Lesezeichen
‹ Alle Einträge

„Vielleicht war der Weckruf noch nicht laut genug“

 

Die Ukraine fürchtet, nach Georgien könnte auch sie in den Moskauer Klammergriff geraten. Die Regierung ruft deshalb die Europäische Union auf, sie in ihren Sicherheitsraum einzubinden

Ein Interview mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten der Ukraine

Grigorij Nemyria deutet aus dem Fenster seines Büros über die Kiewer Innenstadt hinweg auf die funkelnden Türme der Klosterkirche St. Michael. Vor ein paar Jahren erst haben die Ukrainer die orthodoxe Kathedrale wieder aufgebaut. „Die Bolschewisten haben sie in den Dreißiger Jahren abgerissen“, erzählt der Vize-Premierminister. „An ihre Stelle wollten sie eine riesige Stalin-Figur setzen, sie sollte weit über das Dnjepr-Tal blicken.“ Aus der gigantomanischen Idee wurde nichts; was blieb, war das erste Segment eines gewaltigen Rundbaus, der den Stalin-Platz umschließen sollte. Es beherbergt heute das ukrainische Außenministerium. Die riesige blaue Europa-Flagge, die über seine graue Fassade gespannt ist, sie ist selbst von hier aus noch zu sehen.
Vize-Premier Nemyria ist gerade aus Georgien zurückgekehrt. Was er dort gesehen hat, hat ihn darin bestärkt, dass die Ukraine, jenes sicherheitspolitische Niemandsland zwischen Russland und der Nato, schnellstens eine klare Westbindung braucht. Am besten durch eine Art Sicherheitsgarantie der Europäischen Union. Am besten schon in den nächsten Wochen.
„Die Lehren aus Georgien lauten: Grauzonen sind gefährlich. Das Sicherheitsvakuum hat sich ausgedehnt. Die Ukraine befindet sich in diesem Vakuum.“ Nemyria, ein nüchternder Historiker, neigt nicht zu schlichten Parolen. Aber vielleicht genau deswegen scheint es gerade zu köcheln unter seiner akademischen Oberfläche.

Herr Nemyria, Sie sind gerade aus der georgischen Hauptstadt Tiflis zurückgekehrt, wo Sie Hilfsmaßnahmen koordiniert und Solidarität mit der georgischen Regierung demonstriert haben. Was sind Ihre Eindrücke?

Die Menschen sind geschockt. Gerade hatten sie gemerkt, dass es wirtschaftlich ein wenig bergauf geht. Jetzt fühlen sie sich um fünfzehn Jahre zurück geworfen. Viele Schulen zum Beispiel sind jetzt mit Flüchtlingen überfüllt, das Schuljahr wird also nicht wie üblich beginnen können, sondern vielleicht erst Ende Oktober. Die Regierungsvertreter, die ich getroffen habe, waren auch körperlich gezeichnet von den vergangenen Wochen. Einige redeten übrigens auch über Fehler, die man möglicherweise gemacht habe. Was freilich zeigt, dass Georgien ein Land ist, in dem die Opposition zu Wort kommen kann.

Welche Folgen hat dieser Konflikt nun für Ihr Land? Die Ukraine befindet sich ja in einer ähnlichen sicherheitspolitischen Grauzone zwischen der Nato und Russland wie Georgien.

So ist es. An den Begriff der Grauzone sind wir ja nun schon seit fast zwanzig Jahren gewöhnt. Und ich darf Sie daran erinnern, dass Ukraine einen gefrorenen Konflikt an ihrer Grenze hat, nämlich mit Transnistrien. Das ist übrigens nicht nur unser Problem, sondern auch eines für die EU, denn Transnistrien liegt auch an ihrer Grenze.
Darüber hinaus haben wir auf der Krim eine Lage, die alle typischen Voraussetzungen für die Entstehung eines gefrorenen Konflikts erfüllt. Die Krim ist seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion einer der möglichen flashing points. Immerhin hat es die Ukraine bisher geschafft, ethnische Gewalt auf ihrem Territorium zu verhindern, was für den Zusammenhalt der Zivilbevölkerung und die Reife der politischen Klasse spricht.
Die Lehren aus Georgien lauten: Grauzonen sind gefährlich. Das Sicherheitsvakuum hat sich ausgedehnt. Die Ukraine befindet sich in diesem sich ausdehnenden Vakuum. Regionale Konflikte können sich, wenn die USA durch irgendeine Präsenz involviert sind, zu großflächigen, wenn nicht gar globalen Konflikten auswachsen.

