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Koloss Demos

 

Wenn Rumäniens Diktator Nicolai Ceausescu das noch erlebt hätte, er wäre wahrscheinlich gestorben vor Zorn. Von den Säulenwänden seines „Haus des Volkes“ mitten in Bukarest hängen blaue Nato-Banner mit dem Logo des Gipfeltreffens. Riesige Tücher sind es, fast als habe Christo soeben mit der Verpackung des monströsen Gebäudes begonnen. Weithin sichtbar künden sie von der Zusammenkunft der 26 Staats- und Regierungschefs des einstigen Feindbündnisses Nato.

Schwierig, sich eine eindrucksvollere historische Zweckentfremdung eines politischen Monuments vorzustellen.

12 Stockwerke hoch, noch einmal so viele tief und 270 Meter lang, sollte der Volkspalast, ein neoklassischer Marmorgigant, von der Überlegenheit der Sozialismus kündigen. Stattdessen ist er steinernes Zeugnis des real existierenden Größenwahns jenes wohl repressivsten kommunistischen Regimes Europas geblieben. Der Palast sei, gleich nach dem Pentagon, das zweitgrößte Gebäude der Welt, wird desöfteren kolportiert. Das mag stimmen oder auch nicht. In der Liga der zynischen Bauten des Planeten dürfte er jedenfalls einen der vordersten Plätze einnehmen.

Ceaucescu ließ 1984 mit den Bauarbeiten beginnen, während viele Rumänien unter bitterer Armut, winterlicher Kälte und manchmal gar Hunger litten. Einen Mitarbeiterin des rumänischen Außenministeriums, Mitte Dreißig, die half, den Nato-Gipfel vorzubereiten, berichtet aus ihrer Schulzeit in den 80ern: „Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich im Winter im Klassenzimmer, wenn ich die Tafel wischen sollte, erst einmal die Eisdecke im Wassereimer durchschlagen musste. In dieser Kälte saßen wir den ganzen Tag in der Schule.“

In seine gigantomanische Wärmestube zog der Diktator Ceaucescu niemals ein. Kurz vor der Fertigstellung, im Revolutionsjahr 1989, wurden er und seine beim Volk noch verhasstere Frau nach einem Schnellverfahren exekutiert.

Dafür geben sich in dieser Woche nun gleich zwei Großmacht-Präsidenten eben dort die Klinke in die Hand. Sowohl George W. Bush wie auch Wladimir Putin werden bei dem Treffen im heutigen Bukarester Parlamentspalast ihre sicherheitspolitischen Vermächtnisse hinterlassen – der eine als mächtigster Förderer, der andere als lautester Herausforderer der Nato.

Fast möchte man den Bukarestern dafür danken, dass sie den Palast nicht, wie von einigen 89er-Revolutionären damals gefordert, mit ein paar Tonnen Dynamit pulverisierten, sondern ihn in seinem ganzen Gepränge fertig stellten und später sowohl für ihre Volksvertreter wie für internationale Konferenzen öffneten. Denn für die Gelegenheit dieser Woche, für das Aufeinandertreffen von neokonservativer und neozaristischer Hybris, ließe sich kaum eine sprechendere Kulisse finden. Ob sich Bush und Putin von der Architektur mahnen lassen? Immerhin, der Megabau steht heute eindrucksvoll für die Macht des Demos, der Bevölkerung. Die Umwidmung des Kolosses durch die Rumänen in einen wahren Palast des Volkes macht ihn, neben seinem Charakter als geschichtlichem Mahnmal, zugleich zu einer Trutzburg der Souveränität.

Ob sich dort drin nicht auch die Größten ein wenig kleiner fühlen?

Russlands Vertreter bei der Nato-Tagung wissen offenbar nicht recht, was sie empfinden sollen nach den Beschlüssen, die ihnen das Bündnis ein wenig weiter auf den Leib rücken lässt. Die für Georgien und die Ukraine in Aussicht gestellte Mitgliedschaft in der Nato hält Moskau laut offizieller Stellungnahme für einen „riesigen strategischen Fehler“. Etwas versöhnlicher äußerte sich der russische Nato-Botschafter Dimitri Rogosin gegenüber der Tageszeitung Kommersant:

„Es ist klar, dass Russland Ansichten Gehör fanden“, sagt er, „obwohl sie nicht das einzíge waren, was eine Rolle spielte.“

Dass einer der nächsten Nato-Gipfel im Kreml stattfindet, scheint nach Ansicht der Mehrheit der hiesigen Beobachter dennoch unwahrscheinlich.