Der russische Nato-Botschafter Dimitri Rogosin schockt Europa immer wieder mit seinen Ausbrüchen. Was denkt der Mann wirklich? Ein Treffen
Der Raum war zu klein für den Mann und seine Botschaft. Um die fünfzig Journalisten drängten Mitte August in das Besprechungszimmer der russischen Mission bei der Nato, um zu hören, wie Dmitri Rogosin den soeben gefällten Beschluss der Allianz bekrähen würde. Mit Russland, so hatten die 26 Außenminister Nato-Außenminister nebenan im Hauptgebäude Minuten vorher beschlossen, könne es nach dem Feldzug gegen Georgien kein „business as usual“ mehr geben. Der Nato-Russland-Rat werde bis auf Weiteres auf Eis gelegt. Hochspannung im Russenquartier: Wie würde Rogosin, das enfant terrible der europäischen Diplomatenszene, darauf reagieren?
Der Mann enttäuschte nicht.
„Die Allianz ist jetzt isoliert!“, schmetterte er den stifteschwingenden Reportern entgegen. Statt endlich zu erkennen, welch Fehler es gewesen sei, den georgischen Präsidenten Michael Saakaschwili zu umarmen, lasse sich die Nato nun auch noch von den USA in einen neuen Kalten Krieg treiben. Spätestens nach der georgischen Aggression gegen Südossetien müsse doch klar sein: „Diese Nato sollte erst Hitler, dann Saddam Hussein und erst danach Herrn Saakaschwili aufnehmen.“ In dem unklimatisierten, stickigen Raum tropften den ungläubigen Journalisten nach einstündiger Tirade Schweißperlen auf die Notizblöcke. Dimitri Rogosins Hemdkragen dagegen bekam nicht einmal einen feuchten Rand.
Es sind solche mephistophelischen Momente, die den 44jährigen Rogosin erscheinen lassen wie die leibhaftige russische Außenpolitik. Blitzschnell ausholen, krachend zuschlagen und das Staunen der Welt mit kühler Miene quittieren. Im Januar setzte Wladimir Putin den hartgesottenen Nationalisten mit dem jungenhaften Rehblick auf den Brüsseler Nato-Posten. Seitdem lässt der gelernte Journalist keine Gelegenheit aus, anti-diplomatische Schockwellen durch den Medienäther zu senden. Den Vormarsch der 58. russischen Armee nach Georgien kommentierte er mit den Worten: „Jetzt fährt Amerikas Lieblingskind zur Hölle!“
Wenn es Putins Absicht war, ein Megaphon des russischen Weltschmerzes in die Nato-Zentrale zu hängen, dann hat er mit Rogosin eine talentierte Wahl getroffen. Im kleinen Kreis und ohne Kameralicht kann Rogosin zwar wohltemperiert reden. Doch selbst dann, in einem ansonsten nüchternen Gepräch mit der ZEIT etwa, pfefferte er nonchalant mit Grobheiten nach. Den georgischen Präsidenten bezeichnet Reogosin als einen „Bastard“ und einen „Drogenabhängigen mit krimineller Vergangenheit“. Fliehende Georgier vergleicht er mit „Kakerlaken“. Dabei macht er eine tribbelnde Fingerbewegung über den Marmortisch und lacht den Reporter komplizenhaft an.
Ach, Herr Rogosin, nun einmal ehrlich, was soll das? Sind all diese Ausfälle nicht bloß rhetorischer Punkrock, um Russland Gehör zu verschaffen in europäischen Salons?
„Ich denke wirklich, was ich sage“, antwortet Rogosin. „Es mag schon sein, dass meine Wortwahl schockiert. Aber wenn sie schockiert, dann hoffe ich damit zu erreichen, dass die Leute beginnen, nach der Wahrheit zu suchen.“
Rogosins Wahrheit über die Weltlage sieht so aus: Die Nato ist eine Militärallianz, die den Amerikanern dazu dient, die Europäer kleinzuhalten. Und obwohl die Amerikaner die Terrorinternationale al-Qaida, die sie am 11. September angegriffen hat, mithilfe der CIA in Afghanistan selbst geschaffen hat, lassen sich die Europäer für den weltumspannenden US-Anti-Terrorkrieg einbinden, inklusive eines völkerrechtswidrigen Krieges gegen den Irak. Dieses Amerika, dieses Europa wollen Russland jetzt dafür bestrafen, dass es im Kaukasus sein legitimes Recht wahrgenommen hat? Das legitime Recht seine eigenen Staatsbürger vor dem Völkermörder Saakaschwili zu schützen? Dabei müsse doch gerade Amerika die neue russische Sicherheitsdoktrin verstehen: was für die USA der 11. September 2001 gewesen sei, sei für Russland der 8. August 2008 gewesen – ein massiver Angriff auf seine Staatsbürger. Den jüngsten Beschluss der EU, die Verhandlungen über ein neues Partnerschaftsabkommen mit Russland auszusetzen, bis sich Moskaus Truppen aus dem Kerngebiet Georgiens zurückgezogen haben, geißelt er deshalb „unfair“.
Rogosin spricht vielmehr von einer „Pufferzone“, die Russland um Südossetionen und Abchasien einrichten musste. Sie sei selbstverständlich nur eine vorübergehende Lösung. „Wir wünschen uns, dass aus in diesem Gebiet eine demilitarisierte, international kontrollierte Zone wird, gerne auch mit OSZE- und EU-Beobachtern“, sagt er. „Natürlich werden die russischen Truppen dort nicht für immer bleiben. Natürlich werden wir uns zurückziehen.“ Die Anerkennung von Südossetien und Abchasien als eigenständige Staaten, sie zeige doch gerade, dass Moskau kein Interesse habe, diese Provinzen zu besetzen.
Es mag eine Ironie der Geschichte sein, dass Rogosin gerade wegen seines überschäumenden Nationalismus zum Diplomaten wurde – und gerade wenn es um militärische Selbstbeschränkung Russlands geht, macht ihn seine Vita wenig glaubwürdig. 2003 gründete Rogosin die Partei „Rodina“, („Mutterland“). Ihr Hauptversprechen lautete, ethnische Russen zu beschützen, sei es gegen kaukasische Gastarbeiter, sei es als Minderheiten in ehemaligen Sowjetstaaten. 2006, als „Rodina“ dem Kreml zu mächtig wurde, belegte Putin die Partei mit einem Wahlverbot.
„Das war eine harte Zeit“, erinnert sich Rogosin heute. Zum Glück allerdings habe sich in dieser Krise ein Mensch als echter Freund erwiesen – der heutige Außenminister Sergej Lawrow. „Ich erzähle Ihnen jetzt etwas, was ich noch niemanden erzählt habe“, sagt Rogosin zum Abschied. „Lawrow war der einzige, der mich weiter angerufen und mich unterstützt hat. So etwas vergisst man nicht. 18 Monate später rief mich Putin an, und sagte, er würde gerne unsere Beziehung erneuern. Seitdem halte ich den Posten bei der Nato. Deswegen betrachte ich Herrn Lawrow als einen treuen Kameraden. Niemand, keine Intrige, wird je zwischen uns kommen können.“
Und wieder scheint er zu wirklich zu sagen, was er denkt.