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Geld gegen Dorsch

 

Die Isländer möchten der Euro-Zone beitreten. Und stellen Bedingungen

(Video-Beitrag inklusive)

Reykjavik
Der Außenminister legt die Füße auf den Couchtisch und macht ein paar Vorschläge zur Umgestaltung der Europäischen Union. „Natürlich möchten wir den Fischereikommissar stellen, wenn wir Mitglied werden“, sagt Össur Skarphédinsson. Wer verstehe schließlich mehr von diesem Geschäft als die Isländer? Als Gegenleistung würden die Inselbewohner den Kontinentaleuropäern dann erklären, wie sie endlich die Erdwärme nutzen könnten, die auch unter ihren Füßen schlummere.

In Ungarn zum Beispiel, schwört Skarphédinsson, habe die Geothermie eine echte Zukunft, in Slowenien, auch in Deutschland. „Amsterdam und Paris liegen auf Wärmepools, sagen unsere Wissenschaftler. Unser Know-How könnte der EU helfen, ihre Klimaschutz-Ziele zu erreichen.“ Skarphédinsson nimmt die Füße vom Tisch und träufelt sich ein Häuflein Schnupftabak auf den Daumenballen. Er meint das alles ernst.

Am Wochenende haben die Isländer gewählt, und die Sozialdemokraten, zu denen Skarphédinsson gehört, haben zusammen mit den Linksgrünen einen deutlichen Sieg davon getragen. Schon im Januar hatten die krisengeschockten Isländer nach 18 Jahren ungebrochener Herrschaft die konservative und Brüssel-feindliche Unabhängigkeitspartei aus dem Amt gejagt.

In einem Akt, der als die Küchengerät-Revolution in die Geschichte des Landes eingehen könnte, zogen Tausende Isländer eine Woche lang mit Töpfen und Pfannen vor den Regierungssitz, um sich Neuwahlen zu ertrommeln. Für die Mehrheit der Bevölkerung steht seit Monaten fest, dass die Konservativen den Absturz des Landes durch eine laisser-faire-Politik gegenüber den Banken nicht nur heraufbeschworen, sondern auch beim Management der ‚kreppa“, der Krise, jämmerlich versagt haben. Als beim abendlichen Kochlöffelschwingen Handgreiflichkeiten gegen Minister drohten und die Polizei zum ersten Mal seit den Protesten gegen den Nato-Beitritt Islands 1949 Tränengas einsetzen musste, sahen die Konservativen ein, dass es Zeit war zu gehen.

Die politische Thermodynamik allerdings verhält sich etwas anders als Skarphédinsson und Rehn wähnen: Island braucht die Wärme der Europäischen Union, vor allem die des Euro, viel dringender als umgekehrt. Alle drei Banken der Insel sind im vergangenen Krisenjahr kollabiert, die Arbeitslosigkeit ist von zwei auf zehn, die Inflation auf knapp zwanzig Prozent emporgeschnellt. Jeden Tag gehen im Schnitt drei Firmen Pleite. Island, die Finanzumwälzpumpe im Nordatlantik, die jahrelang mit zweistelligen Zinssätzen Kapital anzog und für Investitionen in aller Welt weiterleitete, ist den Infarkttod gestorben. Der Wert der einst hochgehandelten Krone hat sich binnen eines Jahres mehr als halbiert. Die Währung ist, schlicht gesagt, im Eimer. „Wenn die Isländer jetzt sagen, sie wollen der Euro-Zone beitreten, löst das hier schallendes Gelächter“, sagt ein Brüsseler Diplomat.

Genau das sagen sie aber. Das Ansinnen einer Währungsunion mit Norwegen hat Oslo unlängst dankend zurückgewiesen, und der Dollar ist für ein Land, das 80 Prozent seines Außenhandels mit Europa betreibt, keine ernsthafte Option. Immer mehr hartgesottene EU-Gegner auf der Insel erkennen deshalb an, dass die Zukunft entweder Brüssel heißt oder Niflheim – wie die lebenserstickende Eiswelt der Sagas.

