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Ein Schlag auf die Birne

 

Die erste Stufe des EU-weiten Glühbirnenverbots tritt in Kraft. Wie genau kam es eigentlich in die Welt?

Ab heute dimmt Brüssel den Kontinent. Alle 100-Watt-Glühbirnen und alle matten Glühlampen müssen aus den Ladenregalen verschwinden. Nach und nach folgen auch schwächere Kolben. Ab September 2012 wird es innerhalb der Europäischen Union überhaupt keine herkömmlichen Edison-Glühlampen mehr zu kaufen geben.

Weithin überrascht stellen die Europäer dieser Tage fest, dass zum Ziele der CO2-Reduzierung per EU-Verordnung die Birne gebannt wird – und hamstern, was das Zeug hält, die gemütlichen Glimmlampen. „Brüssel“, das verdammt sich nun leicht. Aber wer genau war eigentlich wann verantwortlich?

Die Rekonstruktion des Glühlampenverbots, dies zur Warnung, ähnelt bisweilen dem Abtauchen in eine Wurstmaschine. Doch wer die politische Erleuchtung sucht, muss sich durch die Innereien europäischer Gesetzgebung wühlen. Der entscheidende Impuls allerdings kam aus Deutschland. Genauer gesagt von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel. Ein Brief von ihm an die EU-Kommission stieß vor gut zwei Jahren den Prozess an, an deren Ende Europas Wohnzimmer kühler leuchten werden.

Denn mögen Energiesparlampen in der Erdatmosphäre für besseres Klima sorgen – daheim empfinden viele Menschen ihr Licht als so unangenehm wie eine kalte Dusche. Zudem steht es im Verdacht, ungesund zu sein. Der hohe Anteil von unruhigem Blaulicht, sagen Mediziner, sei schlecht für Schlaf und Psyche. Biorhythmisch sei der Mensch am Abend die thermische, gleichwellige Strahlung rötlichen Feuerscheins gewohnt. Außerdem verdampfen Energiesparlampen zur Lichterzeugung Quecksilber. Bei falscher Entsorgung gelangt das Gift in die Umwelt. Kurzum, über das Glühlampenverbot könnte man aus vielen Gründen streiten. Bloß, genau das ist nie geschehen.

Alles begann vor sechs Jahren, am 9. September 2003. Die EU-Kommission in Brüssel verkündet eine Idee für eine Richtlinie mit dem Zauberwort „Ökodesign“. Es geht darum, für „Elektro- und Elektronikgeräte oder Elektrowärmeanlagen“ wie Boiler, Kühlschränke oder Fernseher (Schluss mit dem Stand-by-Betrieb) Umwelt-Mindeststandards vorzuschreiben. Von der Glühbirne ist, damals jedenfalls, noch nirgendwo die Rede. Am 13. April 2005 segnet das Europäische Parlament die Ökodesign-Richtlinie ab. Doch damit legt es zugleich die gesetzliche Grundlage für das Glühbirnen-Verbot.

Australien preschte voran – da muss Europa mithalten

Das Aufeinandertreffen von zwei Ereignissen ist es, das knapp zwei Jahre später für ein sehr plötzliches Aus der Edison-Lampe in Europa sorgt. Am 20. Februar 2007 kündigt, erstens, die australische Regierung an, bis 2010 ein Glühbirnenverbot durchzusetzen. Wenige Woche zuvor hat, zweitens, die deutsche Bundesregierung in Brüssel die EU-Ratspräsidentschaft übernommen – und ein ambitionierter Umweltminister erkennt das Potenzial zum Durchregieren, das die Gesetzgebungsmaschine Brüssel eröffnet.

„Wir haben uns gefragt, warum die Australier das so schnell hinkriegen und wir nicht“, heißt es rückschauend im Bundesumweltministerium. „Ist die Europäische Union etwa zu schwerfällig für effektiven Klimaschutz?“ Noch im Februar 2007, nur wenige Tage nach der australischen Entscheidung, schreibt Gabriel einen Brief an den Brüsseler Umweltkommissar Stavros Dimas. Der Niedersachse macht Druck.

