Warum es die Europäische Union im Gegensatz zu den USA nicht schafft, genügend Polizeiausbilder nach Afghanistan zu bekommen
Kabul
82 000 einheimischen Polizisten versehen laut Angaben der Nato bisher in Afghanistan ihren Dienst. Das sind offenkundig viel zu wenige für ein konfliktgebeuteltes Land von 32 Millionen Menschen (in Deutschland, zum Vergleich, gibt es bei 80 Millionen Einwohnern etwa 250 000 Beamte). Die amerikanische Regierung will nun, dass es mehr werden. Und zwar schnell. Notfalls mit einem 8-wöchigen Crashkurs, so ähnlich, wie er bereits zum raschen Aufwuchs der afghanischen Armee praktiziert wird (siehe dazu unser VIDEO).
Schließlich stehen im August Wahlen an in Afghanistan, und bis dahin sollen so viele Uniformierte wie möglich auf den Straßen patrouillieren.
„Wir wissen, dass man die Polizei zu ordentlichen Gesetzeshütern erziehen muss“, sagt der amerikanische General Richard P. Formica. Der stämmige Offizier koordiniert im US-Hauptquartier in Kabul den Polizeiaufbau im Land. „Aber um ein Gesetzeshüter zu sein, muss man erstmal überleben. Und dabei helfen wir ihnen.“ Natürlich gebe es auch eine Polizeiakademie, an der in 3jährigen Kursen Polizisten für höhere Ränge ausbildet würden, sagt Formica. „Bloß kriegt man“, sagt er mit durchaus donnernder Stimme, „keine Zehntausende Polizisten auf die Straße, wenn man sie alle an die Uni schickt.“
Zumal der Job für Einsteiger neben 120 Dollar monatlich eine gesteigerte Lebensgefahr mit sich bringt. 2000 Polizisten, heißt es, seien 2008 getötet worden. Die neue staatliche Ordnungstruppe ist das erste Ziel für Taliban und Drogenbarone. „Es mag grob klingen“, ergänzt der britische Brigadegeneral Neil Baverstock, „aber wir brauchen einfach erstmal eine Präsenztruppe da draußen.“ Großbritannien macht’s deshalb wie Amerika: Es setzt Soldaten ein, um Polizisten zu trainieren.
Der US-General Formica, ein Irak-Kriegs-Veteran, freut sich deshalb über den neuen Wind, der seit der Einsetzung der Obama-Regierung in Washington wehe: „Im Irak, wenn wir da etwas brauchten, haben wir es bekommen. In Afghanistan, wenn wir da etwas brauchten, haben wir uns überlegt, wie wir ohne es zurechtkommen. Das ändert sich gerade. Wir spüren, dass die Regierung es ernst meint mit ihren neuen Prioritäten.“
Wie anders hingegen die Stimmung, die im Hauptquartier der europäischen Polizeimission EUPOL in Kabul herrscht. Die EU-Ausbilder residieren in einem neuen zweistöckigen Bürogebäude von ausgesuchter Behaglichkeit, mit begrüntem Atrium und heimischem roten Backstein. Ein paar Afghanen liefern gerade schmucke, handgeknüpfte Teppiche an, die ein paar deutsche Polizisten fachmännisch in Augenschein nehmen.
Das EU-Projekt hat deutsche Wurzeln – und nicht alle hier sind gut auf die beiden Missionschefs zu sprechen, die Berlin nach Kabul entsandt hatte. „Das war ein Kaffee-Job für die, ein gut bezahlter Kaffee-Job“, lästert ein nordeuropäischer Diplomat.
Mittlerweile hat der Däne Kai Vittrup die Leitung von EUPOL übernommen. Er ist ein drahtiger Mann, dem anzumerken ist, wie er für seine Aufgabe brennt. Noch ist er nicht dazu gekommen, in seinem Büro Bilder aufzuhängen, und im Zimmer nebenan wird gerade heftig gehämmert und gebohrt. „Wir müssen für Ergebnisse sorgen“, sagt Vittrup ungeduldig. „Ich will auch Leute in den (gefährlichen) Osten des Landes rausschicken. Aber dazu brauchen wir Unterkünfte und die logistische Einbindung ins Militär.“
Vittrups größtes Problem, sagt er, bestehe darin, dass sich europäische Polizisten, anders als Soldaten, nicht nach Afghanistan zwingen ließen. Der Einsatz im Ausland ist freiwillig, und wer den Schritt von Zuhause weg schon wage, sagt Vittrup, der wähle als Standort doch eher das Kosovo oder Georgien statt Afghanistan. „Da ist es viel freundlicher. Da gibt es schöne Innenstädte und Straßencafés. Die Optionen für Kabul sind etwas andere. Hier kann man getötet werden.“ Das mache einen Einsatz in Afghanistan auch für Frau und Kind schwer vermittelbar.
