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Die schönste kreative Langeweile

 

Jan Roth macht die perfekte Musik zum Abkühlen. Klavier ist ihm Schlagzeug, Jazz ist ihm Kraut. Auf dem Album „L.O.W.“ komponiert er einen Wellness-Sound im besten Sinne.

© Sandra Ludewig
© Sandra Ludewig

Einsamkeit und Langeweile haben einen schlechten Ruf. Sehr zu Unrecht. Denn mal ehrlich: Abgesehen vielleicht von Sex oder Liebe dürfte es in der Geschichte der Menschheit kaum einen ähnlich inspirierenden Beweggrund gegeben haben. Jan Roth jedenfalls hat die Untätigkeit zu seinem ersten eigenen Album verholfen.

Das hat er L.O.W. getauft und deshalb aufgenommen, weil unerwartet eine Tournee ausgefallen war und er plötzlich nichts mehr zu tun hatte. Was ein durchaus außergewöhnlicher Zustand für Jan Roth ist. Denn das Geflecht der vielen verschiedenen Projekte, in denen der Mittdreißiger aktiv ist, wurde längst unüberschaubar.

Am bekanntesten sind die Verbindungen, die er zu Hause in Erfurt pflegt. Im dort gelegenen Zughafen, dem kreativen Zentrum um den mittlerweile zum Popstar gereiften Clueso, hat der gebürtige Vogtländer wie viele andere ein musikalisches Zuhause gefunden. Aber er spielte nicht nur für einige der dort beheimateten Projekte wie für Clueso selbst, Max Prosa, Norman Sinn oder Ryo Takeda Schlagzeug. Er trommelt außerdem auch in Jazzkapellen und seltsamen Krautrock-Combos.

Man könnte sagen: Hauptberuflich ist Jan Roth Schlagzeuger. Nun aber hat er sich, der unerwarteten Pause sei Dank, mal ans Klavier gesetzt. Das ist eigentlich auch sein erstes Instrument. Als Fünfjähriger bekam er Tastenunterricht, das Schlagzeug folgte erst im Alter von elf Jahren. Später studierte er in Leipzig und New York und nahm Unterricht bei berühmten Lehrern wie der Jazz-Legende Billy Drummond.

Der Mann hat sein Handwerk gelernt. Dieses Wissen erlaubt es ihm wohl, so problemlos an den Grenzen verschiedener Genres zu agieren. Auch auf L.O.W. benutzt Roth sein Klavier ziemlich oft, als wollte er erst einmal nachweisen, dass es doch auch ein Schlaginstrument sein kann. Sparsam setzt er die Töne, gibt einen Rhythmus vor und gerät nie in die Versuchung, in claydermannsches Schwelgen oder auch nur krautiges Mäandern zu verfallen.

Dadurch entsteht eine seltsame Diskrepanz. Zwar wirken die acht Stücke des Albums, die allesamt nur bedingt zur Assoziation taugende Titel wie Einundzwanzig, Kleine Freiheit oder Rinnsal tragen, wie improvisiert, aber doch auch jederzeit konzentriert. Wenn das Klavier keine Struktur vorgibt, dann tun es die wenigen anderen Klänge, die elektronisch sein könnten oder vielleicht auch nur so wirken. Es sind musikalische Meditationen, die aber niemals in die Beliebigkeit von New-Age-Gewimmer abdriften. Es sind musikalische Träume, die es nicht nötig haben, die im aktuellen Dream Pop so beliebten Codes wie schlierige Synthies oder schläfrige Stimmen zu benutzen. Es sind Chillout-Tracks, die Entspannung aber nicht gleich mit Erschlaffen verwechseln.

So ist Jan Roth ein nicht zu kleines Kunststück gelungen: Er hat, wenn man sie denn so nennen will, Wellness-Musik eingespielt, die ohne eine der üblichen Vorlagen auskommt. Es ist Musik, die der Einsame hören kann, um die Langeweile zu vertreiben.

„L.O.W.“ von Jan Roth ist erschienen bei Sinnbus/Rough Trade.