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Polit-Talk beim Mittagessen

Unsere Redaktion befindet sich in unmittelbarer Nähe des Willy-Brandt-Hauses in Berlin. In letzter Zeit ist dort natürlich immer eine Menge los. Aber nicht nur in der SPD-Zentrale selbst, auch in der ganzen Umgebung.
Gerade war ich mit einem Kollegen in einem nahe gelegenen Restaurant zum Mittagessen. Als eine größere Gruppe eintraf, gaben wir freundlich zwei unserer Stühle ab, machten Platz, damit die zehn jungen Frauen und Männer Platz hätten.
Unsere Freundlichkeit bereuten wir ein wenig, als wir, ohne wirklich lauschen zu müssen, realisierten, dass es sich um eine größere Gruppe junger Sozialdemokraten handelte. Ganz unabhängig von Parteipräferenzen (ich bin mir sicher, bei jungen Christdemokraten, Bündnisgrünen oder gar FDPlern wäre das nicht anders) war es schon erstaunlich, erschreckend, aber vor allem sehr amüsant zu sehen, wie man sich so beim Politikernachwuchs unterhält: Das Heben und Senken der Stimme, das Gestikulieren mit den Händen, das übertriebene Zurschaustellen von Betroffenheit: Wie die Großen.
Und obwohl sich die zehn überhaupt nicht ähnlich sahen, weder von ihrer Kleidung (Anzug bis Strickpulli) noch von Gesicht (lang bis rund) oder Körperbau (ebenfalls lang bis rund) her – sagten Sie doch sehr ähnliche Sätze, machten dazu die gleichen bedeutungsvollen Gesichter und sahen dabei immer so – na ja, so kontrolliert aus. Das ganze garnierten sie mit typischen Politikersätzen wie „Das ist aber nur meine persönliche Meinung“ oder „Das halte ich für eine interessante Beobachtung“, Sätze, die man im persönlichen Umgang niemals verwenden würde, außer man wollte der angesprochenen Person zeigen, dass man sie nicht mag.
Es hörte sich so an, als seien alle gemeinsam in einer imaginären Sabine-Christiansen-Runde, die nur sie selbst wahrnehmen konnten an diesem Dienstag in Kreuzberg. Wenigstens sagte keiner von den Nachwuchshoffnungen der SPD zur anderen: „Ich danke ihnen für diese Frage“ – aber viel hätte nicht gefehlt.
Mit einer Mischung aus Erstaunen, Erschrecken und eben auch ziemlich belustigt machten mein Kollege und ich uns auf den kurzen Rückweg in die Redaktion. Froh, diese lehrreichen Minuten erleben zu dürfen. Froh, dass wir wieder in unsere Redaktion zurück durften und nicht mit den Jungpolitikern ins Willy-Brandt-Haus mussten. Wissend, dass wir sicher einige von den Gesichtern am Nebentisch eines nicht allzu fernen Tages im Fernsehen wiedersehen werden.

Falko Müller

 

Saarbrücken – nur ein Traum

Heute morgen schweißgebadet aufgewacht. Ich hatte geträumt, ich wäre am Hauptbahnhof Saarbrücken. Schlimm. Schlimmer noch: Ich bestieg einen Zug Richtung Hannover. Mein Wohnort. Gottseidank nur im Traum.

Schnell den Schweiß abgewischt, gefrühstückt und noch einmal kurz darüber nachgedacht, wie schön es ist, in Berlin zu sein. Aber nur kurz. In Berlin geht es nicht ums Denken. Sondern ums Leben.

Falko Müller

 

Initium

Berlin ist eine Wüste. Berlin ist eine Oase. Berlin ist ein Großstadtmoloch. Berlin ist ein Dorf. Vor allem ist Berlin eines: schwer zu beschreiben, schwer zu fassen, nicht kleinzukriegen.

In dieser Stadt leben wir jeden Tag, wir tun es gern, kein Wunder: Wir haben uns Berlin ja auch selbst ausgesucht. Als Journalisten bei zitty, dem Berliner Stadtmagazin, sind wir täglich dabei, das Unmögliche zu versuchen: Berlin zu verstehen, zu durchdringen, schlicht: in Berlin zu sein. Oder der Stadt zumindest interessante Geschichten abzutrotzen.