„Die durch die australische Regelung initiierte Diskussion um Energiesparlampen“, erscheine ihm, schreibt Gabriel, „durchaus interessante Möglichkeiten aufzuzeigen. (…) Durch die Umstellung von herkömmlichen Glühbirnen auf Energiesparlampen“ könnten in Europa 25 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden. „Der Standort Europa kann sich eigentlich keine Produkte mehr leisten, die wie herkömmliche Glühbirnen einen Effizienzgrad von nur 5% aufweisen.“ Gabriel bittet den Kommissar „rasch“ für entsprechende „Durchführungsmaßnahmen“ zu sorgen. Als Vehikel für das Verbot, schlägt Gabriel vor, soll die Ökodesign-Richtlinie dienen.

Auf den Fluren der EU-Hauptstadt entwickelt der Vorschlag eine ungeahnte Dynamik. Gabriel hat eine Kugel abgestoßen, die mit ungebremster Wucht durch die Büros der Kommission rollt. Das ehrgeizige Ziel, den CO2-Ausstoß Europas bis 2020 um 20 Prozent zu drosseln, hat die EU erreicht, wenn es gelingt, jährlich 780 Millionen Tonnen CO2 einzusparen. Das Verbot der Glühbirne würde etwa 15 Millionen Tonnen bringen, rechnen Kommissionsbeamte aus. Nicht viel, aber immerhin ein Beitrag. Auf der anderen Seite steht der Verlust des wohligen Lichtes, das viele Menschen an der Glühlampe schätzen.

Ob die 500 Millionen Europäer bereit sind, dieses Opfer für einen vergleichsweise geringen Beitrag zum Klimaschutz zu bringen, wird niemals in irgendeinem Parlament oder öffentlichem Forum diskutiert. Die Entscheidung treffen wenige Regierungsvertreter, Beamte und Auschussvertreter. Das Glühbirnenverbot ist ein Spiel über Bande, vorbei am Souverän.

„Es lief eher informell an“

„Es lief eher informell an“, erinnert sich ein Mitarbeiter von Sigmar Gabriel. „Aber nach dem Brief an Dimas war die Sache ein Selbstläufer. Wir waren überrascht, wie schnell die EU funktionieren kann.“ Schon auf Europäischen Frühjahrsgipfel am 9. März 2007 bekommt – unter Federführung von Bundeskanzlerin Angela Merkel – die Kommission das formale Mandat, die Glühbirne aus dem Verkehr zu ziehen. Die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedsländer beschließen einstimmig einen „Aktionsplan Energiepolitik“.

Ob sie wussten, was sie damit genau taten, ist fraglich. Unscheinbar, im Kleingedruckten des 25-seitigen Gipfelkommuniqués, ersuchen die Staatschefs die Kommission, „rasch Vorschläge vorzulegen, damit strengere Energieeffizienzanforderungen (…) für Glühlampen (…) bis 2009 festgelegt werden können.“ Zu klein, zu knapp, zu verschwurbelt – die Glühbirne schafft es auch diesmal nicht, zum kontroversen Politikum zu werden. „Ich erinnere mich während unserer Ratspräsidentschaft nicht an eine einzige Pressenachfrage dazu“, sagt ein deutscher Diplomat. „Das war während der wilden sechs Monate nur eines von vielen Lichtern, die kurz aufflackerten und dann unter dem Laub weiter glühten.“

Nach dem Okay der Staatschefs macht sich die EU-Kommission an die Normenarbeit. Dazu dient ein Prozess, der sich „Komitologie“ nennt. Um sich später keine Kritik aus den Mitgliedsstaaten anhören zu müssen, beteiligt die Kommission bei der Umsetzung von Ratsbeschlüssen möglichst viele Vertreter von Interessengruppen und nationalen Fachexperten – Komitees eben.

Halogenlampen stehen auf der Kippe

Es schlägt die Stunde der Glühfädenmesser. Fachleute aus mehreren EU-Ländern, unter anderem Mitarbeiter des Hamburger Instituts für Ökologie und Politik, kurz Ökopol, machten sich daran, Effizienzgrade zu diskutieren und nach sinnvollen technischen Alternativen zur Edison-Birne zu suchen. Dabei ging es letztlich darum, Hilfe für die politische Entscheidung zu leisten, wann welche Lampenart aus dem Verkehr gezogen werden sollte.

