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Kreuzberg, quo vadis?

 

Was ist eigentlich los? In Kreuzberg steht eine überraschte Polizeitruppe einer Hundertschaft Jugendlicher gegenüber. Gestern holte eine Gruppe von sieben Jugendlichen einen einzelnen Schüler während der Unterrichtszeit aus dem Klassenraum und stach ihn nieder. Ebenfalls gestern nachmittag: Eine aufgebrachte Gruppe von Libanesen hindert Notärzte bei der Versorgung eines Unfallopfers. In Tempelhof wiederum verprügeln über fünfzig Schüler einen einzelnen Mitschüler. Der Wrangelkiez, bei dem die erstgenannte Situation eskalierte, gilt schon länger als Problemviertel. Einzig und allein die „Konrad Tönz Bar“ in der Falckensteinstraße gilt dort noch als Anlaufstelle für junges, friedliches Party-Volk, ansonsten verroht die Gegend zusehends. Wie schon hier festgestellt, ist das Problem nicht in erster Linie das Streitpotenzial einer Großstadt als solches. Wo Menschen unterschiedlichster sozialer Schichten, Herkünfte und Glaubensrichtungen aufeinander hocken, kann und wird es immer wieder zu Differenzen kommen. Mich jedoch erschrecken zwei Dinge: Die unkalkulierbar ausbrechende, mehrere Eskalationsstufen mit Leichtigkeit überschreitende Aggressivität und das völlige Ignorieren von Autoritäten (Lehrer, Schuldirektor, Polizei etc.) unter Inkaufnahme aller Konsequenzen. Beides spricht für ein völliges Fehlen von Empathie und – viel schlimmer – dafür, dass die Gewaltausübenden sich offensichtlich gesellschaftlich dermaßen mit dem Rücken zur Wand wähnen, dass sich dieses Gefühl in völlig blindem Hass und Gewalt entlädt.

Es wird in Kauf genommen, verhaftet, ggf. abgeschoben zu werden. Es wird in Kauf genommen, dass wegen nichtigster Streit-Anlässe Menschen sterben oder lebensgefährlich verletzt werden. Es wird in Kauf genommen, dass Unfallopfer zu Tode kommen.

Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass die Zahl der No-Go-Areas steigt. Wer sagt, es gebe sie nicht, der lügt. Die Integration von Menschen aus anderen Kulturkreisen funktioniert nur in den Teilen der Stadt, denen es finanziell noch einigermaßen gut geht. Wir sehen das rund um die Crellestraße in Schöneberg, wo Deutsche und Zugezogene sehr harmonisch miteinander leben und in vielen Kreuzberger Bezirken ebenfalls. Riskant wird es da, wo finanziell schlecht stehende Deutsche und Zugezogene miteinander zurecht kommen müssen. Wir müssen bedauernd zur Kenntnis nehmen, dass viele der Menschen dort so hoffnungslos sind, dass sie bereit sind für einen schnellen „Sieg“, sei es das Abziehen eines MP3-Spielers, sei es im Streit um die Abspiellautstärke von Musik das letzte Wort zu haben, sei es der erfolgreiche Kampf um die „Ehre“ oder der gottverdammte „Respekt“, sämtliche anderen moralischen Werte hinzuwerfen. Man kann den Jugendlichen das nur zum Teil vorwerfen. Sie sind Täter und Opfer zugleich, müssen ein ums andere kulturelle, soziale und ganz ureigene (Pubertät) Konflikte in sich austragen.

Wir ernten gerade die Früchte einer „Integration durch etwas Geld hinwerfen und ansonsten in Ruhe lassen“. Was wir brauchen ist Integration durch eingehende Sprachförderung (und -forderung!) und nachhaltige Kontrolle von intellektueller und sozialer Bildung. Das kostet Geld. Vermutlich ist es trotzdem billiger, als in 1-2 Jahren Pariser Banlieue-Verhältnisse vor der Haustür zu haben.