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Stolz vor Freiheit

 

Siehe an. Die EU hat einen Kunst-Skandal

Vielleicht ist dem Künstler David Cerny noch gar nicht klar, welch grandioses Werk er vollbracht hat.

Seit Anfang Januar hängt eine gigantische Installation des Tschechen im Brüsseler EU-Ratsgebäude. Sie zeigt die 27 Mitgliedsländer als eigenwillige Skulpturen in einem Ausstanzrahmen. Die meisten der Allegorien sind zwar ausgesprochen unoriginell (Holland ist eine Flut, aus der nur noch Minarette herausschauen, Polen ein Kartoffelacker, Schweden ein Ikea-Karton und Deutschland ein Autobahnnetz, in dem stereotyp denkende Menschen ein Hakenkreuz erkennen können), aber wer vor dem Gesamtwerk steht, ist dann doch beeindruckt vom handwerklichen Können, dem Mut und der Komik, die Cerny sich erlaubt hat.

Denn nicht nur hat er die tschechische Ratspräsidentschaft genarrt, indem er einfach alle Skulpturen selbst anfertigte, statt sie (Vielfalt, wichtig in der EU!) auf 27 europäische Künstlerateliers zu verteilen. Er hat auch die Liberalität und Toleranz des angeblich so liberalen und toleranten Staatenbundes herausgefordert. Ergebnis: Die EU fällt erbärmlich durch.

Sicher, man mag es anstößig finden, dass Cerny Bulgarien als Stehtoilette darstellt. Aber es ist nicht so, als gäbe es dafür keine Gründe. Erstens: Stehtoiletten werden in der lingua franca der Sanitärindustrie als Turkish Toilets bezeichnet und Bulgarien war Jahrhunderte lang Teil des osmanischen Reiches, was mancher dort bis heute einfach echt schl…echt findet. Zweitens sind nach Auskunft des Künstlers die archaischen Keramiken in Bulgariens Badezimmern weithin verbreitet. Und drittens versickern in Bulgarien jedes Jahr viele Millionen Euro Brüsseler Fördermittel in privaten Kanälen. Regelrecht weggespültes Geld, sozusagen.

Der bulgarische Botschafter freilich fordert, das Klo müsse verschwinden, und die Tschechen wollen ihr Geld zurück. Mittlerweile ist die Skulptur mit einem Tschador-artigen schwarzen Tuch überhängt. Schade. Bisher hatten wir gedacht, das europäische Imperium unterscheide sich vom Osmanenreich gerade dadurch, dass die Kunstfreiheit der Nationalheiligkeit vorgeht.