Nach fünf Jahren im Europaparlament verlässt
Sahra Wagenknecht von der Linkspartei Brüssel.
Ein Resüme
Frau Wagenknecht, nach fast fünf Jahren im Europäischen Parlament zieht es Sie wieder in den Bundestag. Warum? Lässt sich als Abgeordneten in Brüssel und Straßburg nicht genug bewegen?
Offen gesagt, es lässt sich vergleichsweise wenig bewegen. Im Bundestag haben wir als Fraktion immerhin die Möglichkeit, Themen in die Öffentlichkeit zu ziehen und dadurch die anderen Parteien unter Druck zu setzen. Hier hingegen arbeitet man wie unter einer Glocke. Es ist deutlich schwieriger, Öffentlichkeit zu erzeugen und mit kritischen Positionen wahrgenommen zu werden.
Sie sind nicht die einzige Europapolitikerin, die von einer gefühlten Ohnmacht berichtet, und das, obwohl die Abgeordneten alles andere als unterbeschäftigt sind. Wie kommt das?
Nehmen wir die Berichte, die im Europäischen Parlament behandelt werden. Ein Teil davon wird nur für die Parlamentsakten geschrieben, da das EP bei vielen Fragen gar kein Mitentscheidungsrecht hat. Ich frage mich schon, ob das die anderen Parlamentarier nicht auch frustriert. Ich habe immer versucht, Transparenz für meine Arbeit im Wirtschaftsausschuss herzustellen, öffentlich zu informieren, was da läuft. Aber das ist furchtbar schwierig.
Klingt so, als hätten Sie die fünf Jahre in Brüssel auch gleich sein lassen können.
Nein, so nicht. Im Gegenteil, es ist enorm wichtig, dass es hier eine starke linke Fraktion gibt, die dem neoliberalen Mainstream konsequent widerspricht und in der Gewerkschaften und NGOs einen Ansprechpartner haben. Ich möchte die fünf Jahre EU-Parlament nicht missen. Aber für die Zukunft glaube ich, dass ich persönlich mich im Bundestag besser einbringen kann. Die Linke als Partei muss in Brüssel natürlich genauso präsent sein wie in Deutschland.
Nun sind Sie – trotz Brüssel – eines der bekanntesten Talk-Show-Gesichter der Linkspartei in Deutschland. Gleichwohl sprechen Sie bei diesen Gelegenheit eher über Bundespolitisches statt über Europäisches.
Das hat natürlich auch mit den Themen zu tun, zu denen ich eingeladen werde. Europa ist in deutschen Medien viel zu wenig präsent. Deshalb muss man in der Regel erst einmal wahnsinnig viel erläutern, bevor man zum Punkt kommen kann. Was sind „Richtlinien“? Welche Brüsseler Institution hat wo mitzureden? Erschwerend wirkt sicher auch diese Meta-Sprache, mit der man hier in Brüssel hantiert, diese vielen Abkürzungen, das ist normalen Bürgern kaum nahezubringen. Das muss man immer erst mal übersetzen.
Ist es Ihnen in Deutschland passiert, dass Leute nicht mitbekommen hatten, dass es Sie nach Brüssel verschlagen hat?
Leute, die mich auf der Straße ansprechen, gehen oft davon aus, ich sei im Bundestag.
Können Politiker dann überhaupt – ohne karrieresuizidal zu sein – reine Europapolitiker sein?
Das kommt darauf an, was man erreichen will. Als reiner Europapolitiker wird man sicher in Deutschland weniger öffentlich bewegen können. Fest steht für mich aber auch, dass ein qualifizierter Bundespolitiker zugleich europäische Kompetenz haben muss. Immerhin gibt die EU den Rahmen für einen Großteil der deutschen Gesetze vor. Es gehört also beides zusammen.
Es gibt Auguren, die prophezeien, die nichtbürgerlichen Parteien werden bei den Europawahlen am 7. Juni kräftig zulegen, sowohl am linken wie am rechten Rand. Zählen Sie auf ein paar Sitze mehr für die Linken in Europa?
Ich lasse den Nonsensbegriff der „nichtbürgerlichen Parteien“ jetzt mal unkommentiert. Was uns anbetrifft, so stehen wir mittlerweile natürlich bei ganz anderen Ergebnissen als 2004, als noch die PDS angetreten war. Ich rechne damit, dass wir in der nächsten Legislaturperiode mit annähernd doppelt so vielen Abgeordneten im Europaparlament vertreten sein werden.
Sie haben schon angekündigt, dass Sie die Wahl auch zu einem Referendum gegen den Lissabon-Vertrag machen wollen…
In Deutschland haben die Menschen nie eine Chance gehabt, über diesen Vertrag abzustimmen. In Frankreich gab es immerhin ein Referendum über den Verfassungsvertrag, den Vorgänger von Lissabon. Deswegen herrschen dort, wie auch in Irland, vergleichsweise gute Kenntnisse. Wir werden verdeutlichen, dass Neoliberalismus und Aufrüstung in Europa mit diesem Vertrag weiter verankert werden. Jede Stimme für die Linke ist auch eine Stimme gegen diesen Vertrag.
Kann das ernsthaft eine Botschaft für Wahlplakate sein?
Darüber werden sich die Fachleute Gedanken machen müssen, die unsere Plakate gestalten. In Frankreich könnte das gut sein. Für Deutschland muss man da mehr erläutern. Jeder weiss, was Hartz IV bedeutet. Bei dem Lissabon-Vertrag ist das für viele bei weitem nicht so klar.
Wie kommt es, dass es in Deutschland nicht einmal im Parlament eine echte Diskussion über den Lissabon-Vertrag gegeben hat?
Das müssen Sie die Parteien fragen, die den Vertrag so bedingungslos durchgenickt haben. Für die SPD kann ich mir das insoweit erklären, dass der Marktradikalismus im Lissabon-Vertrag – die Verankerung von unbegrenztem Wettbewerb und Kapitalfreiheiten – dem entspricht, was sie auch mit der Agenda 2010 verfolgt. Für den Normalbürger ist er so fatal wie diese.