„Die Auswahl zu treffen ist ein zähes Tauziehen, besonders mit den Herstellern“, berichtet der Ökopol-Mitarbeiter Dieter Großmann, ein promovierter Physiker. „Philips und Osram waren natürlich nicht besonders erfreut, dass sie ganze Produktionslinien stilllegen müssen.“ Um jede Birne, um jedes Watt, so Großmann, sei gerungen worden. „Eine Frage war auch: Sollen Halogen-Lampen mit auf die Verbotsliste?“ Das Ergebnis: ja. Ab 2012 werden auch sie aus dem Verkehr gezogen – es sei denn, die Industrie verpasst ihnen bis dahin einen besseren Wirkungsgrad.

Ein „Knackpunkt“, sagt Großmann, sei in der Tat die Frage gewesen, ob Energiesparlampen angesichts ihres Quecksilberanteils wirklich die bessere Ökobilanz aufwiesen. Immerhin bringen laut deutschen Studien bisher nur 20 Prozent aller Verbraucher alte Energiesparlampen zum Sondermüll, und jede von ihnen enthält ungefähr 5 Milligramm des Schwermetalls.

Doch die EU-Kommission gelangt zu dem Schluss, das sei immer noch ein Fortschritt: „Selbst im ungünstigsten Fall“, versicherte Energiekommissar Andris Piebalgs auf eine Anfrage der FDP-Europaabgeordneten Silvana Koch-Mehrin, „wenn eine Kompaktleuchtstofflampe zur Mülldeponie gebracht würde, hat sie während ihrer Funktionsdauer bereits mehr Quecksilberemissionen aus der Stromproduktion in Kohlekraftwerken eingespart als ihrem eigenen Quecksilbergehalt entspricht, so dass die Quecksilberverschmutzungsbilanz insgesamt positiv ist.“

Aber was passiert, wenn Energiesparlampen daheim zu Bruch gehen?

Am 28. März 2008 tritt in Brüssel ein weiterer beratender Ausschuss der Kommission zusammen. Das Gremium nennt sich „Konsultations-Forum“ und ist besetzt mit etwa 80 Vertretern von Regierungsbehörden, Umweltschutzgruppen und Industrie. Besser beschrieben wäre die Gruppe allerdings als supranationales Abnickungsorgan. Mit im Zimmer sitzt Christoph Mordziol vom Umweltbundesamt, als weitläufiger Vertreter des Umweltministeriums. Auch das von Michael Glos (CSU) geführte Bundeswirtschaftsministerium hat (in Gestalt eines Vertreters der Bundesanstalt für Materialforschung und –prüfung) einen Beauftragten zu dem Treffen geschickt. Beide Beamten erklären erwartungsgemäß, sie „heißen die Einführung von umweltgerechten Pflichtanforderungen für allgemeine Beleuchtung willkommen und unterstützen sie.“ Überhaupt, niemand spricht sich während der Sitzung gegen die Abschaffung der Glühbirne aus. „Alle Interessenvertreter stimmen darin überein, dass Kompaktleuchtstofflampen die derzeit effizienteste (…) Technik darstellen, um Glühlampen zu ersetzen“, hält das Protokoll fest.

Nicht einmal die „Vereinigung professioneller Lichtdesigner“ (PLDA) widerspricht dem Glühlampenbann. Ihre Mitglieder hatten zwar zuvor in der Öffentlichkeit und im Europaparlament massiv gegen das Birnenverbot opponiert. Und auch nun, in der entscheidenden Fachsitzung in Brüssel, fragt die PLDA noch einmal kritisch nach, ob die medizinischen Bedenken, die immer wieder vorgebracht werden, hinreichend in Rechnung gestellt worden seien. Doch am Ende beschließt das Konsultations-Forum, mögliche Gesundheitsrisiken erst einmal abzuwarten: „Die Kommission willig ein, dass Alternativen zu Kompaktleuchtstofflampen erörtert werden müssen, falls sich bestätigt, dass Gesundheitsprobleme mit der verwendeten Beleuchtungsart zusammenhängen.“