Der notwendige Papierkram für einen Aufnahmeantrag an die Europäische Union, glaubt der Außenminister, könnte bis Juni erledigt sein. Island könnte dann, eher unerwartet, das 28. Mitglied der Union werden. In Brüssel breitet der Erweiterungskommissar schon die Arme aus. „Die Verhandlungen könnten schnell vonstatten gehen“, sagt der Finne Olli Rehn. Immerhin sei Island eine der ältesten Demokratien der Welt – und seine Mitgliedschaft würde die EU atlantisch abrunden.

Als nächstes, so der Außenminister, könne dann ein Referendum über den EU-Beitritt angehalten werden. Die Frage ist bloß: Zu welchen Bedingungen ist der denkbar? Der Streit darüber wird dieser Tage in Zeitungsbeiträgen, Fernsehdebatten und Kneipen ausgetragen. Auf der Contraseite dabei immer: die sturköpfigen Fischer.

Steindór Oliversson (VIDEO-Interview hier) sitzt an einer Bucht im Hafenstädtchen Akranes und klopft seine Pfeife an einem Basaltstein aus. Sein Vollbart umwuchert den Großteil des Gesichts, und aus der Baseballkappe hängt ein angegrauter Zopf heraus. Seit 23 Jahren zieht Oliversson Dorsche und Schellfisch aus dem Nordatlantik, in Handarbeit. Vor ein paar Jahren ist ihm dabei einmal ein Köderhaken ins Auge geflogen, so groß wie eine Wäscheklammer. „Aber ich habe trotzdem noch die Leinen eingeholt“, erzählt er.

Die Fangquote, die vom Staat kaufen muss, sei schließlich zu teuer, um sie zu verschwenden. Oliversson und seine Berufskollegen müssen Kredite aufnehmen, um sich die jährlichen Anlande-Erlaubnis leisten zu können. Jetzt, mit dem Währungszusammenbruch, schießen die Zinsraten ins Unermessliche. Wahrscheinlich, stimmt Oliversson nickend zu, wäre der Euro schon gut. Aber was, fragt er, wenn dafür irgendwelche Bürokraten mit ihren viel zu hohen Fangquoten die ganze isländische Fischerei ruinieren?

„Ich sage ja nicht, dass das in Brüssel schlechte Menschen sind“, meint Oliversson. „Aber sie sind ist so weit weg. Verstehen die überhaupt etwas von unserer See? Und wenn schnell mal was geklärt werden muss“, er legt die muskulöse Hand ans Ohr, „kann man da doch keinen anrufen.“

Was der 56jährigere eher intuitiv formuliert, sagt wahrscheinlich mehr über ein schwelendes Strukturproblem der EU aus, als ihm klar ist. Zu viele Entscheidungen werden in einer Entfernung von den Betroffenen getroffen, die nicht zur Weisheit der Regelungen beiträgt, besonders in der Fisch- und Agrarpolitik. Wäre es anders, hätten die Isländer überhaupt kein Problem mit der Brüsseler Perspektive. Immerhin ist das Land seit 1994 Mitglied im Europäischen Wirtschaftsraum, nimmt an Schengen teil, übernimmt fast jede Binnenmarktregel und beteiligt sich sogar an EU-Sanktionen gegenüber Weißrussland, Serbien oder Zimbabwe.

Grundlegende Fehlentwicklungen des Brüsseler Zentralismus registriert das Inselvolk andererseits sensibler als andere Staaten. Der Fischfang steht in Island stellvertretend für Souveränität – und damit für die Grenzen akzeptabler Einmischung. Um seine Küstengewässer vor Überfischung zu schützen, weitete Island sein Hoheitsgebiet bis 1976 auf 200 Meilen aus. Dabei kam es im wörtlichen Sinne zu Zusammenstößen zwischen isländischen Trawlern und britischen Kriegsschiffen. Bis Westminsters Flotte schließlich beidrehte.

