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Chanel. Ein Name – Ein Stil

 

(c) Prestel Verlag

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Designer und Labels gibt es viele, aber die wirklich wichtigen Häuser, die die Mode des 20. Jahrhunderts für die Nachkommenden veränderten, lassen sich einfach abzählen. Chanel gehört mit ihrer Gründerin und Seele Gabrielle Chanel, besser bekannt als Coco Chanel, ohne Zweifel dazu. Jérôme Gautier, Modehistoriker aus Paris, hat ein Buch über den Stil, die Marke und die Person Chanel herausgebracht, ein Bildband, der gleichzeitig durch das 20. Jahrhundert und seine Moden führt.

ZEITmagazin: Herr Gautier, Sie sind Modehistoriker mit einer auffallenden Vorliebe für Chanel, vor allem Coco Chanel als Person. Welcher Aspekt ihrer Persönlichkeit macht sie so zeitlos?
Jérôme Gautier: Als Wegbereiterin einer neuen Art der eher zurückhaltenden Kleidung, führte Gabrielle Chanel zu Beginn des 20. Jahrhunderts außerdem ein Leben, das sich sehr von dem ihrer Zeitgenossinnen unterschied. Schnell verstand sie die eigene Arbeit als Schlüssel zur Unabhängigkeit und die Kleidung als Bestärkung dieser Unabhängigkeit. In diesem Sinne kündigte Chanel die Zukunft an, wurde damit zum Inbegriff der emanzipierten, freien, modernen Frau.

ZEITmagazin: In Ihrem Buch „Chanel. Ein Name – Ein Stil“ vergleichen Sie Bilder zeitgenössischer Chanel Entwürfe mit alten Bildern der Marke, oft auch mit Bildern von Madame Chanel persönlich. Wo sehen Sie Chanels Idee von der emanzipierten Frau in den heutigen Entwürfen der Marke?
Gautier: Der typische Chanel-Stil ist kein Konzept. Vielmehr ist es eine realistische Interpretation der Mode, ausgehend von dem zeitgenössischen Leben der Frauen. Weil sie kreierte, was sie trug, und trug, was sie kreiert hatte, übertrug Gabrielle Chanel ihren Pragmatismus in die Kleidung und setzte damit beständig eine „wahre“, ehrliche Mode durch. Sie vertrieb die hochtrabenden Effekte der Mode, die die Frauen ihrer Zeit beschwerten und quälten. Die Fotografie von Man Ray, datiert auf das Jahr 1935, synthetisiert perfekt die Fortschrittlichkeit Chanels: man sieht sie dort sitzend, die Hände in den Hosentaschen, rauchend – ohne Zigarettenspitze! Ihr sehr maskulines Auftreten ist widersprüchlich zur typisch langen Perlenkette, wiederum im Kontrast zum schwarzen Kleid: Chanel spielte mit Kontrasten und Paradoxien – und bekräftigte damit ihren niemals aus der Mode kommenden Stil.

ZEITmagazin: In den letzten Jahren gab es überdurchschnittlich viel Aufmerksamkeit für Coco Chanels Person und Charakter, beispielsweise in Filmen oder biographischen Büchern. Woher kommt das?
Gautier: Was an Chanel fasziniert, sind nicht ihre Fähigkeiten als großer Coutourier – darin sind andere noch viel berühmter gewesen – sondern vor allem ihre Persönlichkeit, die noch interessanter erscheint, seitdem ihre geheimnisvolle, verwirrende Vergangenheit bekannt wurde. Eine junge Frau, aus dem Nichts gekommen, die sich als eine der schillerndsten Figuren des 20. Jahrhunderts entpuppen und der Welt aufdrängen wird. Das Leben von Chanel hat Romanpotential. Leider muss sich die ganze Wahrheit, versetzt mit Geheimnissen und Lügen, immer wieder bewähren. Aber genau diese Mysterien sind es natürlich, die die in Büchern oder auf der Leinwand erzählte Legende von Chanel nähren.

ZEITmagazin: Welches Design von Chanel war das einflussreichste durch alle Zeiten?
Gautier: Es ist unmöglich, Chanel in einem Kleidungsstück zusammenzufassen. Unter ihrem riesigem Vermächtnis könnte man natürlich das schwarze Kleid von 1926 zitieren, einfach und radikal, Ankündigung der zeitgenössischen Prêt-À-Porter Mode, demokratisch; außerdem natürlich das berühmte Tweedkostüm der 1950er Jahre, raffiniert und vor allem praktisch – all das immer im Zusammenhang mit den neuen Lebensgewohnheiten der Frau.

ZEITmagazin: Es ist schwierig, etwas Schönes rational zu beurteilen. Welches Design mögen Sie persönlich denn am liebsten?
Gautier: Das Tweedkostüm – genauer gesagt, das, das Marie-Hélène Arnaud, Chanels Lieblingsmodel, 1958 getragen hat. Es widersetzt sich so schön der Abnutzung durch Zeit.

ZEITmagazin: Wann sind Sie zuerst in Kontakt mit Chanel gekommen? Was fasziniert Sie am allermeisten an dieser Marke?
Gautier: Ich habe die Mode schon mit 15 Jahren für mich entdeckt, dank der Vogue Paris. Meine erste Ausgabe ist von September 1991, eine Haute Couture Spezialausgabe. Unter den präsentierten Kollektionen war natürlich auch eine von Chanel. Karl Lagerfeld mischte damals die typischen Tweed- und Musselinstoffe mit transparentem Plastik, außerdem gab es Hüte mit riesigen Federn. Diese Kollektion habe ich wirklich geliebt, klassisch und gleichzeitig modern.

ZEITmagazin: Kate Moss kommt in ihrem Buch relativ häufig vor. Ist sie die Verkörperung der modernen Chanel Frau?
Gautier: Kate Moss kommt häufig in meinem Buch vor, weil sie ein hervorragendes Model ist und mit den größten Fotografen der Welt zusammengearbeitet hat. Aber Sie haben Recht, sie trägt die Mode von Chanel wirklich auf die perfekte Art und Weise. Eine zierliche Figur, ihre androgyne Silhouette, die dunkelblonden Haare. Sie hätte Gabrielle Chanel garantiert gefallen. Außerdem hat sie persönlich natürlich eine Art, sich mit Eleganz und Ungezwungenheit in Chanel zu kleiden. Gabrielle Chanel und Kate Moss haben einen gemeinsamen Sinn für Stil.

ZEITmagazin: Mode lebt vom Spiel zwischen Alt und Neu, dem Gesehenen und dem Ungesehenen. Wie definieren Sie Innovation?
Gautier: Die Geschichte der Mode hat uns gelehrt, dass das „Moon Girl“ der 1960er Jahre oder das „Cyber Girl“ der 1990er Jahre sehr kurzlebig waren, ohne Zweifel Opfer der Neuheit ihres Looks. Im Gegenzug dazu überlebt ein „Basic“-Kleidungsstück, wie „Das kleine Schwarze“ die Zeiten mit Leichtigkeit, sich immer wieder an unterschiedliche Dekaden anpassend.

ZEITmagazin: Was ist also bedeutsamer: Innovation oder Zeitlosigkeit?
Gautier: Zeitlosigkeit, natürlich!

Die Fragen stellte Hella Schneider