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Hände am Hals des Hörers

 

Wenn sich der Schrägmeister Scott Walker und die Kuttenträger von Sunn O))) zusammentun, muss Großes entstehen. Ihr Album „Soused“ erforscht Klangwelten, die noch niemand zuvor betreten hat.

© Phil Laslett
© Phil Laslett

Scott Walker ist eines der größten Mysterien der Popgeschichte. Der Mann mit dem himmlischen Bariton, der eine Karriere als ernsthafte Beatles-Konkurrenz sausen ließ, um fortan möglichst unzugängliche Avantgarde-Musik zu machen und sich seit Jahrzehnten verweigert aufzutreten. Und Sunn O))) ist eines der gewagtesten Experimente der Popgeschichte.

Eine Band, die sich unter Mönchskutten und hinter Nebelwänden versteckte und Metal bis fast zum Stillstand verlangsamte, um sich in Kunstgalerien wiederzufinden.

Jetzt, da das gemeinsame Album Soused vorliegt, erscheint es nur logisch, dass Scott Walker und Sunn O))) einmal zueinanderfinden mussten. Die Kompositionen des mittlerweile 71-jährigen Ex-Vorsängers der Walker Brothers, die wir mangels einer geeigneteren Bezeichnung auch weiterhin Songs nennen wollen, sind wie geschaffen für die Umsetzung durch die stets an den Grenzen der menschlichen Wahrnehmung agierenden Drone-Rock-Band aus Seattle, die stolz darauf ist, wenn ihre Musik den Menschen so in den Magen fährt, dass sie die Konzerte verlassen müssen.

Während Walker einzelne Zeilen in prätentiöse Melodielinien wickelt, lassen Stephen O’Malley und Greg Anderson von Sunn O))) die Verstärkerröhren glühen und Bassboxen verzweifelt wummern. Gitarren verenden kreischend im Niemandsland. Atmosphärisches Rauschen schwillt an und immer weiter an, bis es sich würgenden Händen gleich um den Hals des Zuhörers legt. Eine Trompete quäkt wie ein verwundetes Tier, ein Saxofon irrt verloren durch die Einöde. Elektronische Rhythmen verlieren sich in endloser Weite, irgendetwas jammert, kreischt, sägt, klagt, gurgelt, nervt. Und Scott Walker singt von einem quilt of corpses, einer Steppdecke aus Leichen, von acne on a leper, Akne auf einem Aussätzigen, oder dem Gefühl, aufzuwachen und an ein Kreuz geschlagen zu sein.

Unsachgemäß verkürzt: schräger Stoff. Der keine echte Überraschung ist für jeden, der Walkers vergangene, stets im gemütlichen Dekadenabstand erschienene Alben Climate of Hunter (1984), Tilt (1995), The Drift (2006) oder Bish Bosch (2012) kennt. Der aber auch, seien wir ehrlich, nicht eben leicht konsumierbar ist. Dafür irritierend, verwirrend, eine immer wieder wahnwitzige Revolte gegen Poptraditionen und Hörgewohnheiten. So radikal sind Walkers scheinbar strukturlose Gesänge, dass selbst die tiefergelegten Klangeskapaden von Sunn O))) bisweilen konventionell klingen.

Trotzdem ist die Zusammenarbeit kongenial. Ein verrückter Professor, der die dienstbaren Handwerker gefunden hat, um seine Vision umzusetzen: Popmusik, die Popmusik verneint. Weil sie sich weigert, säuselnde Begleitung zu sein. Weil sie nicht den Status Quo bestätigt, sondern Fragen stellt, in Unruhe versetzt, Grenzen ausweitet und Regeln nur anerkennt, um sie zu brechen.

Folgerichtig hat Scott Walker, seit er Ende der sechziger Jahre seine lange Reise in die Avantgarde begann, nie mehr ein großes Publikum erreicht. Dafür aber entdeckt er immer wieder Welten, die kein Musiker vor ihm je betreten hat. Muss man gehört haben.

„Soused“ von Scott Walker + Sunn O))) ist erschienen bei 4AD/Beggars Group/Indigo.