Das Resultat: Der EU-Mission fehlen noch immer viel zu viele Ausbilder. 30 000 Polizisten will Vittrup in den nächsten Jahren ausbilden. Doch dafür müsste er viel mehr Trainer hinaus in die Städte schicken können, nach Mazar-i-Sharif oder nach Herat. „Wir können nur hoffen“, resümiert der Däne, „dass sich mehr Freiwillige finden.“
Vielleicht könnte es helfen, wenn die Europäische Union die Anreize für Polizisten erhöhen würden, sich auf die Mission zu begeben. Denn bisher scheinen vor allem zwei Motivationen EU-Polizisten nach Afghanistan zu treiben, auf die niemand setzen kann, der eine Vielzahl von Beamten braucht: Idealismus für die Sache und Frust in der Heimat.
Von beiden berichtet der deutsche Bundespolizist Martin Heyne. Der 38jährige Beamte entschied sich 2005, für neun Monate als Aufbauhelfer nach Kabul zu gehen. Neben dem „starken inneren Wunsch, sich einer herausfordernden Auslandsverwendung zu stellen“, sagt Heyne, habe er auch nach einer Erleichterung für sein Privatleben gesucht.
„Ich denke, dass Auslandsverwendungen oft eine Flucht vor einer Situation in der Heimat sind. Ich selbst befand mich in einer Ehekrise. Nach dem ersten Heimaturlaub, aus der Distanz heraus, habe ich mich dann einvernehmlich von meiner Frau getrennt. 2006 habe ich mich scheiden lassen. Andere Kollegen haben ähnliche Erfahrungen gemacht.“
Und Heyne machte noch eine Erfahrung, von der viele Afghanistan-Rückkehrer berichten. Er fing sich eine Darmerkrankung ein, die langwierig tropenmedizinisch behandelt werden musste. Bis heute, sagt Heyne, leide er unter erheblichen Magen-Darm-Problemen. „Ich denke, sie hängen mit psychischem Stress zusammen, der zumindest zum Teil wohl auch auf die Auslandsverwendung zurückgeht.“ In der Rückschau sei die Zeit in Kabul ein „knallharter Knochenjob“ gewesen. Würde er ihn zu denselben Bedingungen noch einmal machen? Ja, sagt der Beamte, der derzeit am Frankfurter Flughaften Dienst tut – „wenn die Gesundheit wieder stimmt“.
Denn Heyne glaubt trotz aller zahlenmäßigen Erfolge der Amerikaner, dass die deutsche Methode beim Polizeiaufbau erfolgversprechender sei.
„Ohne die für uns typische Gründlichkeit und Nachhaltigkeit kaum Aussicht auf ein Missionsende besteht. Denn die endemische Korruption in Afghanistan und die aus sozialem Verständnis heraus gewachsene Vetternwirtschaft machen jede auf kurze Sicht geplante Maßnahmen zu einem Debakel. Mein Motto für den Afghanistan-Einsatz lautete immer: Entweder wir machen es richtig oder gar nicht.“
Die holländischen Soldaten in Kandahar freuen sich derweil auf die Truppenverstärkung aus Amerika. Die Krieger, die jetzt Tag für Tag auf dem Airfield im Süden landen, zählen zu den feuerstärksten, modernsten Einheiten, die die USA zu bieten haben. Die „2nd Marine Expeditionary Brigade“ rauscht heran, nebst einer „Combat Aviation Brigade“ mit 100 Kampfhubschraubern. Nach Nation Building klingt das nicht gerade.
Keine Sorge, sagen die Holländer. „Das Kommando hier führen wir. Und unsere Strategie ist gut. Die Amerikaner werden sich der anpassen müssen.“ Das heiße konkret: Nicht den Kampf suchen, sondern Sicherheitsdienste leisten für jene Afghanen, die ihr Land voranbringen wollen. Für Polizisten, Lehrer, Bauarbeiter. Sieben niederländische Offiziere seien schon im Pentagon gewesen und hätten ihre Counterparts dort entsprechend eingestimmt. „Die wissen jetzt, was Sache ist. Ihre Hauptaufgabe ist es nicht, die Taliban zu besiegen, sondern die Bevölkerung für sich zu gewinnen.“
Auch so kann transatlantische Zusammenarbeit aussehen. Wenn Europa sich was traut.