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Die Freiheit nahm es sich

 

Das Europaparlament schont Berlusconi. Ein Glück, genau besehen

Die Mehrheit des Europäischen Parlaments hat gestern mehrere Resolutionen verworfen, die auf mangelnde Medienfreiheiten in Italien aufmerksam machen wollten. Das war gut so.

Denn in den Anträgen ging es nur vordergründig um die skandalöse Machtballung, die Silvio Berlusconi sich in Rom erlaubt. Sozialisten, Grüne und Liberale wollten vielmehr die EU-Kommission dazu aufrufen, die Medienvielfalt in Europa zu regeln. Damit würde die  EU allerdings ihre Kompetenzen überschreiten. Denn Medienpolitik ist, gerade weil sie so wesentlich ist für das Funktionieren der Demokratie, nationale Angelegenheit. Das sollte auch so bleiben.

Von allen vorgebrachten Vorschlägen scheiterte der Entwurf der Liberalen mit 338 Ja-, 338 Nein-Stimmen und 8 Enthaltungen am knappsten. Unter Verweis auf die „Risiken der Verletzung der Meinungs- und Informationsfreiheit in der EU, besonders in Italien“, hatten die Liberalen die EU-Kommission auffordern wollen, eine „Richtlinie“ zur Gewährung journalistischer Pluralität zu erarbeiten.

Die EVP-Fraktion, der auch die deutschen CDU-Abgeordneten angehören, stimmte dagegen. Daraus kann allerdings nicht geschlossen werden, dass die Unionsleute Herrn Berlusconi vor Kritik in Schutz nehmen wollten. Ihnen passte, so versichern sie, bloß der Nexus zwischen der Verurteilung Italiens und dem Ruf nach europäischer Gesetzgebung nicht.

„Das Thema ist nichts für die EU-Ebene“, sagt der deutsche EVP-Sprecher Thomas Bickl. „Die Presse- und Medienfreiheit ist in jedem Land garantiert. Deshalb muss sie auch jedes Land gewährleisten.“

Das sah sogar die zuständige EU-Kommissarin für Medien, Viviane Reding, so. Verkehrte Welt im Straßburger Plenarrund. Die Luxemburgerin versuchte den Parlamentariern verzweifelt klarzumachen, dass es diesmal nun wirklich nichts zu regeln gebe. Originalton Reding:

„Sie wissen, dass ich keine Kommissarin bin, die ein Problem mit Regulierung hat. Aber würde Gesetzgebung die Probleme lösen, die Sie bewegen? Könnten wir eine solche Gesetzgebung unter den bestehenden EU-Kompetenzen rechtfertigen? Besteht hier eine klare grenzüberschreitende Dimension?“

Es sind genau diese Testfragen, die sich das Europäische Parlament viel häufiger stellen sollte. Im Fall der Medienfreiheit lauten die Antworten: Nein. Nein. Und nein.

Natürlich ist es nicht hinzunehmen, dass der italienische Ministerpräsident zugleich der mächtigste Medienunternehmer des Landes ist. Aber die gefragten Instanzen, um dies zu ändern, sitzen nicht in Brüssel. Es ist zuerst der italienische Wähler. Dann die italienischen Gerichte. Mag sein, dass die richterliche Unabhängigkeit in Italien nicht gewährleistet ist. Aber das wird eine EU-Richtlinie zu Medienpluralismus nicht ändern. Wenn der Rechtsstaat unter Berlusconi nachweisbar erodiert, kann und sollte die EU mit ganz anderem Kaliber feuern. Sie könnte, initiiert durch das Europäische Parlament übrigens, Italien das Stimmrecht im Europäischen Rat entziehen.

Was hingegen auf nationaler Ebene repariert werden kann, muss auf nationaler Ebene repariert werden. Die Verstrickungen von Medien und Parteien  in den 27 EU-Mitgliedsstaaten sind zu länderspezifisch als dass Bürokraten in Brüssel sie sachgerecht entflechten könnten. Sicher, es gibt Probleme, nicht nur in Italien. Es gibt sie in Ungarn. In Rumänien. In Bulgarien. Auch in Frankreich und Deutschland. Aber soll sich wirklich die EU-Kommission künftig um die Grenzen der Beteilung, der, sagen wir mal, SPD an der Frankfurter Rundschau oder der WAZ  kümmern? Wollen wir das nicht doch vielleicht besser der nationalen Politik, den nationalen Parlamenten und Öffentlichkeiten überlassen?

Axel Heyer, der Pressesprecher der Liberalen im Europäischen Parlament, hält dagegen. „Die Pressefreiheit ist nun einmal ein europäischer Wert. Das Parlament muss sich dann schon die Freiheit nehmen können, die Dinge zu kritisieren. Wir können schlecht Resolutionen zur Lage in Burma erlassen, zu unseren eigenen Problemen aber schweigen.“

Das verlangt allerdings niemand, im Gegenteil. Dem Europäischen Parlament stünde es völlig frei, Silvio Berlusconis Medienpolitik ebenso durch eine Resolution zu verurteilen wie Unrecht in ferneren Gefilden. Ein solcher Vorstoß, ohne gleichzeitige Gesetzgebungsabsicht, wäre sogar hoch willkommen. Auch deshalb, weil er entlarven würde, wer sich in Straßburg wirklich traut, das Angemessene zu sagen.

Wir bleiben gespannt.