Was folgt daraus für die Europäische Union?

Die EU hat den Kaukasus nicht ernst genug genommen. Die europäischen Führer glaubten, sie könnten mit diesen gefrorenen Konflikten und Grauzonen endlos lange und bequem leben. Sie dachten, sie könnten die Sache in den politischen Kühlschrank legen.

Es gibt ukrainische Intellektuelle, die fürchten, Russland könnte die Krim als ein ukrainisches Südossetien benutzen. Moskau könnte vorgeben, die russischsprachige Bevölkerung dort vor der Unterdrückung der Kiewer Regierung „schützen“ zu müssen. Ist das ein glaubwürdiges Szenario? Hat die Ukraine hier eine Achillesferse?

Nun ja, jedes Konfliktmanagement sollte mit einem Worst-Case-Szenario beginnen. Und dies wäre in der Tat der schlimmste Fall. Um dies zur verhindern, sollten wir politische Antworten parat haben. Die Krim gilt seit der Unabhängigkeit der Ukraine als der potenziell gefährlichste flashing point mit Russland. Denn in Hafen von Sewastopol ist die russische Schwarzmeerflotte stationiert. Außerdem leben dort etwa 300 000 Krimtataren, die während des Zweiten Weltkrieges vertrieben wurden und nun auf die Halbinsel zurückkehren. Trotz der Schwierigkeiten, die dies für die soziale Integration mit sich bringt, herrschen dort noch immer Frieden und Stabilität. Was die Krim allerdings braucht, ist ein Programm zur nachhaltigen wirtschaftlichen Belebung. Sie hat ein enormes touristisches Potenzial.

Mit der Schwarzmeerflotte hat Russland allerdings die Möglichkeit, die Lage zu destabilisieren. Drei Viertel der Einwohner der Hafenstadt Sewastopol sind ethnischen Russen, und deren Lebensunterhalt hängt an der Flotte.

Laut des Stationierungsabkommens werden Russlands Schiffe dort bis 2017 bleiben. Es war allerdings von Anfang an klar, dass dieses Abkommen Regelungslücken hat. Jetzt, während des Georgien-Konflikts, tritt eine dieser Lücken sehr klar zutage: Russische Kriegsschiffe sind von Sewastopol aus in die Konfliktregion ausgelaufen, ohne dass die ukrainische Seite etwas davon wusste. Es wäre wünschenswert, dass so etwas in Zukunft abgestimmt wird. Denn auch das lehrt uns der Südkaukausus: Es ist wichtig, der Versuchung unilateraler Entscheidungen zu widerstehen. Denn dies könnte die andere Seite provozieren und zu einer gefährlichen Eskalation führen.

Ist es also an der Zeit, das Sewastopol-Abkommen neu zu verhandeln?

Nein. Es gibt einfach Lücken im Abkommen. Und über die sollte im Rahmen des Schwarzmeer-Subkomitees zwischen beiden Präsidenten gesprochen werden. Wir müssen darüber mit den Russen reden. Wir müssen ihnen harte Fragen stellen. Aber wir müssen auch den Willen haben, einen Kompromiss zu finden.

Weil Sie nicht möchten, dass die Ukraine als Brückenkopf für weitere russische Aggressionen dient?

Kein Land will der Brückenkopf für die Aggressionen eines anderen Landes sein.

Unterschätzt der Westen die Bedrohungen, die derzeit vom Kaukasus ausgehen?

