Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Klingt wie früher, wunderbar!

 

New Order bringen ein Mini-Album mit unveröffentlichten alten Stücken heraus. „The Lost Sirens“ ist zwar eine schnöde Resteverwertung, aber Jan Freitag freut sich trotzdem sehr darüber.

© Rhino UK
© Rhino UK

Wer Raven sagt, meint gemeinhin Zappeln. Rave, das ist doch dieser Loveparade-Neonhosen-Ecstasy-Kirmestechno, als elektronische Musik aus riesigen Boxentürmen die Vorstadt stürmte. Man denkt dabei an Blümchen und die Neunziger, an Scooter, Smileys, Acid. An New Order denkt man eher nicht.

Dabei war es die Nachfolgeformation der Post-Punk-Band Joy Division minus Ian Curtis, deren Relaunch 1980 etwas einläutete, das ein Jahrzehnt darauf kurzzeitig Rave genannt wurde: tanzbarer Indierock mit elektronischen Einflüssen, eine Art alternativer Discosound, nicht mehr New Wave, noch nicht House, jedenfalls sehr versierter Pop. Zeitlos. Blue Monday – ein Klassiker! True Faithwelch ein Video! World in Motion – endlich Nr. 1! Und dann I’ll Stay With You – diese Harmonie!

Moment – I’ll Stay with You? Nie gehört? Kein Wunder. Es ist ein Track, der fünf Jahre nach der Auflösung und zwei seit der Wiedervereinigung nachgereicht wird. Eines von acht Stücken auf dem jetzt erscheinenden Mini-Album The Lost Sirens, übrig geblieben von den Aufnahmen zum letzten offiziellen Studioalbum 2005. Ob man diese Art der Resteverwertung nun feiern oder beklagen sollte, ist eine Frage der Perspektive.

Weder mit I’ll Stay with You noch mit dem radiotauglichen Sugarcane im Anschluss, geschweige denn mit einer ungekürzten Fassung von Hellbent, dem einzig aktuellen Stück der Doppelretrospektive From Joy Division to New Order von 2011, fügt das Quartett seinem epischen Werk weitere Kapitel hinzu, ja nicht mal besonders neue Nuancen. Es ist der gleiche melancholisch-virile Dancefloorwave, dessen leicht wächserner, ungeheuer stimmiger, dabei dennoch kantiger Gleichklang unter Bernard Sumners androgynem Gesang ganze Generationen von Britrockern geprägt hat. Der Manchester über Jahre zum Zentrum independenter Klänge machte und sich selbst unsterblich. Es klingt also alles wie gehabt.

Ist doch wunderbar!

Es ist die Selbstverständlichkeit, das Altbekannte für Unkundige ebenso wie für Kenner verfügbar zu machen. Was New Order anpacken, mag manchmal, wie das geschmeidige Recoil, ein bisschen melodramatisch klingen, manchmal, wie das fröhliche I’ve Got a Feeling, ein wenig hymnisch. Aber wenn das eklektische Shake It Up mit seiner hektisch geslappten Gitarre, den darüber hängenden Geigen und dazwischen dieser flächigen Achtzigerorgel den Rave, also den aus Happy-Mondays-EMF-The-Farm-Rave zurück ins Gedächtnis holt, dann spürt man, was diese Band in dieser Stadt alles bewirkt hat.

Das mag nostalgisch klingen, nach „die Jungs können’s halt immer noch“. Das können sie wirklich. Aber sie konservieren dabei nicht bloß das Erhaltenswerte, sondern sanieren es, ohne an die Substanz zu gehen. New Order sind Gemälderestaurateure ihrer eigenen Musikwelt statt Abrissunternehmen, aber eben auch keine Antiquare, sondern moderne Entertainer.

The Lost Sirens mag also kein großer Wurf sein, doch ist es die Selbstreflexion einer Band, die sich von nichts so erschüttern lässt, wie sie es einst mit der Welt des Pop tat. Allein das verdient Respekt. Aber den braucht man gar nicht, um dieses Album zu feiern.

„The Lost Sirens“ von New Order ist als Mini-Album erschienen bei Warner.