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Schlappe für Bush? Von wegen

 

Wie schnell sich Deutschlands öffentliche Meinung doch nach bekannten Mustern formt. George W. Bush ist also der große Verlierer des Nato-Gipfels. Trotzig wie ein Kind sei er gegen den erklärten Widerstand der Europäer angerannt mit seinem Wunsch, die Ukraine und Georgien in die Nato aufzunehmen. Und habe sich zum Ausstand von der Allianz eine bittere Schlappe eingefangen.

So weit, so oberflächlich.

Tatsächlich hat Bush mehr von seiner Position durchsetzen können als die Deutschen von ihrer. Das Ziel der Amerikaner war es nie, die Ukraine und Georgien schon morgen in die Nato aufzunehmen. Sie drängten vielmehr darauf, die beiden Staaten in den Membership Action Plan (MAP) aufzunehmen, in eine intensive Dialog- und Kooperationsphase, an deren Ende irgendwann die Mitgliedschaft stehen könnte. Dieser Prozess kann viele Jahre dauern.

Ziemlich genau das hat der Nato-Gipfel nun auch beschlossen. Nur, dass das Kind nicht so heißt. Zu sehr hätte man mit einem offiziellen MAP das ohnehin gekränkte Russland vergrätzt, lautete die deutsche Sorge. Offiziell berief sich die Bundesregierung darauf, in Georgien bestünden noch zwei ungelöste Regionalkonflikte, mit Abchasien und Südossetien. Und die Ukraine sei in der Frage der Nato-Mitgliedschaft tief gespalten, man dürfe der Bevölkerung keinen fremden Willen aufdrängen. Das Problem ungelöster Regionalkonflikte galt allerdings 1999, als Mazedonien in den MAP aufgenommen wurde, nicht. Der Staat, ein Zerfallsprodukt des ehemaligen Jugoslawiens war damals noch politisch zerrissen und stand kurz vorm Bürgerkrieg. Und wäre es nach dem Willen der Deutschen gegangen, dann wäre die Bundesrepublik 1955 wohl kaum der Nato beigetreten. Schließlich galt es als Zweck der Bündnisses „To keep the Russians out, the Americans in, and the Germans down“. Adenauer setzte die Mitgliedschaft trotzdem durch – mit keineswegs unwillkommenen Folgen.

Und nun? Was ist das Resultat von Bukarest?

Russland ist natürlich auch so vergrätzt. Denn die Nato hat genau das getan, was Moskau befürchtet hat: Sie hat der Ukraine und Georgien eine klare Beitrittsperspektive gegeben. In dem Kommuniqué, das die 26 Staatschefs unterzeichneten, heißt es „dass beide Länder einmal Mitglieder der Nato werden“. (Org.: We agreed today that these countries will become members of NATO.*) Das ist MAP ohne es MAP zu nennen – bloß mit negativen diplomatischen Folgen.
„Sie können sich vorstellen, dass das nicht die Formulierung ist, die wir uns gewünscht haben“, sagt ein deutscher Diplomat unter Hinweis auf den starken amerikanischen Einfluss in den Beratungen. Immerhin sei es aber gelungen, das „Symbol“ des MAP nicht auszusenden. Dies sei das Ziel Deutschlands gewesen.

Doch um welchen Preis hat Deutschland dieses Ziel erreicht? Es hat dafür ein großes Stück seiner moralischen Glaubwürdigkeit drangegeben, glaubt der Kommentator der International Herald Tribune, John Vinocur:
„Von Angela Merkel nahm man lange an, sie sei in der Lage, einer anti-demokratischen Macht strategische Symbole vorzuenthalten. Was sich stattdessen durchsetzte, waren Deutschlands Wirtschaftsinteressen, privilegierte Deals und der Wunsch der Kanzlerin angesichts der Wahlen im kommenden Jahr nicht die Vorstellung einiger ihrer sozialdemokratischen Koalitionspartner in Zweifel zu ziehen, wonach der beste Platz für Deutschland in einer Äquidistanz zwischen den Vereinigten Staaten und Russland besteht.“

Zudem ist dieser „Erfolg“ allenfalls taktisch. Schon im Dezember sollen die Nato-Außenminister nun erneut über den Status von Georgien und der Ukraine beraten. Laut Beschluss des Gipfels sind sie ermächtigt, über die Anwendung von MAP gegenüber den beiden Aspiranten zu entscheiden („Foreign Ministers have the authority to decide on the MAP applications of Ukraine and Georgia.„).

Regelrecht peinlich für die europäische Diplomatie ist zudem, dass es ihr nicht gelungen ist, im Namensstreit zwischen Griechenland und Mazedonien einen Kompromiss auszuhandeln. Aus kleinkarierten Gründen wollte Athen nicht, dass der Nachbarstaat unter seinem längst gewohnheitsmäßig gebrauchten Namen, sprich: Mazedonien der Allianz beitritt. Denn eine nordgriechische Provinz heißt genauso. Nun muss das Land tatsächlich draußen bleiben, während Kroatien und Albanien eine Beitrittseinladung in die Nato erhielten. So viel zum Konsenskünstler Europa.

