Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Heute mal die Zukunft in Ordnung bringen

 

Wenigstens da waren sich Amerikaner und Europäer einig: Die Nato hat ein Verkaufsproblem. Wer weiß schon noch, warum deutsche Soldaten in Afghanistan stehen? Wie, wenn überhaupt, lässt sich dem Souverän noch klar machen, dass es seine Sicherheit ist, die da am fernen Hindukusch verteidigt wird? So lautet die klamme Bilanz des ersten Tages der 44. Münchner Sicherheitskonferenz.
Was die verteidigungspolitische Prominenz des Nato-Westens im edlen Hotel Bayerischer Hof abhielt, war vor allem eine Vergewisserungsveranstaltung über die eigene Ungewissheit.

Allen lauten amerikanischen Rufen nach deutschen Soldaten für den Süden Afghanistans zum Trotz, predigte Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) das Konzept der “vernetzten Zusammenarbeit”. Unverdrossen betete er das Gebet von der „selbsttragenden Sicherheit“ herunter, welche es in Afghanistan herstellen gelte, und zwar vor allem durch Ausbildung einheimischer Kräfte.
Einig war sich Jung mit seinen amerikanischen Counterparts immerhin über die mangelnde Unterstützung durch die Heimatfront. Es werde in der Öffentlichkeit „zu wenig dargestellt“, so Jung, dass immerhin 28 Millionen Afghanen von der Terrorherrschaft der Taliban befreit worden seien, knapp sieben Millionen Kinder wieder zur Schule gehen könnten und schon 4,7 Millionen Flüchtlinge in ihre Heimat zurückgekehrt seien, weil sie die Lage mittlerweile für hoffnungsvoll und sicher genug hielten.

Leider ahnt man, warum die Kommunikation zwischen Verteidigungsministerium und Wahlvolk trotzdem krankt. Dann nämlich, wenn Jung unelegant doziert, der „kombrehensiff abrootsch“ sei entscheidend „im Hinblick auf einen positiven Prozess in Afghanistan.“ So redet man niemanden heiß.

Wie sich ein Publikum rhetorisch packen lässt, führte kurz darauf der republikanische US-Senator Lindsey Graham aus South Carolina vor. Er war anstelle des erfolgsverhinderten Präsidentschaftskandidaten John McCain auf das Münchner Podium gekommen.
„Gewinnen wir in Afghanistan?“, fragte er schlicht. Und antwortete einfach: „Ich bin mir nicht so sicher.“ Da wurde es schon still im Saal. Regelrechte Andächtigkeit produzierte Graham in der Folge mit einer Reihe von selbstkritischen Bekenntnissen.

„Es geht in Afghanistan auch um einen Krieg der Ideen“, sagte er. Und: „Wenn wir Fehler machen wie Guantánamo, laufen wir Gefahr, diesen Kampf zu verlieren. Denn mit so etwas verlieren wir unseren moralischen Vorsprung. Wir haben ganz einfach eine Reihe von Fehlern gemacht seit dem 11. September 2001.“ Ihm, so Graham, wäre viel wohler, wenn Terrorverdächtige, die in Afghanistan festgenommen würden, vor ordentliche Gerichte gestellt würden, wo ihnen „unter den Augen der Welt“ ein fairer Prozess gemacht werden könne.

Das war Salbe auf die transatlantische Seele.

In solchen Momenten zeigte diese 44. Sicherheitskonferenz mit aller Deutlichkeit: Amerikas Falken sind müde. Zwar mag erst Ende nächsten Jahres eine Regierung der Demokratischen Partei die Ära Bush II beenden. Doch der neokonservative Moment der Washingtoner Außenpolitik ist schon heute vorbei. Da mögen die Amerikaner noch so entschieden nach gerechter Lastenteilung im Bündnis rufen – von den Methoden der soft power Europa zeigen sie sich mittlerweile erstaunlich beeindruckt.

„Ihr Deutschen stellt 3000 Soldaten und leistet damit den drittgrößten Beitrag in Afghanistan“, sagt die amerikanische Nato-Botschafterin Victoria Nuland gegenüber der ZEIT. „Was Deutschland gerade leistet, und zwar nicht nur für die Zukunft Afghanistans, sondern auch bei der Entwicklung eines weltweiten Beitrags Deutschlands zu Frieden und Sicherheit, ist extrem wertvoll. Bei der Nato sprechen wir von ,vernetzter Sicherheit’. Es geht dabei nicht nur ums Militär, sondern auch um Regierungsfähigkeit, Entwicklung, Drogenbekämpfung – alle diese Aspekte eben, die zusammen gedacht werden müssen.“ – Plötzlich sind wir alle Nation Builder.

