Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Botschaftsasyl für Teherans Demonstranten?

 

Wie werden sich europäische Botschaften im Iran verhalten, wenn verletzte Demonstranten oder politisch Verfolgte an ihre Türen klopfen? Können, müssen die EU-Staaten ihnen Hilfe oder Asyl gewähren?

„Wir haben von einer Menge von Fällen gehört, in denen Verletzte sich an Botschaften gewandt haben“, sagt Aaron Rhodes von der International Campaign for Human Rights in Iran. Laut Informationen der Organisation sind Demonstranten bei dem Versuch verhaftet worden, sich ihre Wunden in iranischen Krankenhäusern behandeln zu lassen. „Die Angst, verhaftet zu werden, hat verletzte Demonstranten, einige von ihnen in kritischem Zustand, keine Behandlungsmöglichkeit gelassen, und einige von ihnen haben angeblich Hilfe in ausländischen Botschaften gesucht“, so die NGO. In welchen Botschaften und wie viele Fälle dies gewesen sein soll, kann die Organisation allerdings nicht sagen.

Eine per Twitter und Facebook verbreitete Meldung, wonach sich Oppositionelle am Wochenende in die kanadische Botschaft in Teheran geflüchtet haben sollen, hat das kanadische Außenministerium dementiert.

„Bestätigte Berichte:“, jubiliert die Facebook-Gruppe Free Iran am Samstag um 22.18 Uhr, „Ausländische Botschaften akzeptieren verletzte Demonstranten zwecks medizinischer Hilfe. Die kanadische Botschaft ist heute voll.“ – „Bravo!“, kommentierten darauf ein Dutzend Facebook-Nutzer, „Canada… YOU GO!!! – Today I am a happy Canadian!“

Der Sprecher des kanadischen Außenministerium, Simone McAndrew, wies die Nachricht aus der World-Wide-Webküche allerdings zurück: „Berichte, wonach wir iranischen Demonstranten Zuflucht gewähren, sind falsch.“

Zwar erreichen eine Reihe von europäischen Botschaften E-Mails, mit der Bitte, die Türen für Flüchtlinge zu öffnen, doch ein tatsächlicher Fall, in dem dies geschehen wäre, lässt sich bisher nicht bestätigen.

Außenamtssprecher in Deutschland, Frankreich, Dänemark, Österreich, Belgien und Norwegen sagten, ihnen seien keine solchen Fälle bekannt.

Was natürlich nicht heißt, dass sie vorkommen können. Und was dann?

Eine Entscheidung, Oppositionellen in europäischen Botschaften Asyl zu gewähren, hätte „politische“ Auswirkungen, zitiert die Nachrichtenagentur AFP die schwedische Außenamtssprecherin Cecilia Julin. Insbesondere das Verhalten ihres Landes hätte Signalwirkung. Schweden übernimmt zum 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft. Nach Stand der Dinge, sagt Julin, könne Schweden „kein Asyl auf Botschaftsgelände gewähren“.

Dies ist auch nach Auskunft des Auswärtigen Amtes (AA) in Berlin auch die deutsche Position. Politisches Asyl muss an den Grenzen zu Deutschland beantragt werden. An Botschaftsschranken ist dies nicht zulässig (anders wäre es allenfalls, wenn die Person sich schon in der Botschaft befände). Leichter zu gewähren wäre kurzfristiges „Botschaftsasyl“, also Zuflucht für Hilfssuchende, die sich in unmittelbarer Gefahr befinden – sei es aufgrund einer Hetzjagd auf der Straße oder aufgrund von Verwundungen – und die an die Tür der Vertretung pochen

„Noch ist ein solcher Fall im Iran nicht eingetreten“, sagt eine Sprecherin des AA in Berlin. „Wenn er vorkommen sollte, müsste man den Einzelfall bewerten.“ Etwa die Art und Schwere der Verletzung und die Umstände der Verfolgung. Von allen europäischen Außenministern hat sich bisher Italiens Franco Frattini am deutlichsten für spontane Hilfe ausgesprochen. Laut einer Pressemitteilung wies er die Botschaften an zu helfen, „wo es Nachfrage oder Bedarf nach Hilfe von verletzten Demonstranten gibt.“

Die Frage allerdings ist, ob nicht alle europäischen Staaten unter Zugzwang gerieten, falls ein Land beginnt, Hilfesuchende aufzunehmen. Die tschechische Ratspräsidentschaft der EU versucht deshalb, die Politik der Botschaften im Iran zu koordinieren. Nach ZEIT-Informationen sollen die EU-Botschafter in Teheran in Kontakt stehen, um ihr Vorgehen abzustimmen. Außerdem hat die tschechische Ratspräsidentschaft alle 27 EU-Ländern aufgefordert, die jeweiligen iranischen Botschafter in die Außenämter einzubestellen. Mit dieser Maßnahme solle ihnen klargemacht werden, dass die EU die Behauptung Irans, die europäischen Regierungen nähmen mit ihrer Kritik ungerechtfertigten Einfluss auf innere Angelegenheiten, „kategorisch zurückweist.“

In Berlin ist das schon geschehen. Am dortigen Wederschen Markt erhielt der iranische Botschafter Ali Reza Sheikh Attar, die Auskunft, „die jetzige Lage sei nicht durch westliche Staaten ausgelöst worden. Vielmehr gehe es um die Achtung der grundlegenden Menschen- und Bürgerrechte durch den Iran“.

Aber spielt die Propaganda des Teheraner Regimes wirklich keine Rolle bei der Frage, wie die EU mit Botschaftsflüchtlingen umgehen soll? Aus mehreren Gründen immerhin kämen den EU-Vertretungen Nachrichten über einheimische Gäste ungelegen: Erstens können sie kein Interesse daran haben, dass es zu einem Massenansturm auf die Botschaften kommt, zweitens könnte das Regime solche Fälle als Belege für die These von der westlichen Verschwörung nutzen, und drittens droht Teheran schon jetzt einzelnen EU-Diplomaten mit der Ausweisung, unter anderen den Deutschen. Motive, nicht jeden Flüchtlings-Fall an die große Glocke zu hängen, gäbe es also.