„Wir sind wahrscheinlich das einzige Land, das das britische Empire jemals auf See besiegt hat“, witzelt der Reykjaviker Politikprofessor Ólafur Hardarsson und stößt seine Gabel in ein Stück Hummerschwanz. „Ich will damit sagen, dass unsere Fischgründe uns als vitale Ressource gelten. Sollte ein EU-Beitritt bedeuten, dass spanische oder schottische Trawler hier herumkurven dürfen, dann“, er reißt die Augen auf, „vergiß’ es! Ganz einfach.“

Dass dies unter dem Einfluss des Imperiums EU passieren könnte, ist zwar so gut wie ausgeschlossen. Dennoch, die Brüsseler Grundregel lautet: Wer in europäischen Gewässern wie viel Fisch fangen darf, legen die Nationen nicht für sich allein fest, sondern per Mehrheitsbeschluss im europäischen Ministerrat. So soll vermieden werden, dass einzelne Ländern sich maßlos an wandernden Fischschwärmen bereichern und damit auch die Bestände für andere schädigen.

Der Gedanke gemeinsamer Regulierung sei ja gut, sagt der Chef der isländischen Fischerboot-Vereinigung, Fridrik Arngrímsson. Aber warum müssten italienische oder polnische Politiker darüber mitentscheiden, wer welche Menge aus dem Nordmeer ziehen dürfe? „Wir regeln per Abkommen mit Großbritannien, Norwegen und Russland schon selber, wer welchen Anteil an den Heringsschwärmen bekommt“, sagt er. Das funktioniere gut. Zudem sei der EU-Wahnsinn, untermäßigen Fang zurück ins Meer zu kippen, in Island schlicht verboten.

Tatsächlich hält selbst die Brüsseler Kommission die EU-Politik für missraten. „Die meisten europäischen Bestände sind überfischt“, heißt es in einem Arbeitspapier, niedrige wirtschaftliche Effizienz stehe hohen Umweltschäden gegenüber.

„Unser Rezept dagegen lautet, dass kein einziger Fischer Subventionen bekommt“, sagt Arngrímsson mit erhobenem Zeigefinger. Stattdessen garantiere die teure isländische Staatsquote, dass sie ihre Lebensgrundlage sorgfältig schützten. Anders vielleicht, will er damit andeuten, als manch zuwendungsgewohnter Berufskollege in Spanien oder Frankreich. Aber wenn das Überleben der gesamten isländischen Wirtschaft nun doch an der Euro-Mitgliedschaft hängt? „Dann“, antwortet Arngrímsson, „sollten wir eben darüber nachdenken, den Euro einseitig einzuführen.“

Vor diesem Schritt allerdings hat die Europäische Zentralbank die Isländer schon eindringlich gewarnt. Auf eine Rosinenpickerei europäischer Errungenschaften, droht auch die Kommission, könnte die EU durchaus giftig reagieren.

Unverantwortliche Angstmacherei werfen die EU-Freunde auf der Insel den Fischern vor. Es sei einfach „Unsinn“ zu behaupten, die EU erhalte die Kontrolle über die Fischerei. „Die Union hat noch niemals vitale Ressourcen eines Landes unter ihre Verwaltungshoheit genommen, weder den finnischen Wald, noch das britische Öl“, sagt Andrés Pétursson von der „Europäischen Bewegung“ in Island. Kiefern und Ölquellen pflegen allerdings auch nicht über Ländergrenzen hinweg zu schwimmen. Die Angst der Angler ist deshalb nicht ganz unberechtigt.

Womöglich aber nehmen größere Fische den Isländern die Entscheidung über einen EU-Beitritt ab. Angela Merkel und Nicolas Sarkozy haben mehrfach betont, ohne den Lissabon-Vertrag könne die Union keine neuen Mitglieder aufnehmen. Das gelte, heißt es aus offiziellen Quellen, auch für Island.

Der Außenminister in Reykjavik will das nicht ganz glauben. „Ich spüre keinen Widerstand bei den Deutschen, kein bisschen“, sagt Össur Skarphédinsson. Man könne Island doch auch nicht allen Ernstes mit EU-Kandidatenländen auf dem Balkan vergleichen. Reykjavik habe Europa schließlich die Sagas gebracht, später die Abrüstungsverhandlungen – und als nächstes vielleicht ein klügeres Fischereimanagement. Skarphédinsson weist mit dem Daumen auf den Reykjaviker Hafen hinaus. „Wir können das besser“, sagt er. „Aber das Gelegenheitsfenster bleibt nicht lange offen. Wir müssen uns jetzt alle ein bisschen beeilen.“

Fotos: JB