös. An dieser massiven Klangwand ist die Stimme nur eine Farbe von vielen, sie geht im Allerlei der Effekte unter.
Scarlett Johansson möchte Tom Waits’ bräsigem Zirkusjazz einen Schuss verhuschter Avantgarde injizieren, aber sie scheitert. Jedem Stück hört man das Bemühen der Schauspielerin an, ja kein normales Pop-Album zu machen. Allerorten raunt es einem zu: Das hier will etwas Besonderes sein. Ununterbrochen purzeln Klangspielereien und exzentrische Geräusche aus den Lautsprechern, halten Grillengezirpe und Vogelstimmen als romantische Ornamente her.
Die zärtliche Glockenspiel-Melodie von I Wish I Was In New Orleans ertrinkt in Hall. Dabei hätte Johanssons Gesang ausgereicht, dem Stück Sehnsucht zu verleihen. Geradezu komisch ist der pompöse Einstieg des Instrumentalstücks Fawn, die Arrangements wirken, als hätte sich Bruce Springsteens Saxofonist Clarence Clemons im Bayreuther Orchestergraben verirrt. Als reichte das nicht aus, erklimmen Sitek und Johansson den Gipfel der erzwungenen Stilhuberei gemeinsam mit David Bowie, bei Falling Down und Fannin Street tritt er als Duettpartner auf. In der Kulissenhaftigkeit des Albums scheint auch er sich nicht wohlzufühlen, Orgelfluten schlagen über seiner Stimme zusammen.
Streckenweise erlahmt das Album vollkommen, schleppen sich die Stücke vorüber. Die schläfrige Melancholie, die der Titel verspricht, verkommt zur ermüdenden Geste. I Don’t Want To Grow Up ist einer von wenigen guten Momenten: Die Keyboards klingen nach Always On My Mind von den Pet Shop Boys, langsam wächst eine gelungene New-Wave-Hymne heran. Bald zieht wieder schweres Geräuschgewitter auf, zu viel Pop war dem Produzenten offenbar nicht geheuer.
Auf der Albumhülle ist Scarlett Johansson als blasse Leiche zu sehen, aufgebahrt im künstlichen Grün. Die Kamera beobachtet sie durch ein Astloch. Im Märchen käme der Prinz und errettete die Pop-Prinzessin. Auf Anywhere I Lay My Head versinkt sie in hundertjährigem Schlaf.
„Anywhere I Lay My Head“ von Scarlett Johansson ist erschienen bei Warner Music.
Lesen Sie hier, was Diedrich Diederichsen über Scarlett Johanssons Musikversuch schreibt »
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