„All cats are beautiful“ statt „All cops are bastards“: Auf ihrem fünften Album singen Ja, Panik noch immer gegen den Aberwitz der Verwertungslogik an. Man kann sie damit sogar ernst nehmen.
Freiheit – schon dieses Wort. Scheußlich, grauenhaft. Und wie hohl es geworden ist. Freiheit, das ist nur noch die des Bleifußes. Diejenige, falsche Parteien zu wählen oder das richtige Deo. Zur Promiskuität, zum Einkauf, zu weniger Hautirritationen und mehr Abwechslung im Fertiggerichteregal. Die Freiheit von einst wurde zur Unfreiheit von heute, und daran ändert auch der nichts, der sie maskiert. Als Liberalität zum Beispiel. Oder Libertatia, wie das neue Album von Ja, Panik.
Dieser Freiheitsbegriff klingt zunächst mal auch dann fahl, ja falsch, wenn ihn Andreas Spechtl verwendet. „Wo wir sind, ist immer LIBERTATIA„, krächzt der Berliner Poesiepopper aus Österreich durchs Auftaktstück der fünften Platte. Und er tut es gewohnt mehrsprachig für „unsere brothers and sisters„, für alle „not sans papiers, but sans patrie„, die er „worldwide befreit von jeder Nation“. Es ist ein heiteres Revoltieren, das Ja, Panik da praktizieren. „One world, one love: LIBERTATIA.“ Sollen wir ihnen das abkaufen wie der Werbung ihre Glücksversprechen oder der FDP den Steuern-Runter-Liberalismus?
Ja, denn Spechtls zum Trio gerütteltes Quintett entwickelt hier einen ganz eigenen Begriff von Freiheit. Libertatia, so geht die Legende, war das fiktive Refugium flüchtiger Piraten vor den Kriegsschiffen königlicher Flotten, ein Freibeuterparadies Entrechteter am Nordrand Madagaskars, in dem allein Herkunft, Stand und Netzwerk zum besseren Leben befähigten. Eine Welt, gar nicht so fern von der, die Ja, Panik 300 Jahre später besingen, im Turbokapitalismus Berlin-Mitte.
Das tun sie mit ihren Mitteln ganz wunderbar. Nicht mehr so verschroben wie auf den furiosen Frühwerken The Taste And The Money und The Angst And The Money von 2006 an. Nicht mehr so bohemistisch wie auf dem gefeierten Nachfolger DMD KIU LIDT vor drei Jahren. Nein, mithilfe des Produzenten Tobias Levin, der schon seinen Hamburger Nachbarn Tocotronic die Studipunkflausen ausgetrieben hatte, zeigen sich Ja, Panik in einem eleganten, fast geschmeidigen Soundgewand.
Anders als die Alben zuvor, versucht Libertatia nämlich nicht mehr krampfhaft, die Grundlagen der eigenen Musik so lange zu dekonstruieren, bis man ihre Interpreten für brillant, aber schizophren halten muss. Diesmal trauen Ja, Panik gewissermaßen ihrer eigenen Harmonielehre und hüllen die verständliche Wut über das, was sie im Aberwitz der Verwertungslogik umgibt, in traumwandlerische Popsongs. Die dürfen dann sogar martialisch ACAB heißen, übersetzen die Ultra-Parole im einschmeichelnden Balladentonfall aber mit „all cats are beautiful„.
Zwar gleitet das klanglich trotz Spechtls brüchiger Stimme zuweilen ins Rainhardfendrichhafte ab und wirkt dadurch leicht fehl am Platze. Der Gestus des ungewollt Großartigen allerdings bleibt so glaubhaft wie eh und je. Denn die Kunst sich selbst verleugnender Genialität beherrscht niemand so wie Ja, Panik. Da kauft man ihnen sogar den Freiheitskampf ab.
„Libertatia“ von Ja, Panik! ist erschienen bei Staatsakt.