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Schmerz durch Kuscheln

 

Sarkozys Moskau-Reise zeigt: Europa beginnt, seine eigentliche Stärke zu entdecken. Es ist die rücksichtslose Kooperation mit den Rändern Russlands

Die ganze Kraft und den ganzen Kleinmut Europas vereinte Nicolas Sarkozy in Moskau in nur einem Satz. „In einem Monat werden die russischen Truppen von georgischem Territorium abgezogen sein, mit Ausnahme natürlich von Ossetien und Abchasien“, sagte der französische Staats- und derzeitige EU-Ratspräsident nach einem vierstündigen, angeblich spannungsgeladenen Gespräch mit dem russischen Präsidenten Dimitri Medwedjew über die Krise im Kaukasus.

Teil eins des Satzes, die russische Abzugszusage aus dem georgischen Kernland, ist der kleinst denkbare Erfolg, den Sarkozy für die Europäische Union Anfang dieser Woche mit nach Hause bringen konnte. Alles andere wäre für die EU eine blanke Blamage gewesen.

Auf ihrem Brüsseler Krisengipfel schließlich hatten die 27 Staatschefs diese Forderung (die nach ihrer Ansicht ja schon im Waffenstillstandsabkommen vom 12. August festgeschrieben war), mit aller der Gemeinschaft möglichen Verve bekräftigt. Solange noch ein russischer Soldat jenseits der abtrünnigen Provinzgrenzen stehe, lautete die sachte Drohung der EU, werde es keine weiteren Verhandlungen über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland geben.

Zurück zum institutionellen business as usual könnte es jetzt schneller gehen als erwartet. Spätestens bis zum 1. Oktober will die EU in der Pufferzone zwischen Abchasien und Südossetien 200 Beobachter in Stellung bringen, im Austausch für die 500 russischen Soldaten, die sich dort völkerrechtswidrig eingegraben haben. Diese Einheiten, so Medwedjews Zusage, werden sich binnen zehn Tagen nach Ankunft der Europäer zurückziehen. Wohin sie marschieren, falls sie marschieren, liegt nahe: zu ihren Kameraden in jene beiden Provinzen, die Russland nach dem georgischen Angriff auf Tschinwali erobert, einseitig anerkannt und allem Anschein nach in den Tagen darauf ethnisch „gesäubert“ hat. Dies jedenfalls legt die georgische Regierung derzeit vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag mit einiger Überzeugungskraft dar.

Genau diese Vorgeschichte lässt den zweiten Teil von Sarkozys Moskauer Erfolgsmeldung verrutscht erscheinen. Wie kann es „natürlich“ sein, dass Europa zu der russischen de-facto-Einverleibung Südossetiens und Abchasiens schweigt? Selbst wenn Georgiens Präsident Michael Saakaschwili den Krieg begann, indem er in Tschinwali Zivilisten bombardieren ließ, und selbst wenn man die russische Argumentation eine historische Sekunde lang ernst nimmt, lediglich die eigenen Staatsbürger verteidigen zu wollen, so rechtfertigt das eine Verbrechen nicht das andere, und schon gar nicht entschuldigt die zweifelhafte neue Doktrin eines Ethno-Protektionismus den beispiellosen Unilateralismus, mit dem Russland die Karte des Kaukasus neu zeichnet.

Wie entschiedener der Tonfall der amerikanischen Außenministerin Condoleeza Rice in einem Beitrag in der FAZ vom 24. September:

„Auf beiden Seiten wurden Fehler gemacht“, stellt Rice über die gegenseitigen Provokationen von Russland und Georgien fest, „aber die Reaktion der russischen Führung – der Einmarsch in ein souveränes Land über eine international anerkannte Grenze hinweg, und dann der Versuch, das Land durch die Anerkennung Abchasiens und Südossetiens zu zerteilen – war unverhältnismäßig.“

Diese Aggression fordere vom Westen erstens Standhaftigkeit:

„Wir können es uns nicht leisten, die Vorurteile zu bestätigen, die einige russische Politiker anscheinend haben: dass, wenn man Druck auf freie Nationen ausübt – wenn man einschüchtert, bedroht und losschlägt, wir aufgeben und uns letztendlich geschlagen geben werden. Die Vereinigten Staaten und Europa müssen derartigem Verhalten die Stirn bieten und dürfen es nicht erlauben, dass die Aggression Russlands irgendeinen Nutzen hat.“