Einen völlig ungeahnten Sieg konnte George W. Bush derweil bei seinen Plänen eines Raketenabwehrsystems in Europa erzielen. Die Nato-Staatschefs haben sich darauf geeinigt, das US-System zu befürworten, das eine Radarstation in Tschechien und eine Abfangstellung mit 10 Interzeptor-Raketen in Polen vorsieht. „Wir erkennen den wesentlichen Beitrag für den Schutz der Verbündeten von Langstreckenraketen an, den die geplante Errichtung von Europa-basierten US-Anti-Raketenstellungen bietet“, heißt es in dem Abschlusskommuniqué.**

Das Zustandekommen dieser Erklärung muss die Deutschen nicht nur überraschen (vor dem Gipfel gingen sie davon aus, die Missile Defense würde allenfalls am Rande angesprochen), es ist aus ihrer Sicht auch eine mittelschwere Katastrophe. Bisher hatte sich Berlin – ebenfalls aus Rücksicht auf Russland – erfolgreich um eine klare Haltung zur Raketenabwehr herumgedrückt. Immerhin wird in dem Kommuniqué betont, dass es sich vorerst weiter um ein US-, kein Nato-System handeln solle. Ansonsten müsste Deutschland, wie es einer seiner Vertreter in Bukarest formuliert, „wahrscheinlich 20 Cent zu jeden Euro beisteuern, der dafür ausgegeben wird.“

Indes werden Angela Merkels Diplomaten sämtliche Energien aufbieten müssen, um die Errichtung des Systems für Russland verdaulich zu gestalten. Bisher hatte Putin das Missile Defense Programme, das gegen Langstreckenraketen aus Iran installiert werden soll, wider alle technischen Fakten zu einer Bedrohung für sein Nuklearraketenpotenzial aufgeblasen.

Erhellend waren in diesem Zusammenhang die Äußerungen, die der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses der Duma, Konstantin Kosachev, am Rande des Gipfels auf einer begleitenden Konferenz machte. Russland habe eigentlich gar nichts gegen die Raketenabwehr, bekannte er nach einigen Nachfragen. Es wolle nur gerne als ernst zu nehmender Partner eingebunden werden.

„15 oder 20 Abfangraketen in Polen stellen keine ernsthafte Bedrohung für Russlands Raketenpotenzial dar, natürlich“, sagte Kosachev auf einem Plenum des German Marshall Funds. „Russland und Europa teilen dieselbe Bedrohung“, ergänzte er mit Blick auf das iranische Raketenprogramm. Doch gegenüber dem nato-fixierten Europa habe Russland schlicht mit der Brechstange auf sich aufmerksam machen müssen.

„Der höfliche Ton gegenüber der Nato hat uns zehn Jahre lang nicht weitergebracht“, sagte Kosachev. Russland werde erst wieder wahrgenommen, seit Wladimir Putin auf der Müncher Sicherheitskonferent 2007 den Westen in rüdem Ton angegriffen habe. „Jetzt hört man uns zu!“, rief Kosachev. Er hoffe nun, dass George W. Bush und Wladimir Putin bei ihrem anstehenden Treffen in Sotschi zu einer Lösung für den Raketenschild kämen.

Ein Vertreter der Bundesregierung sagte der ZEIT dazu, damit biete sich die Chance, „aus der Missile Defense ein konstruktives Großprojekt für die USA, Europa und die Nato zu machen“ – mit Hilfe starker deutscher Vermittlung. Ein Vertreter der US-Regierung sagte der ZEIT, denkbar sei es, die Installationen des Raketenschildes in ähnlicher Weise überwachen zu lassen, wie es die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) bei Nuklearanlagen tue, sprich mithilfe von Kameras und Sensoren.

Voraussetzung dafür wäre freilich, dass Wladimir Putin bei seinem mit Spannung erwarteten Auftritt in Bukarest nun nicht noch antiwestlichere Laune demonstriert als seinerzeit in München.

Aber das wäre dann selbstverständlich wieder die Schuld von George W. Bush.

* Die vollständigen entsprechenden Passagen in der Abschlusserklärung der Staatschefs lauten:

NATO welcomes Ukraine’s and Georgia’s Euro‑Atlantic aspirations for membership in NATO. We agreed today that these countries will become members of NATO. Both nations have made valuable contributions to Alliance operations. We welcome the democratic reforms in Ukraine and Georgia and look forward to free and fair parliamentary elections in Georgia in May. MAP is the next step for Ukraine and Georgia on their direct way to membership. Today we make clear that we support these countries’ applications for MAP. Therefore we will now begin a period of intensive engagement with both at a high political level to address the questions still outstanding pertaining to their MAP applications. We have asked Foreign Ministers to make a first assessment of progress at their December 2008 meeting. Foreign Ministers have the authority to decide on the MAP applications of Ukraine and Georgia.

(…)

Ballistic missile proliferation poses an increasing threat to Allies’ forces, territory and populations. Missile defence forms part of a broader response to counter this threat. We therefore recognise the substantial contribution to the protection of Allies from long‑range ballistic missiles to be provided by the planned deployment of European‑based United States missile defence assets. We are exploring ways to link this capability with current NATO missile defence efforts as a way to ensure that it would be an integral part of any future NATO‑wide missile defence architecture. Bearing in mind the principle of the indivisibility of Allied security as well as NATO solidarity, we task the Council in Permanent Session to develop options for a comprehensive missile defence architecture to extend coverage to all Allied territory and populations not otherwise covered by the United States system for review at our 2009 Summit, to inform any future political decision.

We also commend the work already underway to strengthen NATO‑Russia missile defence cooperation. We are committed to maximum transparency and reciprocal confidence building measures to allay any concerns. We encourage the Russian Federation to take advantage of United States missile defence cooperation proposals and we are ready to explore the potential for linking United States, NATO and Russian missile defence systems at an appropriate time.