Natürlich! Vielleicht war der Weckruf noch nicht laut genug. Wir müssen uns jetzt schwerwiegende Gedanken machen, auch über die Veränderung unserer Politik. Wir sehen doch gerade, wie schnell gefrorene Konflikt entfrostet werden können – geradezu mit Mikrowellengeschwindigkeit. Es brauchte nur drei oder vier Tage, bis die Lage eskaliert war.
Und wissen Sie, die Ukraine ist eine Ex-Atommacht. Unsere militärischen Kapazitäten sind moderner, und unsere ist Armee größer als die von Georgien. Und wir haben potenzielle Konflikte an unseren Grenzen. Und wenn wir schon von Worst-Case-Szenarios sprechen: Es gibt, anders als in Georgien, Atomkraftwerke auf dem Territorium der Ukraine.
Ich will nicht von einem Dominoeffekt reden, aber es ist doch offenkundig für jeden, der auf die Landkarte sieht, wie die Lage ist.
Das Schwarzmeer ist im strategischen Sinne kein Binnenmeer. Es hat militärische Bedeutung, von seiner Wichtigkeit für die Ölförderung ganz zu schweigen. Die EU allerdings hat sich innerhalb ihrer Schwarzmeerpolitik bisher um Umweltschutz, kleinen Grenzverkehr und kulturellen Austausch gekümmert. Vielleicht sollte sich auch fragen, was passieren würde, wenn der Ölstrom versiegt.

Was erwarten Sie angesichts dieser Analyse konkret vom Westen, von Europa?

Nun, die Reaktion der EU auf die Georgien-Krise ist ja schon einmal sichtbarer als sonst. Ich denke, die EU reagiert damit auf das Versagen ihrer eigenen Nachbarschaftspolitik. Denn ein Ziel der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) war es, eine stabile und sichere Nachbarregion zu schaffen. Dieses Ziel ist gescheitert. Das zeigt, dass die ENP in ihrem jetzigen Zuschnitt und Instrumenten nicht geeignet ist, ihren Zweck zu erfüllen. Das spricht dafür, diese Politik upzugraden, oder sie um etwas zu erweitern, das garantieren würde, dass etwas Ähnliches in Zukunft nicht passieren kann. – Und dass die bereits ausgebrochenen Konflikte angemessenen kontrolliert werden können.

An welches „etwas“ denken Sie dabei?

Wir denken, dass die Ukraine in ungewöhnlich hohem Maße in die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESDP) hineinpasst, besonders in deren Konfliktmanagementdimension. Denn trotz der flashing points, die wir im Land haben, ist die Ukraine ein außergewöhnlich stabiles Land. Ich darf unter anderem an die Erfahrungen der ukrainischen Friedenstruppen erinnern, die sie während ihrer Missionen im ehemaligen Jugoslawien und außerhalb Europas gesammelt haben. Wir haben Fähigkeit und Kenntnis zur Kooperation bewiesen. Die ukrainische Führung hat darüber hinaus die politische Absicht, formellere Bande mit der ESDP zu knüpfen. Wir halten sie für eine der, wenn Sie so wollen, strategischen Autobahnen in Richtung europäischer Integration der Ukraine. Dazu zählen natürlich auch Freihandelsabkommen und Visa-Erleichterungen.
Die zweite klare Schlussfolgerung aus dem Georgien-Konflikt lautet: Es gibt gemeinsame Bedrohungen, und niemand darf isoliert sein. Es muss deshalb gemeinsame Antworten geben. Weder ein Einzelstaat noch Staatengruppen sind in der Lage, den Ausbruch solcher Konflikte zu verhindern. Dies kann also keine Aufgabe für subregionale Organisationen sein.

Aber glauben Sie denn, Russland würde sich von einer engeren Einbindung der Ukraine in die ESVP beeindrucken lassen? Wäre nicht vielmehr die Nato das Mittel der Wahl, um Sicherheit für die Ukraine zu garantieren?

Beides widerspricht sich nicht. Aber sehen Sie, anders als Georgien haben wir eine Grenze zur EU. Diese unmittelbare Nachbarschaft spricht doch für eine engere Zusammenarbeit in der ESDP. Noch einmal, das wäre ein wichtiger Schritt. Damit würde die EU auch zeigen, dass sie es ernst meint mit der Ukraine und keine Entwicklung übersieht, die womöglich zu Instabilität an ihren unmittelbaren Grenzen führt.

Woran denken Sie konkret? An eine Art militärische Solidaritätsklausel der EU für die Ukraine?

Ich denke, darüber sollten wir sprechen, wenn wir das neue Partnerschaftsabkommen verhandeln. Es geht dabei ja auch um Garantien für unsere Souveränität.

