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“Wir schätzen Mut”

 

Schneidende Worte hat George W. Bush für seinen letzten Nato-Gipfel gewählt. In Bukarest trat er vor dem offiziellen Beginn des großen Allianztreffens vor kleinem, zumeist pro-atlantisch gesinntem Publikum ans Rednerpult. Wie erwartet, gab der amerikanische Präsident in Kurzform sein sicherheitspolitisches Vermächtnis zu Protokoll.

Es kulminierte in einem Bekenntnis, das die einen Verbündeten als Liebeserklärung begreifen durften. Gewisse andere liegen sicher nicht falsch, wenn sie es als endgültigen Ausdruck tief empfundener Bedeutungslosigkeit werten.

“Wir schätzen Mut”, bekannte Bush über die Washingtoner Weltsicht. “Wir schätzen Völker, die die Freiheit lieben. Und wir schätzen Menschen, die glauben, dass Freiheit zu Sicherheit führt.”

Dafür erntete der scheidende US-Präsident donnernden Applaus vor allem von den jungen Rumänen, die für den Vortrag ausgewählt und in den ersten Reihen platziert worden waren. Für viele Osteuropäer ist Amerika noch immer die Macht des anti-totalitären Guten, weshalb das entschlossene Engagement rumänischer Soldaten im Irak und Afghanistan an der Seite der US-Truppen deshalb unangezweifelt bleibt.

Den wenigen Vertretern Deutschlands im Saal hingegen fiel es sichtlich schwer, sich zum Beifall ebenfalls von ihren Stühlen zu erheben. Zu belastet ist das Verhältnis zu diesem weltenbrennerischen Neocon noch immer. Und zu sehr begreift manch Germane Bushs Worte als Anspielung auf ein Deutschland, dass hier in Bukarest schon im Vorfeld des eigentlichen Gipfels als lästiger Bedenkenträger und Entscheidungsbremser abgestempelt ist.

“Schon verstanden”, knurrte ein deutscher Regierungsvertreter auf dem Weg nach draußen.

Wirklich?

Was sich in Bukarest abzeichnet, ist – Bushs Abschied von der Weltbühne hin oder her – eine Neukalibrierung des westlichen Verteidigungsbündnisses. Deutschland droht, dabei in die Riege der unsicheren und deshalb unwichtigen Kantonisten abzusteigen.

Aller Voraussicht nach werden die 26 Staats- und Regierungschefs der Nato am Donnerstag die drei Balkanstaaten Kroatien, Mazedonien und Albanien als Neumitglieder ins Bündnis aufnehmen. Schon diese Erweiterung war für Deutschland schwer zu schlucken. Albanien, so ist aus Diplomatenkreisen zu vernehmen, sei aus Berliner Sicht für eine Nato-Mitgliedschaft eigentlich noch nicht reif.

Doch nun drängt die scheidende US-Regierung auch noch, Georgien und Ukraine einen Fahrplan für die Mitgliedschaft anzubieten. Deutschland ist zwar nur einer von mehreren europäischen Staaten, die diesen Schritt für verfrüht halten. Dennoch trifft die Deutschen in Bukarest die geballte Wut vieler Georgier, Osteuropäer und Amerikaner.

Der Grund dafür liegt nicht allein im Nein zu einer eurasischen Nato-Ausdehnung. Die vielen Neins und Jeins der Deutschen zu wichtigen Nato-Projekten addieren sich vielmehr allmählich zu einer Haltung, die von vielen Verbündeten als – freundlich ausgedrückt – verwunderlich begriffen wird. Oder, unfreundlicher: als schleichender Abschied Deutschlands aus den Kernstaaten der Allianz.

Das zweite und dritte Nein der Deutschen betrifft Afghanistan. Die Bundesregierung werde keine zusätzlichen Soldaten schicken, schon gar keine in den Süden, machte die Bundeskanzlerin kürzlich unmissverständlich klar. Bush sagte darauf hin in einem Interview mit der WELT, er werde von Deutschland keine Entscheidungen mehr fordern, die politisch unmöglich seien. Mit anderen Worten: Er schreibt die Germanen ab.

Auch an den weitreichenden Einsatzbeschränkungen für seine Truppen am Hindukusch will Deutschland nicht rütteln – obwohl der Nato-Generalsekretär ohne Unterlass die Abschaffung aller nationalen “caveats” fordert.

Ein klares Jein ringen sich die Deutschen zu den Raketenabwehrplänen ab, mit denen die USA Langstreckenraketen aus dem Iran abfangen wollen. Hier bestehe noch Prüfungsbedarf, wiederholen deutsche Diplomaten immer wieder gebetsmühlenhaft.

Ein weiteres Nichts ist aus Angela Merkels Ankündigung geworden, die Nato wieder zur wichtigsten Plattform für transatlantische Beratungen zu machen. Tatsächlich sind die Tagungen rund um den Bukarester Gipfel zwar von der ersten Regierungsriege vieler Nato-Partner besetzt. Die Bundesregierung hingegen hat es nicht geschafft, prominente Botschafter auf die wichtigen Plenen zu entsenden. “Dramatisch” nennt ein amerikanischer Beobachter die dünne deutsche Beteiligung an den Strategiedebatten.

Nicht nur den Amerikanern, auch den Osteuropäern drängt sich bei all dem der Eindruck auf, Deutschland leide unter einer geopolitischen Kompassstörung. Statt klarer Solidarität mit der Nato sei es Berlins erste Sorge, Moskau nicht zu vergrätzen. Ein Vertreter Georgiens sprach gar von deutschem “Appeasement” gegenüber Wladimir Putin.

Das mag überzogen sein. Aber das Label haftet. Deutschland, so viel ist sicher, gilt nicht länger als wichtigster transatlantischer Brückenpfeiler auf dem europäischen Kontinent. Für diese Aufgabe steht mittlerweile ein anderer bereit. Frankreichs Präsident Sarkozy wartet nur darauf, die Rochade zu vollenden, die Deutschland so sichtbar in Bukarest eingeleitet hat.