Ein wie großes Umdenken derartige Statements beweisen, wird deutlich, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass vor nicht langer Zeit die US-Regierung Nation Building im Wesentlichen mit Regime Change gleichsetzte. George Bush, Richard Cheney und Donald Rumsfeld dachte noch am Vorabend des Irakkrieges, die Iraker würden die amerikanischen Soldaten mit Blumen begrüßen und sofort selbst mit dem Aufbau einer demokratischen Gesellschaft beginnen, sobald Saddam Hussein gestürtzt sei. Als Präsidentschaftskandidat sagte Bush noch über sein Bild der US-Armee:
„Ich glaube nicht, dass unsere Soldaten für etwas eingesetzt werden sollten, was als Nation-Building bezeichnet wird. Meiner Meinung nach sollten unsere Soldaten dafür eingesetzt werden, einen Krieg zu führen und zu gewinnen.“
(zitiert nach Francis Fukuyama, Scheitert Amerika?, List 2007, S. 55)

Zwei Kriege später haben er und seine Regierung offenkundig eine Menge dazugelernt.

Aber gilt das auch für die Europäer?

Es hat etwas Geducktes, Verdruckstes und furchtbar Verlegenes, wenn Franz Josef Jung Sätze sagt wie: „Allein militärisch werden wir diesen Prozess nicht gewinnen“ Denn allein nicht-militärisch dürfte man diesen Prozess (gemeint ist die dauerhafte Befriedigung Afghanistans) noch viel weniger gewinnen.

Daran erinnerte der selbstkritische Senator Graham die Europäer. „Der Kampf ist im Süden“, sagte er mit Blick auf die regelrechten Schlachten, die sich Amerikaner, Kanadier und Briten dort täglich mit Taliban-Verbänden liefern. Neben Deutschland geraten immer wieder Spanien, Italien und Frankreich wegen weitreichender Einsatzbeschränkungen (der so genannten caveats) in die Kritik.

Den wahrscheinlich nachhaltigsten Beweis zur Verunsicherung der europäischen Nato-Partner lieferte indes der französische Verteidigungsminister Hervé Morin. In einer länglichen, erschreckend uninspirierten Rede reihte der 47jährige eine beachtliche Anzahl sicherheitspolitischer Plattitüden („Wir müssen global denken!“) und Alltagsfragen („Soll die Nato ein globales Stabilisierungsinstrument werden?“) aneinander, bekannte sowohl seine Freundschaft für die Nato („Europa muss mehr für die Lastenteilung im Bündnis tun. Europa muss erwachsen werden!“) wie auch für Europäische Verteidigungsgemeinschaft („Europäische Kräfte müssen zuerst für das das eingesetzt werden, was die EU betrifft“), bis er das Publikum plötzlich mit einem – in der Tat nicht für Afghanistan höchst treffenden – Zitat von Antoine de Saint-Exupéry aufweckte: „Die Zukunft ist immer nur die Gegenwart, die es in Ordnung zu bringen gilt.“ So weit, so literarisch.

Für die Generationenaufgabe in Afghanistan gilt vielleicht noch präziser eine Weisheit von Theodore Roosevelt: „We cannot always build a future for our youth. But we can always build our youth for the future.“

In München bleibt der versammelten Verteidigungselite für die globale Aufräumarbeit noch der Sonntag. Er beginnt mit einer Rede des amerikanischen Verteidigungsministers Robert Gates, die mit Spannung erwartet. Gates immerhin gehört zu jenen Republikanern, die sich mehr echte Kooperation mit Europa wünschen.
Aber vielleicht hat sein jüngster Brief an die Nato-Kollegen gezeigt, dass es für Europa nicht unbedingt ein Grund zur Freude muss, wenn Amerika in absehbarer Zeit ein bisschen europäischer, sprich: multilateraler wird?

Denn immerhin, auch ein Weltmachtführer mit Namen John McCain, Barack Obama oder Hillary Clinton wird sich um ein paar der verbleibenden Probleme des Planeten kümmern müssen. Und deren Zahl nimmt eher zu denn ab. Neben Irak und Afghanistan werden immer mehr Staaten zu Wackelkandidaten, von denen entweder Bürgerkrieg, Terror- und Atomwaffenexport oder gleich alles zusammen droht. Kosovo, Somalia, Libanon, Palästina, Syrien, Iran, Nordkorea. Um nur die Liste mit Stand vom Wochenende zu nennen.