Denken Sie also, die Ukraine sollte letzten Endes Mitglied einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft werden, wenn schon nicht Mitglied der EU?

Wir betrachten das nicht als Alternativen. Wir betrachten es eher als Phasen (stages). Wir werden nicht eine Submitgliedschaft im Club gegen die Vollmitgliedschaft eintauschen.

Werden Sie also während des EU-Ukraine-Gipfels am 9. September eine engere militärische Zusammenarbeit mit der EU fordern?

Das wäre ein guter Ort, die Verhandlungen zu führen. Schweden und Polen haben ja schon eine Initiative in dieser Richtung vorgelegt. Ich habe mit den Außenminister Bildt und Sikorski schon darüber geredet. Wir haben jetzt die Gelegenheit, diese Ideen aufzuwerten, mehr Kooperation zu erreichen, als sie Frankreich bisher vorschwebte. Ich registriere übrigens auch bei meinen deutschen Gesprächspartnern einen größeren Appetit auf Zusammenarbeit.
Wir erwarten von diesem Gipfel eine neue Dynamik für die Beziehungen zwischen der EU und der Ukraine. Wir brauchen neue Ideen und Diskussionen über die ESVP. Wir erwarten auch neue Ideen dazu, wie die Ukraine ein integraler Teil der Europäischen Energiesicherheit werden kann.
Die Nato-Perspektive steht diesen Vorschlägen nicht entgegen, sie ergänzt sie vielmehr. Aber natürlich wäre es für die Nato eingewöhnlich, ein Land einzubinden, das Konflikte auf seinem Territorium hat. Deshalb müssen wir alle ergänzenden (supplementary) Ideen erörtern.
Sehen Sie, unsere Bevölkerung ist in der Nato-Frage gespalten. Gegenüber der EU hingegen besteht Einigkeit. Deshalb ist, was die Unterstützung durch die Öffentlichkeit angeht, die EU-Schiene vielversprechender. Ganz davon abgesehen, dass die Nato-Staaten selbst gegenüber der Ukraine gespalten sind.

Auch für Russland wäre eine Einbindung der Ukraine in die EU wahrscheinlicher leichter verdaulich. Wollen Sie Ärger mit Moskau vermeiden?

Also, ich will nicht, dass Ärger-und-Angst-Erwägung irgendeinen Ausschlag geben. Russland fühlt sich doch selbst zu einem Teil europäisch. Natürlich will es nicht Teil der EU werden, aber es zeigt doch viel Ehrgeiz bei dem Versuch, ein neues strategisches Abkommen (framework) mit der EU zu schließen. Es wäre doch sehr legitim von der EU, hier eine Position zu beziehen. Die EU hat ein Interesse an einer stabilen Nachbarregion. Und die Position der Ukraine hat dabei eine Schlüsselbedeutung. Wegen unserer Größe und wegen unserer Rolle.

Lassen Sie mich dennoch eine gemeine Frage stellen. Die EU ist bisher nicht als ein besonders kraftvoller Akteur aufgefallen. Sie zeigt sofort Unterwerfungsgesten, wenn sie mit autoritären Regimes konfrontiert wird. Glauben Sie, dass es ihrem Land tatsächlich mehr Sicherheit bringen würde, wenn Europa ihnen eine Art Beistandsgarantie geben würde?

Sicherheit bedeutet nicht nur harte Sicherheit. Sicherheit bedeutet auch weiche Sicherheit, und Sicherheit hat auch eine wirtschaftliche Dimension. Europa weiß das doch. Es gibt eine gegenseitige Gas-Abhängigkeit zwischen Russland und der EU. Deswegen ist für uns zum Beispiel ein weitreichendes Freihandelsabkommen mit der EU ein Teil des Sicherheitsnexus – und ein klarer Pfad für die Ukraine. Das würde garantieren, dass es für Russland, um das mildeste Wort zu benutzen, kontraproduktiv wäre, die Anwendung irgendeiner Form von Gewalt in Erwägung zu ziehen.

Georgien Präsident Saakaschwili hat gesagt: „Die Sowjetunion kehrt zurück.“ Stimmen Sie ihm zu?

