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Europas neue Superposten. Ein Brevier

 

Noch ist der Lissabon-Vertrag (ehemals „Europäische Verfassung“) nicht in Kraft getreten, da treiben die Spekulationen um die Besetzung der beiden neuen Posten in Brüssel bunte Blüten. Die bisher am ernsthaftesten gehandelten Kandidaten für das Amt des Europäischen Präsidenten sind Tony Blair und Jean-Claude Juncker. Die Präsidentschaft des Rates (der Versammlung aller 27 EU-Regierungen) soll künftig nicht mehr per halbjährlicher Rotation an einen der Regierungschefs fallen. Vielmehr soll der Präsident soll zweieinhalb Jahre lang dem politischen Leitgremium der EU vorsitzen.

Er soll laut Lissabon-Vertrag dem Rat „Impulse“ geben, für „Kontinuität“ sorgen und „auf seiner Ebene und in seiner Eigenschaft die Außenvertretung der Union in Angelegenheiten der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ wahrnehmen.

Als Kandidaten in Spiel gebracht werden vom Brüsseler Flurfunk neben Blair und Juncker, der irische Ministerpräsident Bertie Ahern, der dänische Regierungschef Anders Fogh Rasmussen, der belgische Ex-Premier Guy Verhofstadt, die ehemaligen spanischen Ministerpräsidenten Felipe Gonzáles und José Maria Aznar sowie der ehemalige polnische Präsident Aleksander Kwaśniewski.

Legalistisch betrachtet wird der neue Dauerpräsident allerdings nicht viel mehr Durchsetzungskraft besitzen als die bisherigen Ratsvorsitzenden. Denn wegen des polnischen Einspruchs gegen Mehrheitsbeschlüsse im Rat wird bis 2014 das Veto nur eines Mitgliedslands ausreichen, um jede noch so gut einfädelte Politik des EU-Präsidenten zu blockieren.

Zugleich sollen die Posten des bisherigen Außenbeauftragten (Javier Solana) und des Außenkommissars (Benita Ferrero-Waldner) zu einem „Hohen Repräsentanten für Außenpolitik“ verschmolzen werden, sprich zu einem europäischen Außenminister. Er soll zugleich Vizepräsident der Kommission sein. Er wird für seine Aufgaben vom Rat mandatiert werden und einen eigenen diplomatischen Dienst erhalten. Dieser Dienst soll sich aus dem Ratssekretäriat, der Kommission und Abgesandten der Mitgliedsstaaten zusammensetzen.
Momentan gilt als wahrscheinlich, dass Javier Solana das Amt über den 1. Januar 2009 hinaus bis zum 31. Oktober führen wird. Denn zum 1. November 2009 wird die Kommission neu zusammengesetzt.

Neben dem Spanier sind als mögliche Kandidaten für das Chefdiplomaten-Amt unter anderem eine Reihe von derzeit amtierenden Außenministern im Gespräch: Carl Bildt (Schweden), Bernhard Kouchner (Frankreich), Massimo D’Alema (Italien) und Miguel Moratinos (Spanien). Als weibliche Kandidaten werden die irische Präsidenten Mary Robinson und die finnische Staatschefin Tarja Halonen gehandelt. Joschka Fischer, der recht früh ins Gespräch gebracht worden war, hat mittlerweile klar abgesagt; er stehe für politische Ämter nicht mehr zu Verfügung.

Indes ist noch völlig unklar, wie sich die Kompetenzen des neuen Präsidenten von denen des neuen Außenministers abgrenzen lassen werden. Potentiell greifen die Ämter stark ins Revier des jeweils anderen ein. Einigermaßen klar ist hingegen, dass in Zukunft der Posten des Kommissionspräsidenten (derzeit Manuel Barroso) viel von seinem repräsentativen Charakter einbüßen dürfte. Angesichts der Machtfülle der beiden neuen Ämter wird er zurechtgestutzt auf den Leitungssessel einer – wenngleich mit Politikern bestückten – Verwaltungsbehörde.

Bei der Zusammenstellung der neuen Ämter wird der europäische Parteienproporz zu wahren sein. Wird der Präsident ein Sozialist, müsste der Außenbeauftragte eher ein Konservativer werden, beziehungsweise vice versa. Eine „Paketlösung“ wird allerdings dadurch erschwert, dass ein neuer Kommissionspräsident erst nach den Wahlen zum nächsten Europaparlament bestimmt werden kann. Und die finden erst im Juni 2009 statt – ein halbes Jahr, nachdem das Fell von Lissabon verteilt sein muss.