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Mit einem SWIFT ist alles weg

 

Wie in der EU über Bürgerrechte verhandelt wird, ist Europa unwürdig

Es ist ein typischer Sommersaison-Nachmittag in Brüssel. Die Amts- und Redaktionsstuben der EU-Hauptstadt sind weitgehend geleert. Der politische Betrieb läuft aus, rund um den sonst so hektischen Place Schuman schweigen jetzt sogar die Baustellen. In diese Stille hinein fliegen am Montag die 26 Außenminister der Europäischen Union ins Justus-Lipsius-Gebäude ein, zu einem Rat über Allgemeine Angelegenheiten (RAA).

Sie reden über das Aufnahmegesuch Islands (die Kommission soll Beitrittsverhandlungen aufnehmen), über das Chaos in der Staatsruine Somalia (die EU soll eine Erkundungsmission entsenden), und beim Mittagessen debattieren sie über den Iran (man zeigt sich sehr besorgt über die Behandlung der gefangenen Oppositionellen, im übrigen soll mit Teheran weiter umgegangen werden wie bisher).

Und dann gibt es da noch einen vorverhandelten Punkt auf der Tagesordnung, dem die Minister ohne weitere Aussprache zustimmen. Schließlich scheint es nur um eine Kleinigkeit zu gehen: die Kooperation mit den USA in der Terrorbekämpfung, eine Formsache der Zeitgeschichte, wenn man so möchte. Einstimmig, nebenbei, nickten die Außenminister das Vorhaben ab: Die Europäische Union soll ein Abkommen schließen, das die Weitergabe von Bankdaten europäischer Bürger an die amerikanische Regierung erlaubt.

Die Außenminister erteilen auf diese Art ein Placet für einen Eingriff in Freiheitsrechte, der, würde er in den politischen Arenen der einzelnen Mitgliedsstaaten geplant, Wogen der Empörung auslösen würde. Was, anders gesagt, in Deutschland als Gesetz den Bundestag und eine geharnischte öffentliche Debatte passieren müsste, wird in Brüssel als Konferenzpunkt abgehakt. Es ist dieser Webfehler im politischen System der EU, der so vielen Menschen (und Verfassungsrichtern) Bauchschmerzen bereitet.

Und so lautet der Beschluss: Die Vereinigten Staaten sollen künftig über eine europäische Behörde Anfragen richten können, um die Daten von Swift-Überweisungen zu erhalten. Swift, die Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunications, ist eine Genossenschaft mit Sitz in Belgien, die für mehr als 8300 Banken und Finanzdienstleister in 208 Ländern internationale Transaktionen abwickelt. Jeder, der schon einmal eine Auslandsüberweisung getätigt hat, kennt die speziellen Swift-Codes, mit deren Hilfe die Empfängerkonten zugeordnet werden.

Was kaum jemand weiß, ist hingegen, dass die amerikanische Regierung seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 völlig unkontrolliert die Daten von Swift-Benutzern, also Name, Betrag, Bankkontakte und Verwendungszwecke überprüft und gespeichert hat. Denn Swift unterhält einen so genannten Spiegel-Server im US-Bundesstaat Virginia. Auf Grundlage einer Executive Order, also einer Anweisung des Präsidenten, hat sich das US-Finanzministerium bis Ende 2006 ohne jede Einschränkung aus dem Speicher bedient.

Dann flog die Abzapf-Aktionen auf, und auf Drängen der EU verpflichtete sich das US-Finanzministerium die Daten wenigsten nicht länger als fünf Jahre zu speichern sowie eine jährliche „Evalution“ der Sammelei durch einen europäischen Richter zuzulassen.

Schon an dieser Stelle wäre freilich die Frage erlaubt gewesen, warum die Europäische Union nicht wesentlich entschlossener reagiert hat. Die Swift-Daten erlauben es immerhin, ein umfängliches Profil europäischer Wirtschaftsbeziehungen zu erstellen. Wer handelt mit wem? Welche Umsätze machen welche Firmen? Wer exportiert wohin? Wie stark entwickelt sich Firma X? Wie geht es Konkurrent Y? 15 Millionen Transaktionen werden jeden Tag über Swift abgewickelt. Glauben die europäischen Regierungen allen Ernstes, das Interesse der US-Regierung an diesem Informationsschatz sei auf Terrorfinanzierung beschränkt geblieben?