Nein. Die Ukraine war – als Erbe der Sowjetzeit – lange Zeit Opfer eines Kleiner-Bruder-Komplexes. Den bewältigen wir gerade erfolgreich. Die Ukraine ist ein unabhängiges, souveränes, demokratisches Land, das Land der Orangen Revolution. All das ist Grund gut für Selbstachtung und für ein Ende des Minderwertigkeitskomplexes.
Natürlich gibt es Anzeichen dafür, dass die so genannte „gesteuerte Demokratie“ zu Überreaktionen neigt, und das erinnert in gewisser Weise an alte Zeiten. Aber: Es gab in vielen Ex-Sowjetstaaten in den vergangenen Jahrzehnten Momente, die die Geschichte verändert haben. Für Polen war es die Solidarnocz-Bewegung, für Ungarn war es Budapest 1956. Für die Tschechen 1968. Für die Ukraine war es die Orangene Revolution 2004. Das war der Moment, der die Ukraine als europäischen Staat definierte.
Es bleibt noch abzuwarten, welches geschichtliche Ereignis sich in Russland abspielen wird, um ein neues Russland zu definieren. Ein Russland, das wirklich Teil der globalen Gemeinschaft sein will. Vielleicht die Olympischen Spiele in Sotschi? Oder die Wahl eines neuen Präsidenten?

Der russische Außenminister Lawrow behauptet allerdings heute schon, sein Land sei zusammen mit Amerika und Europa Teil der westlichen Zivilisation. Würden Sie dem nach den Ereignissen in Georgien noch zustimmen?

Sehen Sie, genau das habe ich unlängst den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses der Duma, Konstantin Kossatschew, gefragt. Ich sagte ihm, um bestimmen, was man sein will, muss man wissen, was man ist. Wir hatten die Orange Revolution. Was ist der definierende Moment Russlands? Kossatschew überlegt vielleicht 20 Sekunden lang. Dann sagt er: Die Wahl Präsident Putins im Jahr 2000. Das gibt Ihnen einen Eindruck vom Von-oben-nach-unten-Denken dieses Landes. Die Veränderung kam von oben, nicht von unten.

Die Frage ist nun natürlich, wie man Putin einschätzt. Ist er ein Imperialist?

Nun ja, es gibt so Definitionen von Imperialismus.

In Putins Fall könnte sie lauten: Er ist nicht bereit, Regierungen in seiner Peripherie zu dulden, die einen Westkurs einschlagen.

Ich denke, was im Südkaukasus passiert ist, ist ein Test für viele Führer, unter ihnen Putin. Auch ein Test für Saakaschwili. Kann er der Versuchung des Autoritarismus widerstehen? Auch ein Test für die europäischen Führer. Für Kanzlerin Merkel. Es ist ein sehr guter Zug, dass sie nach Sotschi und nach Tiflis gereist ist. Auch ein Test für die ukrainische Führung.

Im Moment gibt es in Europa zwei Strömungen. Die einen, die neuen osteuropäischen Mitgliedsstaaten, verlangen gegenüber Russland eine härtere Politik. Die anderen, inklusive Deutschland, bleiben einer weichen Dialogstrategie. Erleben wir noch einmal eine Teilung zwischen „altem“ und „neuem“ Europa?

Nein. Aber ich denke schon, wir stehen vor einem entscheidenden Moment. Wir sollten jetzt eine Politik entwickeln, die, lassen Sie mich es so sagen, immun gegen Improvisation ist. Alles andere wäre zum Scheitern verurteilt. Wir brauchen jetzt nüchterne Analysen und kollektive Antworten. Die ENP hat keine entwickelte Sicherheitsdimension. Wir brauchen jetzt einen Prozess, an dem sich sowohl die EU, wie auch der nächste amerikanische Präsident, wie auch Russland beteiligen können. Man kann keine globale Sicherheit herstellen, in dem man die Welt in Schwarz und Weiß aufteilt.

Die Ukraine strebt aber schon weiter die Nato-Mitgliedschaft an?

Ja. Vielleicht sollten wir jetzt, nach dem Georgien-Konflikt, auch noch einmal neue Meinungsumfragen in Auftrag geben. Vielleicht hat sich die Einstellung der Bevölkerung geändert – auch gegenüber Amerika.