Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Zurück in den Kalten Krieg?

 

Die Spannungen an Russlands Rändern stellen die Nato vor eine Richtungsentscheidung

Zwischen der ukrainischen Hauptstadt Kiew und Georgien hat sich in den vergangenen Tagen eine hektische Pendeldiplomatie entwickelt. Zum einen will die ukrainische Regierung ihrem ebenfalls postsowejtischen Nachbarn im Südosten Solidarität zeigen. Zum anderen sorgt sich die ukrainische Regierung selbst um ihre Sicherheit. Der Ausfallschritt Moskaus in den Ex-Vasallenstaat Georgien muss nicht der einzige bleiben, fürchtet manch einer in Kiews Regierungsstuben. Der Ruf nach einer Nato-Mitgliedschaft wird deshalb immer lauter.

Über die Frage, ob und wann Georgien und die Ukraine in die Allianz aufgenommen werden sollten, entspinnt sich immer wieder Streit zwischen zwei Lagern innerhalb des Bündnisses. Er dürfte durch das aggressive Ausgreifen Russlands in sein „nahes Ausland“ nun befeuert werden.

Amerika und die osteuropäischen Nato-Staaten drängen darauf, die ehemaligen sowjetischen Teilrepubliken so schnell wie möglich aus dem sicherheitspolitischen Niemandsland in den Westen zu ziehen. Deutschland dagegen mahnt zusammen mit anderen Westeuropäern zur Zurückhaltung; das Bündnis solle aufpassen, keine Konflikte mit Russland zu importieren.

Auf dem Nato-Gipfel im April 2008 in Bukarest einigten sich beide Seite einstweilen auf eine Lösung, die alle zufrieden stellen sollte – und keinem wirklich gefiel. Georgien und die Ukraine, so der Beschluss der 26-Nato-Regierungschefs, sollen vorerst zwar nicht in den so genannten Membership Action Plan (MAP), das Beitrittsprogramm zur Nato, aufgenommen werden. Eine Botschaft aber sprachen sie den beiden Anwärtern dennoch aus: „Wir haben uns heute darauf geeinigt, dass diese Länder Mitglieder der Nato werden“ (Org.: We agreed today that these countries will become members of NATO), laute der entscheidende Satz im Abschluss-Communiqué von Bukarest. Im Dezember wollen die Staatschefs nun ihre Außenminister darüber beraten lassen, ob die Zeit reif ist für MAP.

Nach der russischen Aggression gegen das Nato-Patenkind Georgien werden die Spannungen um die Interessen der Allianz zunehmen. Denn beide Lager, die Erweiterungsbefürworter wie ihre Gegner, fühlen sich durch den Krieg im Kaukasus bestätigt.

Russland, so sagen Diplomaten aus Osteuropa, habe den weichen Ausgang des Bukarest-Gipfels als „grünes Licht“ verstanden, Georgien zu attackieren. Hätte die Nato die Nachbarländer fester umarmt, dann hätte sich Moskau diesen Angriff niemals getraut. Aus Amerika mehren sich die Stimmen, die eine „Jetzt erst recht“-Nato-Erweiterung als Gegenmittel zum russischen „Neoimperialismus“ fordern. Mit einer schnellen Aufnahme Makedonien zum Beispiel (es ist schon seit 1999 MAP-Mitglied) könne der Westen Putin und Medwedew beweisen, dass er sich von Ausfallschritten des Kreml nicht einschüchtern lasse.
Es fügt sich ins Bild, dass der polnische Regierungschef Donald Tusk die nunmehr schnelle Einigung mit Amerika über den Bau einer Abschussbasis für Abfangraketen in seinem Land auch als Folge des Georgienkrieges wertet. „Am wichtigsten ist für uns, und das zeigen die Erfahrungen gerade der jüngsten Tage, dass unser Territorium im Falle eines Konflikts von der ersten Stunde an geschützt wird“, sagte Tusk.

Deutschland hingegen, munkeln Nato-Diplomaten in verschiedenen Fluren des Brüsseler Hauptquartiers, werde nach dem Ossetien-Schock wohl „umso mehr auf Partnerschaft und Einbindung gegenüber Moskau machen.“

Kurzum, die Nato steht, pünktlich zu ihrem 60. Geburtstag (zu dem sie sich ohnehin eine neue Strategie geben will), vor einer Richtungsfrage. Will sie wieder deutlicher als kollektives Verteidigungsbündnis ausrichten, mit dem latenten Feindbild Russland? Sollte Moskau tatsächlich sein Militär einsetzen, um Pipelines und Öl unter seine Kontrolle zu bringen, könnte sich diese Rückentwicklung zum Blockbündnis schneller vollziehen als man es heute ahnt. Auf der anderen Seite steht zwar das starke neue Verständnis der Nato als globale Interventionsallianz.

Aber die Domäne des uniformierten Friedensstifters macht ihr immer mehr die Europäische Union streitig; auf dem Balkan, im Nahen Osten, in Afrika – kurz, überall dort, wo die Nato als amerikanische Hegemonialtruppe unwillkommen ist. Demnächst vielleicht im Kaukasus?

„Die EU steht bereit, sich zu engagieren“, sagt eine ranghohe EU-Diplomatin. Voraussetzung sei allerdings, dass aus der Waffenruhe in Georgien ein echter Waffenstillstand werde. Wie genau die EU in der Krisenregion aktiv werde könne, sei zwar noch zu früh zu sagen, aber denkbar sei Vieles, sagt die Diplomatin. „Wir könnten Polizisten schicken, eine Beobachtermission – oder eine andere Form von Präsenz zeigen.“ Soldaten aus Brüssel, Abschreckungsrhetorik und Abfangraketen aus Washington – ist das womöglich die neue Doppelnatur westlicher Sicherheitspolitik?