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Bitte mehr Musik statt Popzirkus!

 

Bonapartes musikalische Ideen sind so brillant, dass das Trashtheater drumherum gar nicht nötig wäre. Auf dem neuen Album sind sie leider noch nicht ausgereift.

© Melissa Hostetler

Wenn man den Minimalkonsens unserer digitalen Gegenwartszukunft sucht, deren Chiffre Web 2.0 ja auch schon wieder nostalgisch klingt, ist es vielleicht dieser: lückenlose Visualisierung aller Sinne. Schließlich bedarf jede noch so fundamentale, noch so stinkbanale Regung, jedes Gespräch, jeder Gedanke, jede Interaktion zwingend einer optischen Komponente auf dem omnipräsenten Flatscreen. Auch und gerade in der Musik.

Da verwundert es wenig, dass sich der Pop im Ganzen verbildlicht. Dass die Oberflächenradikalität Lady Gagas selbst eine Schauspielerin wie Madonna in den Schatten stellt und auf ihre Musik zurückwirft. Dass Singer-Songwriter ohne Zauselbärte unvermittelbar sind. Dass es Bonaparte gibt.

Die Berliner „Rockband“, wie sie sich selbst bezeichnet, ist pure Sichtbarkeit. Eine Ausgeburt der Smartphone-Hölle, ohne Augenreiz nahezu wirkungslos, Visual Trash Punk, so das Label. Bilder, nichts als Bilder, ergänzt um das, was sie tanzen macht: Elektropop, mal gitarrenflankiert, mal frei von jeder Klassizität.

Vom Beginn ihres Undergrounddebüts Too Much bis zum szeneübergreifend bemerkten Nachfolger My Horse Likes You, mehr aber noch im neuen Album Sorry, We’re Open ist ihr Werk bloß der Soundtrack im Zirkus exaltierter Rampensäue – ob auf der Bühne oder als Konserve, im Club oder bei Youtube.

Das kann man so locker nehmen wie Bonaparte sich und ihr Leben, dem die Zeile der ersten Single Too Much einst die Partypeopleparole „You know Baudelaire/I like your hair“ einbrannte, zu der es sich im Sog kreativen Lofi-Gefrickels trefflich feiern lässt. Man kann es aber auch bitter beklagen, denn in Bonaparte steckt so viel mehr. Vielleicht sogar ein bisschen von Ween, dem Wunderwunschbrunnen schrankenloser Vielschichtigkeit.

Doch sie verpufft. Von Stück zu Stück. Auf den klaustrophobisch-heiteren Opener When The Ship Is Thinking, der traumwandlerisch schön zwischen Shanty und Horrorfilm mäandert, folgen zwar noch fast eklektische Tonsammlungen wie der computerisierte E-Punk Quarantine, der offen lässt, ob die Hardrockgitarre darin nun echt oder vom Rechner ist. Oder das melodische Titelstück voller Mariachi-Trompeten und ähnlicher Marotten, irgendwo zwischen Jamie T und Johnny Rotten.

Das ist in seinem Ideenreichtum so brillant, dass es im Grunde weder verrückte Kostüme noch Performance braucht. Doch dann erschöpft es sich zusehends und strapaziert seine Einfälle, die teutonisch rohe Konsonantenhärte im Englischen etwa. Versiertes Sampelposing ersetzt echte Kreativität und Effekthascherei die Liebe zum Detail.

Sorry, We’re Open
ist sicherlich nicht die erste Platte, die gen Ende abfällt, aber es ist eine der tragischsten. Denn statt ihren artifiziellen Klangkosmen Struktur zu geben, vergeuden Bonaparte ein Universum der Möglichkeiten und wildern wahllos im Digitalen. So sehr sie vor Publikum zappelt – im Studio wirkt die Band oft regungslos. Daran können Gäste wie Deichkind so wenig ändern wie lustige Titel à la 40°42‘48.46 N 73°58‘18.38 W.

Auch das neue Album ist tanzbarer, vor allem feierbarer Elektroclash, der live seinesgleichen sucht. Ohne Zuschauer bringt der unterlaufene Schwierigkeitsgrad allerdings Abzüge in der B-Note. Schade.

„Sorry, We’re Open“ von Bonaparte ist erschienen bei Staatsakt/Warner.

Tobias Jundt von Bonaparte im ZEIT-ONLINE-Interview: „Wir können unsere Songs nicht von Kindern in China schreiben lassen“