Schon 2006 also, nach Bekanntwerden der Datenabschöpfung, hätte die Europäische Union mit den Amerikanern eine, um es vorsichtig zu sagen, ernsthafte Diskussion über dreisten Informationsklau führen können. Stattdessen sollen in Zukunft, wie es der Europa-Staatsminister Günter Gloser (SPD) am Montag in Brüssel formulierte, „Leitplanken“ eingezogen werden, um den Datenschutz zu stärken und Europäern den Rechtsweg gegen illegale Abschöpfung zu eröffnen.

Denn mittlerweile hat Swift gehandelt. Die Firma will ihren Server von Virginia in die Schweiz zu verlegen. Im Herbst soll der Umzug bewerkstelligt sein. Dem allzu leichten Zugriff der amerikanischen Behörden wären die Bankdaten damit entzogen.

Statt aber nun erst einmal in aller Ruhe – und vor allem unter Beteiligung der nationalen Parlamente – zu diskutierten, wie in Zukunft unter Abwägung aller Interessen verfahren werden sollten, wird aus dem „Pull-System“, so ein europäischer Diplomat, schlicht ein „Push-System“ gemacht. Die Amerikaner fragen nach Swift-Daten, die Europäer liefern – unter Voraussetzungen, die bis Dezember zwischen Kommission und USA ausgehandelt werden sollen.

Die Hauptfrage indes haben die Minister in Brüssel nicht diskutiert. Trägt die Datensammelei überhaupt in verhältnismäßiger Weise zur Terrorbekämpfung bei? Fragt man EU-Diplomaten, wie viele Anschläge denn bisher durch die Daten-Überprüfungen verhindert worden seien, verweisen sie auf einen Bericht des Richters Jean-Louis Bruguière vom Februar diesen Jahres. Nach Ansicht des Franzosen hat die Datenüberprüfung „maßgeblich zur Terrorismusbekämpfung in den Vereinigten Staaten, in Europa und in anderen Erdteilen“ beigetragen. Mehr als diese wertende Zusammenfassung des Bruguière-Berichts ist der Öffentlichkeit allerdings nicht zugänglich. Das Papier ist als geheim eingestuft. Mit anderen Worten: Wie sinnvoll der Datenscan ist, kann kein Parlamentarier, kein Journalist, kein Bürger nachvollziehen.

Jean-Louis Bruguière, soviel läßt sich allerdings sagen, ist kaum der beste Gewährsmann für die Verhältnismäßigkeit von Anti-Terror-Maßnahmen. Der Ermittlungsrichter hat sich seinen Fachruhm bisher weniger als neutraler Gutachten denn als hartgesottener Terroristenjäger erarbeitet. In europäischen Polizei- und Geheimdienstkreisen gilt Bruguière neben seinem spanischen Kollegen Balthazar Garzon als einer der Richter, an die man sich vertrauensvoll wenden kann, wenn er eines schnellen, unkomplizierten Haftbefehls gegen wandernde Dschihadisten bedarf.

Und Swift selbst gehört, nach allem was man weiß, kaum zu den bevorzugten Geldtransfermethoden von Islamisten. Sie bedienen sich vielmehr oftmals dem jahrhundertealten so genannten „Hawala“-System, auch bekannt als Underground Banking. Das funktioniert so: Möchte jemand aus dem Jemen Geld nach Pakistan überweisen, wendet er sich an eine Hawala-Wechselstube und gibt dem Betreiber den entsprechenden Geldbetrag. Im Austausch erhält er ein Codewort oder eine Zahlenkombination. Jedem, der den Code, einen persönlich überlieferten PIN gewissermaßen, kennt, wird der Betrag am Zielort ausgezahlt.

Wie viele Fälle von Terrorismus bisher durch den Swift-Überprüfung verhindert worden seien, konnte am Montag auch Staatminister Gloser nicht sagen. Ob das Bundeskabinett je mit der Angelegenheit befasst war und welche Meinungen sich dort bildeten, wusste Gloser ebenfalls nicht. „Wir stehen“, warb er vor den Journalisten um Verständnis, „erst am Anfang eines Verhandlungsprozesses.“
Bis der abgeschlossen ist, saugen die Amerikaner weiter weidlich Daten vom Swift-Server ab. Es wäre, sagt der EU-Justizkommissar Jacques Barrot, „extrem gefährlich, zum jetzigen Zeitpunkt die Überwachung des Informationsflusses zu stoppen.“

Beschlossen zur Sommerzeit in diplomatischen Hinterzimmern, beraten von einem Hardliner, abgeschirmt gegen jede inhaltliche Opposition – die Art, wie die EU über Bürgerrechte verhandelt, ist Europa schlicht unwürdig.