Die gibt es ständig: Ob bei der Arbeit, vor der eigenen Haustür, auf Partys, in Kneipen. Oder in der Wohnung von Freunden, von Freunden von Freunden oder von Leuten, die man eigentlich gar nicht kennt. Oder einfach im eigenen Kopf, der mittlerweile ganz andere Geschichten ausspuckt, als es wohl nach jahrelangem Aufenthalt in Castrop-Rauxel der Fall gewesen wäre. Diese Geschichten werden wir hier täglich aufschreiben. Dabei werden Sie viel über Berlin erfahren, ein wenig über uns und vor allem: Jeden Tag ein wenig mehr.

Rana Göroglu und Falko Müller

 

Das Berlin-Blog

Das Berlin-Journal – Ein Tagebuch vom Spreeufer. Hier bloggt der Bär. So lebt es sich in Berlin.

 

Volkspark Blues

Der idale Ort für eine Distinktionsgewinnspazur ist der Berliner Volkspark. Er fläzt sich breit durch Schöneberg und die letzten Ausläufer von Wilmersdorf. Im Gegensatz zu dem vital-verkorksten Kreuzberger Viktoriapark reiht sich hier ein Bildungsbürgermittelschichtdramolett an das nächste. Hier schieben einzelne Herren oder Damen Kinderwagen die Wege entlag, hier sitzen ergraute Paare auf Bänken und diskutieren mit eisigen Gesichtern die verwichene Paartherapiesitzung, hier liegen sommers grotesk körperbehaarte Bibilothekarinnen auf dem Rasen und winters gefrorene Pudelköttel. Hier preschen grell kostümierte Neopren-Radler durchs Unterholz, um wahllos zu verletzen.

Die einzigen Verpflegungsmöglichkeiten sind eine ranzige Imbissbude und eine Döneria mit dem sozialrealistischen Namen „Neuanfang“. Etwas versteckt am Westrand befindet sich ein verwitterter Minigolfplatz, wo hornbrillentragende, aufgequollene Datenbankspezialisten mit ihren 8-jährigen Söhnen herumklickern, während die Partnerin, meist Erzieherin, in Sichtweite auf der Bank das Zweitkind säugt.

Auch gibt es mehrere deprimierende Spielplätze, am frequentiertesten ist der am RIAS-Hauptgebäude. Hier spielen Kinder, deren Rotz aus grindigen Nasenlöchern läuft, auf der öffentlichen Bezahl-„City-Toilette“ werden Windeln gewechselt, und wer hier richtig glammen und glitzen will, der holt sich beim „Toni am Rias“ (Bei RIAS-Mitarbeitern auch Seuchen-Toni genannt) einen nach Heizöl und Twix schmeckenden Cappucchino auf die Faust. Wagemutige bestellen eine Pizza Funghi è Cippolla, einen rotbeigefarbenen käsig-öligen Reigen aus Dosenchampignons (3. Wahl), vergorenen Zwiebelringen und zwei Handvoll 0,99 EUR-Emmentaler (gerieben) und verzehren dieses tomatenmarktropfende Arrangement, im Sand sitzend, während die Kinder sich an der Wasserpumpe die finale Erkältung holen.

Wer samstags hier promeniert, kann mit etwas Glück am Schöneberger Rathaus gratis den Entwürdigungen einer standesamtlichen Trauungs-Nachbereitung folgen (Dicke Menschen im Dreiteiler oder Abendkleid, die Fotos machen, Drehorgelspieler, Brautpaar, das gerade vor Zeugen gelogen hat).

Des Sonntags ist an gleicher Stelle der direkte Schwenk zum weltberühmten Flohmarkt am Schöneberger Rathaus möglich. Hier kann man seine Santana-Plattensammlung komplettieren, in altem Geschirr oder 2nd-Hand-Kinderkleidung herumwühlen, völlig überteuerte und überdies defekte Röhrenradios erstehen, oder einfach nur stumpf beim mobilen Imbiss eine sättigende Erbsensuppe einnehmen. In Gehweite eine Bouleanlage, von kugeligen Restaurantbetreibern nach dem ersten Herzinfarkt besetzt, die sich in der Frühmittagssonne langsam einen ersten Bordeauxrausch zusammentrinken.