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Paul Simons nett gemeinter Kolonialismus

 

„Graceland“ gilt heute als eines der besten Alben der Popgeschichte. Vor 25 Jahren, während der südafrikanischen Apartheid, war es ein weltweites Politikum. Aus der Reihe „Über die Jahre“

Paul Simon in den Achtzigern (© Keystone/Getty Images)

Als Paul Simon im April 1987 mit seiner Graceland-Tour in der Royal Albert Hall in London Station macht, ist die mehr als 5.000 Besucher fassende Halle sechsmal ausverkauft. Das Album Graceland ist ein Riesenerfolg, verkauft sich bis heute mehr als 14 Millionen Mal, die Tour füllt Stadien auf der ganzen Welt.

Doch während Simon drinnen mit schwarzen, südafrikanischen Apartheidsgegnern wie dem Trompeter Hugh Masekela und „Mama Afrika“ Miriam Makeba auftritt, protestieren draußen weiße europäische Musiker wie Billy Bragg und Paul Weller. Denn Simon hat Teile des Albums in Südafrika aufgenommen und den von den Vereinten Nationen verhängten Kulturboykott gebrochen.

25 Jahre später nutzt Simon das Jubiläum seines kommerziell erfolgreichsten und künstlerisch interessantesten Albums, um unschöne Schatten von seiner Diskografie zu polieren. Im Juli zum Konzert im Londoner Hyde Park hatte er nicht nur die südafrikanischen Veteranen Ladysmith Black Mambazo und Hugh Masekela, Ray Phiri und Barney Rachabane eingeladen, sondern auch den Jamaikaner Jimmy Cliff, der sich in den Achtzigern mit dem unvermeidlichen Bono und anderen Künstlern auf dem Album Sun City für den Kulturboykott eingesetzt hatte.

Der nun erschienenen Wiederveröffentlichung von Graceland ist die Filmdoku Under African Skies angefügt. Der Regisseur Joe Berlinger begleitet Simon auf dessen Rückkehr nach Südafrika. Simon trifft die Mitmusiker von damals, stellt sich aber auch Dali Tambo, dem Gründer von Artists Against Apartheid und Sohn des früheren Präsidenten des Afrikanischen Nationalkongresses ANC, Oliver Tambo.

Berlingers Film komplettiert das Bild eines politisch etwas naiven Musikers, der auf einer schwarz kopierten Kassette Township-Klänge entdeckt und auf ein Album, sein Album packen will, ohne den ANC oder die UN fragen zu müssen. Es geht ihm um Kunst, nicht um Politik – oder Urheberrechte: Die Band Los Lobos wirft ihm vor, ihren Song All Around The World schlicht gestohlen zu haben.

Graceland ist einer der wichtigsten Funken, aus denen der „Weltmusik“-Boom der achtziger Jahre zündet, und es birgt schon dessen ganze Ambivalenz. Simon kommt nach Afrika wie ein Schmetterlingssammler, spießt Percussions vom Senegalesen Youssou N’Dour (heute Kultusminister seines Landes) und nigerianische Pedal-Steel-Gitarren zusammen mit südafrikanischen Gitarren auf sein Songtableau.

Doch diese Schmetterlinge bleiben nicht brav auf ihren Nadeln, sie fliegen auf, zwingen den Songwriter, seine Verse vertrackten Rhythmen anzupassen. So entstehen geniale Zeilen wie „the boy in the bubble and the baby with the baboon heart„. Die afrikanisch-amerikanische Mélange nimmt spätere, sample-induzierte Stile vorweg. Kein Wunder, das sich Bands wie Vampire Weekend von Graceland inspirieren lassen – manche sagen, es kopieren.

Den afrikanischen Musikern bringt Graceland nicht nur lukrative Plattenverträge und Bekanntheit außerhalb Afrikas. Sie bringt auch Hoffnung, sagt der Saxofonist Barney Rachabane in Berlingers Doku: „Wir konnten immer nur in den Townships spielen, nie in der Stadt, in den schönen Nachtclubs. Wenn Du Träume hast, die nie wahr werden, das zerstört Dich.“

Der Sänger und Bürgerrechtsaktivist Harry Belafonte riet Simon damals, sein Projekt mit dem ANC abzusprechen. Heute sagt er, Graceland habe sogar zum Sturz des rassistischen Regimes in Pretoria beigetragen, Dali Tambo bleibt hingegen dabei, dass es kontraproduktiv war. Die Frage ist eine akademische. Paul Simon war der erste US-Musiker, den Nelson Mandela eingeladen hatte, als er Staatspräsident war. Als Simon Graceland aufnahm, saß der noch im Gefängnis.

„Graceland – 25th Anniversary Edition“ von Paul Simon ist in diversen Formaten bei Sony erschienen.