Arbeitsgruppen ohne Opposition

Die Tatsache, dass auch viele gesunde Bürger das Kunstlicht schlicht als eklig und ungemütlich empfinden, bringt keiner der Teilnehmer auf. War den Arbeitsgruppen-Mitgliedern damals überhaupt klar, wie emotional viele Europäern an der herkömmliche Glühbirne hängen? Dass sich eine Wut auf die „Beglückungsgesetzgeber“ in Brüssel bahnbrechen würde wie seit der Gurkenkrümmung nicht mehr? Christoph Mordziol überlegt eine Weile. „Puh“, sagt er dann. „War mir das klar? Ich weiß offen gesagt nicht mehr, ob ich die Sache damals so emotional eingeschätzt habe. Klar, dieses Licht kann auf das Unterbewusstsein und auf den Hormonhaushalt wirken. Aber es bleibt ja womöglich die Halogenlampe.“ Dann redet Mordziol in unverfolgbarem Tempo über ungerichtetes und gerichtetes Licht, über Wärmespektren und Strahlungsradien. Der Mann ist Ingenieur, kein Politiker.

Am 8. Dezember 2008 passiert das Glühbirnenverbot die letzte Hürde der „Komitologie“, eine Anhörung im semi-national besetzten Regelungsausschuss. Was jetzt noch fehlt, ist ein Plazet durch das Europaparlament (EP). Genauer gesagt, durch den Umweltausschuss des EP.

Das Europaparlament will die Sache nicht debattieren

Am 17. Februar 2009 eröffnet sich dessen Mitgliedern die Chance, das Glühbirnenverbot endlich dorthin zu ziehen, wo es hingehört. Heraus aus den Dunkelkammern von Regierungstreffen und oppositionslosen Fachgremien, hinein in die öffentliche, politische Arena. Doch die 58 Mitglieder des Ausschusses beschließen, die Chance nicht zu nutzen.

Mit 44 zu 14 Stimmen entscheiden sie sich dagegen, die veränderte Verordnung noch einmal dem Parlaments-Plenum zur Debatte vorzulegen. Die Sozialdemokraten stimmen bis auf einen Abgeordneten mit nein. Die Grünen sind geschlossen dagegen. Von den 22 Vertretern der Konservativen wollen 12 die Sache über die Bühne bringen, 10 votieren für eine Plenumsbefassung. Von den acht liberalen EU-Abgeordneten stimmt lediglich einer für einen Einspruch, der Deutsche Holger Krahmer aus Leipzig.

„Mein Argument war: Es ist nicht richtig, wenn die EU per Verwaltungsakt eine so weitreichende Entscheidung trifft“, erinnert sich Krahmer. „Das Argument der Sozialdemokraten und der Grünen war: Es geht um den Klimaschutz! Ich solle aufhören, populistisch daher zu reden.“

Krahmer reiht das Glühbirnenverbot in eine besorgniserregende Entwicklung ein. In die eines zunehmend administrativen Politikstils innerhalb der EU. „Die Kommission versucht immer häufiger, trickreich und versteckt scheinbar technische Entscheidungen im Komitologie-Verfahren zu treffen. Das ist kein gesunder Trend.“ Warum, fragt der Liberale, darf bei der Glühbirne nicht eintreten, was bei Kühlschränken längst funktioniert – dass die Verbraucher ganz selbstverständlich das sparsamere Modell wählen, falls es genau so gut aussieht und sich über die Stromkosten rechnet.

Doch weitere Diskussionen sind nicht erwünscht. Am 17. April 2009 tritt Verordnung 244/2009 in Kraft. Das Ende der Glühbirne ist besiegelt. Das Ende des Ökodesigns ist es noch lange nicht. Nur eine Woche später, am 24. April 2009, beschloss das Europäische Parlament eine Ausweitung der Energieeffizienz-Richtlinie, und zwar auf alle „energieverbrauchsrelevanten Produkte.“ – „Ich habe eine Vision“, erklärte Energiekommissar Günter Verheugen (SPD) im Europaparlament. „Eine Vision, wie das europäische Produkt der Zukunft aussehen soll. Das europäische Produkt der Zukunft, gekennzeichnet durch ein Made in Europe, sieht so aus, dass es das innovativste, das sicherste und zugleich das energieeffizienteste und das ressourcenschonendste Produkt ist.“

Im Klartext: Als nächstes kümmert sich die EU um den Duschkopf.