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Going East

 

Auf dem Weg in die Redaktion fahre ich häufig nach Moskau. Also gut, nicht die ganze Strecke. Aber immerhin ein Stückchen. Ich fahre zuhause in der Linienstraße los, biege dann in die Karl-Liebknecht-Straße ein. Vor dem Forum-Hotel biege ich nach links auf den Alexanderplatz. Ich fahre ungefähr vierhundert Meter geradeaus, am Umweltministerium und am Haus des Reisens vorbei, dann wieder nach rechts in Richtung Kreuzberg.

Auf den vierhundert Metern bewege ich mich auf geradem Weg in Richtung Moskau. Wirklich wahr, ich habe es im Atlas und mit dem Kompass überprüft. Die Straße heißt hinter dem Alexanderplatz Karl-Marx-Allee, früher Stalinallee, schon das ein deutliches Indiz. Die sechs Spuren sind gesäumt von den berühmten Zuckerbäckerbauten. Die Karl-Marx-Allee führt durch den Friedrichshain, unter dem S-Bahnring hindurch, weiter durch Lichtenberg bis an die Stadtgrenze, über Fürstenwalde nach Frankfurt (Oder) und dort über die Oder, quer durch Polen und seine Hauptstadt Warschau (dort heißt sie „Solidarnoscallee“), mitten durch das arme, unterdrückte Weißrussland hindurch und weiter durch das noch nicht ganz so unterdrückte Russland bis nach Moskau.

Auf den vierhundert Metern denke ich häufig daran, dass ich ja doch irgendwie Teil von etwas viel, viel Größerem bin. Manchmal denke ich auch darüber nach, einfach weiterzufahren und erst an der Solidarnoscallee eine Pause einzulegen. Aber stattdessen bin ich immer rechts abgebogen und fast jeden Morgen pünktlich zum Dienst in der Redaktion erschienen. Bisher hat sich noch keiner von meinen Kollegen darüber gewundert.

Falko Müller