Wolfgang Ischinger ist der neue Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, die morgen beginnt.
Hohe Erwartung heften sich an seine diplomatische Kunst
Es gab einmal statischere Zeiten auf Erden, da hieß das jährliche informelle Weltgipfeltreffen in München »Wehrkundetagung«. Die „Wehrkunde“ hat sich als Kosename bei den ausländischen Gästen gehalten, nicht minder die Bezeichnung als “Nato-Kriegstagung” bei den Gegnern der Veranstaltung. Recht eigentlich und immer mehr aber verdiente die Sicherheitskonferenz im Hotel Bayerischer Hof den Namen Terrarium.
Denn ganz wie auf dem echten Planeten geht es dort eng, heiß und überbevölkert zu. Und es riecht nach Streit. Über dreihundert Teilnehmer werden sich von Freitag bis Sonntag im Saal des Hotels Bayerischer Hof drängen, unter ihnen mehr als ein Dutzend Staats- und Regierungschefs, rund fünfzig Minister und etwa siebzig offizielle Delegationen aus über 50 Ländern.
Drei Tage lang also sitzen die Spitzen der Weltpolitik gleichsam wie auf einer Herdplatte beieinander – was Annäherungen ebenso zwangsläufig wie unvorhersehbar macht. Entsprechend hoch sind in diesem Jahr die Erwartungen an den neuen Zeremonienmeister von München, dem für diesen Job vom Auswärtigen Amt freigestellten deutschen Spitzendiplomaten Wolfgang Ischinger. Der ehemalige Botschafter in Washington und London, ein Mann von ausgesuchter angelsächsischer Manierlichkeit, hat dieses Ehrenamt von Horst Teltschik übernommen, dem ehemaligen außenpolitischen Berater von Helmut Kohl. Teltschnik verstand es, als Moderator in München die Weltunordnung mit selbstbewusster Hilfe seines Oberstufenenglisch ebenso polternd wie kumpelhaft zu sortierten. Man wird, das sei gesagt, sein ranschmeißerisches Sag-Du-zu-mir an die Großen der Welt vermissen, denn es lag ein Restschein von Übersichtlichkeit darin.
In den Teltschik-Jahren immerhin war die Welt noch insoweit in Ordnung, als das amerikanische Zeitalter als unbeendet galt. Das änderte sich schlagartig am 9.Februar 2007. Da betrat Wladimir Putin das Münchner Podium, um kontrolliert zu detonieren. »Eine unipolare Welt (…) ist vernichtend, am Ende auch für den Hegemon selbst!«, rief er in die versteinerten Gesichter im Saal. Es war eine intellektuelle Kriegserklärung an das Überlegenheitsgefühl des Westens, und seitdem hat Russland mit Taten (Krieg mit Georgien) nachgelegt und bewiesen, »dass es sich seine Sicherheit nicht stehlen lässt wie Äpfel aus Nachbars Garten« (so der russische Nato-Botschafter Dimitri Rogosin).
Mittlerweile sind die Kriegsherren aus Washington von der Weltbühne abgetreten. Deshalb lautet die große Frage, ob es Ischinger gelingt, die Versöhnungschance, die womöglich zwischen Ost und West liegt, zu nutzen – als Obama vom Bayerischen Hof, gewissermaßen. So wird etwa der Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer am Rande der Konferenz das Gespräch mit dem russischen Vizepremier Sergej Iwanov suchen – ein bedeutender Schritt für das Bündnis, das sich nach der Georgien-Krise bis auf Weiteres vorgenommen hatte, die Beziehungen zu Russland einzufrieren. Nach und nach tauen sie auf, Russland darf beispielsweise auf Arbeitsebene wieder im Nato-Rat mitreden – aber von einem soliden, konstruktiven Verhältnis, das sich beide Seiten unter anderem wegen Afghanistan wünschen, ist man noch weit entfernt.
»Natürlich kann die Konferenz als Katalysator dienen«, gibt Ischinger bescheiden Auskunft. »Und ich überlege mir schon, was sinnvoller Weise bewerkstelligt werden kann.« Er könne »objektive Voraussetzungen« schaffen für Kontaktanbahnung hinter den Kulissen, sagt der Botschafter a.D. Immerhin habe Barack Obama soeben das 30 Jahre alte Tabu durchbrochen, auf keinen Fall mit dem Iran in einen Dialog zu treten. Es trifft sich, dass nun nicht nur der amerikanische Vizepräsident Joe Biden, sondern auch der iranische Parlamentspräsident Ali Laridschani nach München reisen. »Sicher kann ich«, sagt Ischinger, »falls das gewünscht ist, Hand- und Spanndienste leisten – etwa durch das Placement bei Tisch.« Nicht ausgeschlossen also, dass die ersten politischen Gespräche zwischen Washington und Teheran nach drei Jahrzehnten bei einem Abendessen stattfinden, das (sic!) Horst Seehofer als gastgebender bayerischer Ministerpräsident für die Staatsmänner ausrichtet. Ischinger will nichts versprechen, er hält’s mit Beckerbauer. »Schaun mer mal!«, sagt er frohgelaunt.
Wohl hat er sonst einiges anders organisiert als bisher: Die Panels sind größer, die Redezeiten für manche Diven der Weltpolitik kürzer als je zuvor. Nicht jedem gefällt das. Als ein »desaster in the making«, bezeichnen Ischinger-Kritiker die Vorbereitung der Konferenz. Aber im Grunde schwingt darin die übliche Hoffnung mit – auf großes politisches Kino.
Apropos Staatsmänner. Es gehörte bisher zu den – vor allem von Frauen ernsthaft beklagten – Münchner Gewissheiten, »dass man da immer nur auf alte Männer trifft« (O-Ton einer Nato-Diplomatin). Diese Tatsache trägt entscheidend zum Mief des 20. Jahrhunderts bei, der München noch immer umweht. Seither hat sich schließlich nicht nur Russland emanzipiert. Wolfgang Ischinger weiß um das Problem. Und bemüht sich um »Zustrom frischen Blutes«, vor allem weiblicher Provenienz. »Daran bin ich bisher kläglich gescheitert«, gesteht er. »Der Frauenanteil ist weiterhin beklagenswert niedrig.« Testosteron, wer will’s bestreiten, regiert die Welt.