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In Freundschaft, vorwärts!

 

Was ist die neue Mittelmeerunion nun? Eine Friedenskooperative für den Nahen Osten mit europäischem Copyright? Oder ein milliardenschweres Entwicklungsprogramm für Nordafrika und die Levante, das die EU ohne weitere politische Vorbedingungen an eine stattliche Reihe von Diktatoren ausschüttet?

Im pompösen Stil einer Weltverbesserungskonferenz hatte Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy die Gründungsfeier für die neue Allianz zwischen den 27 EU-Mitgliedern und 17 Mittelmeeranrainern von Algerien bis zur Türkei begehen lassen. Mit zwei ausgestreckten Armen empfing er im Pariser Grand Palais zu Beginn Israels Ministerpräsident Ehud Olmert und den Palästinenserpräsident Mahmud Abbas – und konnte gegen Ende der Zusammenkünfte verkünden, Syrien und der Libanon wollten wieder Botschafter austauschen. Zugreifende Hände, lächelnde Antagonisten, das war das eine Bild des Mittelmeer-Gipfels.

Das andere definierende Motiv ließ sich von Pressefotografen schlecht einfangen; der Winkel war wohl zu groß. Es ist das des syrischen Staatschefs Baschir al-Assad auf der Ehrentribüne der Pariser Militärparade zum 14. Juli. Assad war, wie die anderen Staatsgäste, eingeladen, jenes Défilé auf den Champs Élysée abzunehmen, mit dem sich Frankreich alljährlich als Mutterland der Menschenrechte feiert. In stummer Contenance zogen die Paradesoldaten an dem Syrer vorbei, einschließlich eines Trosses weißer UN-Jeeps von jener Sorte, die im Südlibanon helfen, die von Syrien unterstützte Hisbollah in Schach zu halten.
Assad, mit dunkler Sonnenbrille, lauschte anschließend der Menschenrechtserklärung der Französischen Revolution, die der Schauspielers Kad Merad den Staatsgästen vortrug.

Erst später am Abend meldete sich im französischen Fernsehen ein Armeeveteran zu Wort, der bei einem Terroranschlag im Libanon verletzt worden war. Als unerträglich, sagte er, habe er die Anwesenheit Assads auf dem Ehrenplatz empfunden. Wer weiß, welchen Gefallen Sarkozy der libysche Oberst Muammar al-Ghaddafi am Ende mit seinem Entschluss getan hat, gar nicht erst nach Paris zu reisen. Freilich bleibt auch sein Land eingeladen, sich an der Mittelmeeerunion zu beteiligen.

„Wie kann man Frieden herstellen, wenn man nicht mit Leuten redet, die andere Auffassungen haben?“, rechtfertigte Sarkozy die roten Teppiche für die Autokraten aus dem Süden. Und sprach damit zugleich den Marschbefehl aus, dem nunmehr die gesamte EU folgt. „Frieden“ ist in dieser Formel allerdings als Variable zu lesen. Nicht so sehr für Demokratie, sondern eher für Sicherheit und Wohlstand. Ein Pakt für politische Pädagogik ist diese Mittelmeerunion nämlich gerade nicht mehr. Zu abschreckend verlief dafür die Geschichte des Barcelona-Prozesses, jenes bereits 1995 angestoßenen Partnerschaftsprogramms für das Mittelmeer. Er erwies aus verschiedenen Gründen als Flop (unter anderem wegen eines schmalen Budgets und mangelnder Verankerung in Brüssel), aber auch deshalb, weil sich die arabischen Regierungen nicht von Europas Entwicklungsplanern bevormunden und schon gar nicht schleichend demokratisieren lassen wollten.

Sicher, auch in der Pariser Gipfelerklärung bekennen sich die 43 Staatschefs zur Stärkung des „politischen Pluralismus“ und der Menschenrechte. Die Methode heißt aber nicht politische Einmischung, sondern wirtschaftliche Einbindung. Mit „Barcelona II“ setzt Europa seine Hoffungen unverblümter auf die ordnende Hand des Marktes. Der neue Pakt soll helfen, den Freihandel und die Seetransportwege auszubauen, die Sahara als Solarstromquelle zu erschließen, die Verschmutzung des Mittelmeeres einzudämmen, illegale Migration vorzubeugen und den Akademikeraustausch zu beflügeln. Was die Peripherie stabilisiert, so das Kalkül aller europäischen Nachbarschaftspolitik, nutzt Europa, nutzt ergo langfristig auch der Freiheitsverbreitung.

All das sind richtige, ja angesichts katastrophaler Wirtschaftsdaten und eines enormen „youth bulge“ in den Maghreb-Staaten geradezu zwingende Anstöße. Etwa zwei Drittel der nordafrikanischen Bevölkerung sind unter 30 Jahren alt, ein Viertel von ihnen hat nach Schätzungen der Weltbank keine Aussicht auf einen Arbeitsplatz.

Der Erfolg der Mittelmeerunion hängt nun vor allem davon ab, ob die neuen Partnerstaaten das Freundschaftsangebot über die Pariser Festtage hinaus mit der gebotenen Weitsicht annehmen. Anlass daran zu zweifeln, besteht unter anderem deshalb, weil sich der Maghreb – anders als die EU – nicht als prinzipiell einige, sondern als prinzipiell uneinige Weltregion präsentiert. Der Streit um die Gebietsansprüche in der Westsahara ist nur ein Destabilisierungsfaktor, die Hebelkraft des militanten Islamismus ein anderer. Laut den Beschlüssen des Pariser Gipfels sollen sich die 43 Mittelmeer-Staatschefs von nun an alle zwei Jahre treffen, um über Fortschritte zu beraten, ihre Außenminister sogar jedes Jahr.

Große Bühnen, Sarkos Carla und Militärparaden werden sie dazu in Zukunft nicht mehr locken – wahrscheinlicher sind Zwecksäle ohne helle Medienausleuchtung. Und auch inhaltlich dürfte es mühsamer zugehen, wenn erst einmal darum gestritten wird, welche Häfen oder Küstenstraßen ausgebaut und wer dafür wie viel Geld bekommt. Vom Pariser Pomp aber könnten sich Europas neue Partner womöglich immerhin eine Einsicht abgeschaut haben. Die, dass in der Contenance ihre große Chance steckt – wenn sie diese zunächst einmal untereinander üben.