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Durchgebrannt – Brüssel am Rande des Nervenzusammenbruchs

 

Eine Kurzreportage zum EU-Krisengipfel

Es sind Possen wie diese, die nicht nur viele Iren an Europa verzweifeln lassen. Ausgerechnet am Tag des großen Brüsseler Krisengipfels, bei dem die 27 Staatschefs der EU beraten wollen, wie es nach dem Nein der Iren zum Lissabon-Vertrag weitergehen soll, brennen bei der Kommission ein paar Drähte durch.

Die Glühbirne in Europa wird bis 2015 abgeschafft, verkündet der EU-Energiekommissar, der Lette Andris Piebalgs. Die Menschen sollen Energiesparlampen benutzen, um das Klima zu retten.

Das ist genau die zündende Zukunftsidee, auf die Europa so dringend gewartet hat. Der Kontinent wird gedimmt.

„Das ist nur ein sehr kleiner Beitrag zum Klimaschutz“, erläutert die Leiterin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Claudia Kemfert, in der FAZ, „aber nicht ganz zu vernachlässigen.“

Nicht ganz zu vernachlässigen dürften viele Europa vor allem die Frage finden, was es die EU angeht, welche Leuchtmittel sie sich zuhause in die Sockel schrauben. Der CDU-Europaparlamentarier Werner Langen ahnt den Zorn der Basis. Schnell schießt er am Morgen eine Pressemitteilung hinaus:

„Wir lassen die Köpfe rauchen, wie das Projekt EU bei den Bürgern wieder mehr Zustimmung bekommt, und die Kommission hat nichts Besseres zu tun, als die Abschaffung der Glühbirne zu fordern. Einige Kommissare haben offenbar nichts verstanden“, wütet der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament.

Und feuert, gut gezielt auf die Volksseele, noch einmal nach:

„Ein solcher Vorschlag ist genau der Dirigismus, der die Menschen gegen Europa aufbringt. Es ist einfach schockierend, dass sich an der Denke in den Amtsstuben der Kommission nicht ändert. Wir müssen endlich weg von der Beglückungsideologie und dem verordneten Gutmenschentum.“

Gut gebrüllt, möchte man meinen. Peinlich bloß, was gegen Mittag Langens Fraktionskollege Peter Liese per Rundmail klarstellt. Das Europaparlament habe die „Stromfresserrichtlinie“ selbst abgesegnet, erinnert er. Die Initiative der Kommission, Glühbirnen zu verbieten, sei schließlich Bestandteil des EU-Klimaschutzpaketes.

„Ich lege großen Wert darauf, dass die Europäische Kommission diese und ähnliche Maßnahmen nicht deshalb verabschieden kann, weil einige Beamten dies für richtig halten, sondern weil das Europäische Parlament (EP) und die Regierungen der Mitgliedstaaten es so wollen und die entsprechende Rechtsgrundlage geschaffen haben.“

Um eines mal klarzustellen: „In Europa herrscht Demokratie.“

Nur, wie genau diese Demokratie funktioniert, scheinen nicht einmal die Akteure selbst immer zu wissen.

Ein paar Schritte vom Kommissionsgebäude entfernt, sonnt sich derweil die irische EU-Rebellin Mary Lou McDonald im extrem klimaschädlichen Scheinwerferlicht des Internationalen Pressezentrums, vor sich etwa fünf Mikrofone. „Der Lissabon-Vertrag ist tot“, sagt die Europaabgeordnete der Linksnationalistenpartei Sinn Féin. Sie hat sich einzige Dubliner Parlamentensfraktion für ein Nein stark gemacht. Und gesiegt, wie sie es sieht.
Die Staatschefs der EU, sagt McDonald, sollten jetzt ja nicht versuchen, der Vertrag auf irgendeine krumme Weise wiederbeleben zu wollen.

„Das Demokratiedefizit der Union wird durch den Lissabon-Vertrag nicht beseitigt“, sagt sie. „Wir brauchen eine neue Grundsatzdiskussion, neue Verhandlungen, einen neuen Vertrag!“ Links und rechts von ihr nicken je ein französischer und ein niederländischer Sozialist tief solidarisch.

Aber was, Frau McDonald, wenn die Europäer eine neue zermürbende Vertragsdebatte noch abstoßender finden als den Lissabon-Vertrag?

„Es wird Widerstand gegen einen neuen Vertrag geben, das ist mir schon klar. Aber wir Politiker sollten und immer daran erinnern, dass wir die Diener des Willens des Volkes sind – nicht dessen Herren.“

Der Wille des Brüsseler Journalistenvolkes ist indes auf eine möglichst kurze Krise gerichtet. Schön wäre, finden viele, wenn sie heute gegen 20.45 Uhr erledigt wäre. Denn dann beginnt des Fußballspiel Deutschland gegen Portugal. „Ich weiß gar nicht, wie ich das schaffen soll“, sagt ein Kollege tief besorgt mit Blick auf den Gipfelterminkalendar. Der sagt nämlich Folgendes:

Ab 20.15 Uhr soll der irische Premierminister Brian Cowen seinen 26 Kollegen beim Abendessen erklären, was auf der Insel schiefgelaufen ist und wie er gedenkt, Europa aus diesem Schlamassel herauszuholen. Gegen 22 Uhr wollen die Staatschefs dann noch einmal vor die Presse treten. Zwischendurch allerdings, so hat Bundeskanzlerin Merkel schon in einem Fernsehinterview nach dem letzten EM-Spiel angekündigt, wolle sie mit ihrem portugiesischen Kollegen „ab und zu mal um die Ecke gehen“, um das Viertelfinale im TV zu verfolgen.

Für die Lösung der EU-Krise sind am ersten Gipfeltag, mit anderen Worten, ziemlich genau 90-EM-Minuten eingeplant.

Wenn das keine volksnahe Lösung ist.