Es ist ein Tibet vor der Haustür Europas, aber kaum einen Journalisten interessiert es. Vor wenigen Wochen, Ende März, knüppelten Polizisten in der weißrussischen Hauptstadt Minsk junge Menschen nieder, die an einem Demonstrationszug für die Freiheit ihres Landes teilgenommen hatten. Viele von ihnen, so berichteten weißrussische Oppositionelle am Tag danach in Brüssel, seien verhaftet worden. Die EU geht davon aus, dass bis zu 80 friedliche Demonstranten in Arrest landeten.
Was mit ihnen in den Kerkern des moskautreuen Diktators Alexander Lukaschenka passiert, weiß niemand. Was man weiß, ist dass Lukaschenka weder EU- noch UN-Menschensrechtsbeobachtern die Einreise erlaubt und stattdessen öffentlich droht, Demonstranten „die Köpfe abzureißen“.
Eine Exil-Journalistin berichtete in Brüssel, nur noch wenige Untergrundzeitungen in Weißrussland wagten es, andere Nachrichten zu verbreiten als die gleichgeschalteten Massenmedien. Lukaschenka setze Kritik an seinem Regierungsstil mit Aufrührerei und Terrorismus gleich. Seine Geheimdienst sei mächtiger als jemals zuvor. Am 27. März verhafteten seine Agenten einige der letzten frei arbeitenden Journalisten im Land.
„Ich weiß nicht, wie es andere dort noch aushalten“, sagte Alhierd Baharewitsch, ein junger weißrussischer
Schriftsteller, der auf Einladung des Hamburgischen Landesvertretung in Brüssel aus seinen – in Weißrussland verbotenen – Büchern vorlas. „Ich habe es nicht. Ich konnte dort einfach nicht mehr atmen.“
Weißrussland grenzt an drei EU-Staaten, an Polen, Litauen und Lettland. Doch im Brüsseler Pressecorps erregte der Auftritt der weißrussischen Publizisten so gut wie keine Aufmerksamkeit. Fehlt dem Land vielleicht ein esoterisch-schillernders Exiloberhaupt? Oder ein hübscher Jedermanns-Gewissenskonflikt wie Olympia-Kommerz versus Moral?
Oder haben wir uns schlicht und einfach an ein dunkles Steinzeitregime als direkten Nachbarn gewöhnt?