Grandios verwirrter Pop zwischen allen Stilen: Die Österreicher von Ja, Panik finden auf ihrem neuen Album eine unfassbare Sprache, gesunden Trotz und ein bisschen Pathos.
Den Anfang vom Ende her zu denken kann sehr erhellend sein. Richtungsänderungen lindern ja bisweilen einen besonders schmerzhaften Zustand unserer Zeit: Nichtbegreifen. Starten wir also am Ziel eines der schwerstbegreiflichen Werke heutiger Popmusik, hören wir es Lied für Lied von hinten nach vorn, und siehe da: Die Platte mit der Chiffre DMD KIU LIDT entschlüsselt sich zusehends von selbst.
Vom Ende her gedacht, begänne das neue Album der Band Ja, Panik mit neun Minuten Stille: dem tonlosen Finale des epischen Titelsongs, einem beredten Schweigen, das die Österreicher den „Champagnerrevoluzzern“ in ihrem Berliner Exil auferlegen. „Lasst es mich jetzt zu Ende bringen / lasst mich mein seltsames Lied jetzt zu Ende singen“, fleht Sänger Andreas Spechtl vor der Leerstelle, „da kommen noch ein paar Strophen / an denen mir mehr als an allen anderen liegt“. Doch dann kommt da – nichts.
Es ist der Schlussakkord einer Platte, die aufräumen will. Die sich des Erbes ihrer gefeierten Vorgänger The Taste And The Money und The Angst And The Money in einem anarchistischen Umsturz des eigenen Systems entledigen möchte, also The Irrsinn And The Money heißen müsste, trüge sie nicht bereits einen viel irrsinnigeren Code als Namen. Denn je weiter man sich in Richtung Anfang vorarbeitet, desto schrulliger wird’s, desto weniger halten sich Ja, Panik an ihre eigenen Regeln.
Während sie den Diskurspop, für den sie bekannt sind, drei Alben lang zwischen dem Bierernst von Fehlfarben und der Supergaudi der Hamburger Band Superpunk auf charmante Weise mit Falco versöhnt haben, streiten sich nun fast alle denkbaren Stile um Deutungshoheit, bis alles an-, in-, übereinandergerät.
Benetzt von Christian Treppos plätscherndem Klavier, durchsetzt von Thomas Schleichers verschrobenen Gitarrentropfen, wirkt DMD KIU LIDT mal bombastrockig, mal schlageresk und stets etwas wirr. Bis Spechtl seine deutsch-englische Prosa in einer Art Shanty zur Stille vom Ende führt. Die Stille, sie kennzeichnet Ja, Paniks Wunsch zum Rückzug in die alte Nische, aus der Popularität und Kaufkraft die Kunst oft so nachhaltig verjagen.
Vor verfrühter Saturiertheit bewahrt ja, wenn schon nicht der vertikale Stil-, so doch ein horizontaler Ausbruch. Einmal das Innere nach außen kehren und kräftig rühren – das tun Ja, Panik. Und trotzdem klingen sie nach sich selbst: fünf jungen Bohemians, deren Kritik an Beliebigkeit, Sinnleere und Kommerz sich weder in biegsamer Anpassung noch in selbstgerechter Renitenz erschöpft, sondern eine eigene, sehr lyrische, oft unfassbare Sprache findet. Wiederum produziert von Moses Schneider, der schon Tocotronic auf neue Pfade führte, wird auch DMD KIU LIDT – der Titel steht übrigens für DIE MANIFESTATION DES KAPITALISMUS IN UNSEREM LEBEN IST DIE TRAURIGKEIT – von einer windschiefen Stimme getragen. Schräger denn je zwar, aber nie vollends krumm.
Schon gar nicht, wenn man es doch von vorn nach hinten hört. Wenn nach der Funkstörung Bittersweet in der Mitte einschmeichelnder Pianobar-Pop (Grey & Old) oder Folk-Fragmente (Modern Life Is War) zur krächzenden Harmonie der Schlussballade überleiten. „Letztendlich hab ich meine Koffer gepackt / hab ein Ticket gelöst und bin weit gefahren“, singt Spechtl zu Beginn dieses Endspiels, „habe aufgeschrieben, was ich lang vergessen hab / auf der Suche nach Rat / paar verlorenen Jahren“. Ja, Panik sind fündig geworden. Sie suhlen sich eine halbe Platte in ihrem Trotz, kehren dann aber zurück zu dem, was sie ausmacht: grandioser Pop mit vielen Kanten und ein bisschen Pathos.
„DMD KIU LIDT“ von Ja, Panik ist erschienen bei Staatsakt/Rough Trade.
Aus der ZEIT Nr. 15/2011