Und zweitens eine klare strategische Ansage an Russland:

„Die Vereinigten Staaten und Europa werden nicht zulassen, dass die russische Führung doppelgleisig fährt und auf der einen Seite die Vorteile der internationalen Regeln, Märkte und Institutionen genießt, aber gleichzeitig ihre unmittelbaren Grundlagen in Frage stellt. Es gibt keinen Mittelweg. Ein Russland des 19. Jahrhunderts kann nicht Seite an Seite mit einem Russland des 21. Jahrhunderts in der Welt auftreten.“

Über das politisch wie moralisch Widernatürliche, das währenddessen in Sarkozys „Natürlich“ liegt, dürfte die EU schon bald wieder in Streit geraten. Denn während das „kalte Europa“ (die Baltenstaaten, Polen, Schweden und Großbritannien) nach wie vor der Ansicht ist, Russland müsse spürbarer bestraft werden, um weitere moskowiter Ausfallschritte zu verhüten, glaubt das „warme Europa“ (Frankreich, Deutschland und Italien), Russland am besten durch neue Sicherheitskooperativen zähmen zu können. Während des EU-Außenministertreffens vergangene Woche in Avignon trat diese Spaltung noch einmal klar zu Tage.

Vor allem Frank-Walter Steinmeier will die EU auf Konferenzkurs bringen. Zunächst soll am 15. Oktober in Genf ein internationales Treffen über die Zukunft des Kaukasus stattfinden. Darüber hinaus hat die Türkei angeboten, eine „Stabilitätskonferenz“ für die Schwarzmeeranrainer Ukraine, Moldawien, Russland, aber auch Armeniern und Aserbaischdschan auszurichten. Sie könnte, glaubt ein deutscher Diplomat, zu einem „dauerhaften Mechanismus“ werden, zu einer Art Kaukusus-OSZE also.

Tatsächlich ist zu hoffen, dass die Dialog-Befürworter der EU auf den noch anstehenden Krisentreffen der Gemeinschaft die Oberhand behalten. Denn die Steinmeierisierung der europäischen Russlandpolitik ist (ja, liebe Blogleser, damit auch etwas Abbitte) richtig. Allerdings nur deshalb, weil sie keineswegs so defensiv ist, wie ihre Verteidiger glauben.

Russland lässt nicht mit Peitschenhieben (Ausschluss aus den G8, Visa-Beschränkungen, Blockierung des WTO-Beitritts) zur Kooperationspolitik zwingen. Nachdenklich werden allerdings dürften die Putinisten, wenn der Westen jetzt umso entschlossener den Druck der russischen Pipelines drosseln würde – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Russland tritt vor allem deshalb so selbstsicher auf, weil es sich erfolgreich zum geopolitischen Nadelöhr für Gas- und Öllieferung nach Europa gemacht hat.

44 Prozent der Deutschen fürchten laut einer Allensbach-Umfrage, dass Russland seine Öl- und Gasvorräte nutzen könnte, um Deutschland politisch zu erpressen.

Mit jedem Schlauchanschluss, den der Westen selbst Richtung Kaspisches Meer legt, mit jedem Kubikmeter Gas, der durch die Nabucco-Pipeline vorbei an Russland, durch Aserbaidschan durch Georgien und die Türkei in die EU geschleust wird, werden die Europäer einen Teil dieser Angst und Moskau damit einen Teil seiner außenpolitischer Arroganz verlieren. Deshalb ist alles gut, was der Stabilisierung dieser Länder dient, alles, was Investoren anlockt und alles, was einen echten Wettbewerb um Rohstoffe zulässt, die in der Hand von Nationalisten schlecht aufgehoben sind. Das hübsch-perfide an der Europäischen Nachbarschaftspolitik ist, dass sie das Potenzial hätten, Russland zu isolieren ohne dass die EU irgendwelche Sanktionen gegen Moskau verhängen müsste. Die EU müsste bloß die russische Peripherie so warm an sich binden, dass sich Russland im Vergleich unterkühlt fühlt.

Öl und Gas machen Russland unilateral. Etwas weniger davon könnte es zum besseren Partner machen.