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Sorry, we are not convinced

 

Öffnen sich zwischen Amerika und Europa schon wieder ideologische Gräben?

Ein Schlichtungsversuch

Bricht wegen der Wirtschaftskrise ein neuer Glaubenskrieg zwischen Europa und Amerika aus? Die Schlagworte liegen jedenfalls schon bereit. Hier Regulierung, dort Stimulierung, lautet das neue Gegensatzpaar. Es scheint geeignet, zwischen Brüssel und Washington neue Zwietracht auszulösen. Wenn sich beide Positionen zur Ideologie verhärten, mag es nicht mehr lange dauern, bis es heißt:

Amerikaner sind vom Merkur, Europäer sind vom Mond.

„Mich erinnert das alles schon ein bisschen an die Zeit vor dem Irakkrieg“, sagte mir ein befreundeter amerikanischer Politikbeobachter vergangene Woche. „Fangen wir jetzt wieder an, Euch zu sagen, was der richtige Weg ist? Und dabei wollte Obama gerade doch nicht so belehrend auftreten wie seine Vorgänger.“

Steht es wirklich schon wieder so schlecht um die transatlantische Brüderlichkeit? Oder werden solch manichäische Weltbilder bloß gerne von Journalisten in die Welt gesetzt, weil sie das Erklären leichter machen? Ach, die Schlagzeilen klängen ja so gut:

Handel(!)krieg zwischen USA und EU ausgebrochen!
Steinmeier kontert Obama: Sorry, I am not convinced!
US-Präsident: Ihr seid entweder mit uns oder gegen uns!

Aber hat das etwas mit der Wirklichkeit zu tun?

Was stimmt ist, dass die Vereinigten Staaten eine Menge Geld in den Wirtschaftskreislauf pumpen, um Wachstum zu erzeugen. Gigantische 787 Milliarden Dollar wiegt das amerikanische Konjunkturprogramm, das helfen soll, Arbeitsplätze zur retten. Dafür nimmt Amerika ein Haushaltsdefizit von voraussichtlich 10 Prozent in Kauf. Barack Obamas Philosophie lautet: Lieber zu viel zu als zu wenig, und lieber zu früh als zu spät.

Der New York Times sagte der Präsident kürzlich: „Zu den Dingen, die wir jetzt sehen, gehören auch Schwächen in Europa, die genau genommen größer sind als einige Schwächen bei uns, und die zurückschlagen und Auswirkungen auf unsere Märkte haben.“ Was der Präsident damit eigentlich sagen wollte, so der Journalist John Vinocur, sei gewesen: „Europas größe Kerle sitzen herum, sorgen sich um ihre Verschuldung und warten darauf, auf einer neuen Handelswelle mitzusurfen, die sie selber nicht geholfen haben zu erzeugen.“
Der US-Wirtschaftsnobelpreisträger und Obama-Unterstützer teilte den Europäern in mehreren Artikeln mit, ihr Kontinent sei dem Untergang geweiht, wenn sie nicht schnellstens merkten, wie hinterwäldlerisch und naiv ihre Bedrohungsanalyse sei.

Was hierzulande stimmt, ist, dass die deutsche Bundeskanzlerin die Konjunktur bis auf Weiteres nur so weit anfeuern will, wie die volkswirtschaftliche Sicht reicht. Sie und ihr Finanzminister fürchten, es könnte die nächste Krise provozieren, Geld auf den Markt zu werfen, bevor klar sei, ob die bisherigen Belebungsversuche nicht schon griffen. Immerhin 50 Milliarden Euro will die Bundesregierung in den kommenden beiden Jahren ausgeben, um Investitionen anzukurbeln und Arbeitsplätze zu sichern.

Doch zu viel Liquidität kann die Kaufkraft auch verwässern. Am Ende stünde das Land dann mit mehr Langzeitarbeitslosen da als zuvor. Deshalb will Merkel jetzt erst einmal abwarten. Und bis dahin den politischen Schub nutzen, um weltweit neue Regeln für verlässliche Anlageprodukte und gegen Steuerflucht zu installieren.

Nach einer Schätzung des internationalen Tax Justice Network liegt in den Steueroasen des Planeten die unvorstellbare Vermögenssumme von 11,5 Billionen Dollar (eine Billion = Tausend Milliarden) herum – Geld, das legalistisch betrachtet zum jeweiligen nationalen Steuersatz der Gesamtgesellschaft gehörte und das längst eingesetzt hätte werden können, um Investionen und Zukunftssicherung zu betreiben. Vielleicht sogar in Form von Steuersenkungen. Kein Wunder, dass Finanzminister Peer Steinbrück am liebsten die „Kavallerie“ losschicken würden, um diese schwarzen Kassen nach Hause zu bringen.

Alles gut und schön, sagt der amerikanische Freund. „Aber wenn gerade das ganze Haus einstürzt, ist das der richtige Zeitpunkt, um über neue Bauvorschriften nachzudenken? Haben wir nicht gerade Dringenderes zu tun?“

Mag sein. Aber vielleicht ist das überragend Dringende nicht die Frage, wann welche Staaten wieviel Geld ausgeben sollten. Das können sie je nach Stabilität ihrer Standorte ganz gut selbst entscheiden, ohne dass Krugman & Co. gleich rhetorischen Pulverdampf verströmen müssten.

Das überragend Dringende ist vielmehr ein Drittes: Zu verhindern, dass die wirtschaftlichen Großmächte der Welt ihre Märkte abschotten, weil sie glauben, sich nur so vor den Folgen der Krise schützen zu können. Anzeichen für Protektionismus sind sowohl in Amerika wie auch in Europa oder China zu registrieren. Wenn es beim G20-Gipfel am 2. April in London gelingt, den globalen Freihandel zu sichern, dann wäre das der derzeit wichtigste Erfolg. Alle anderen Kriege, wenn es sie denn gibt, können warten.