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Europa baut sich einen gemeinsamen Diplomatischen Dienst. Und vergibt eine Chance

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Baustelle Europa-Viertel

Hunderte Beamte, Parlamentarier und Diplomaten schrauben dieser Tage an etwas Großem auf Brüssels Behördenfluren. An etwas, das dem Kontinent eine ganz neue Gestaltungsmacht verleihen soll. Die Vision ist niedergeschrieben in Paragraf 27 Absatz 3 des Lissabon-Vertrages. Ein „Europäischer Auswärtiger Dienst“, heißt es dort, soll dem künftigen Europäischen Außenminister zuarbeiten. Noch bleiben die Dossiers zum europäischen Botschafter-Corps politische Verschlusssachen, der Vertrag muss schließlich erst Anfang nächsten Jahres in Kraft treten. Dann aber soll Europas Außenpolitik endlich zu jener Größe finden, die ihr  – nach verbreiteter Brüsseler Ansicht – schon längst zusteht.

Mittagszeit im Europa-Viertel. Trennschleifer jaulen durch die Häuserschluchten. Platz muss her für neue Gebäude. Europa ist von 15 auf 27 Ländern und 495 Millionen Bürger angewachsen in den vergangenen fünf Jahren, und immer selbstbewusster versteht sich der alte Kontinent als neuer Global Player. Denn weltweit steigt die Nachfrage nach Krisenmanagement, sei es an Rändern Russlands, im Herzen Afrikas oder auf den Schifffahrtswegen der Meere. Gleichzeitig fallen die traditionellen Sicherheitsdienstleister immer öfter aus. Die Vereinten Nationen? Chaotisch. Die Vereinigten Staaten? Brutal. Bleibt das Vereinte Europa.

Und hat diese EU nicht einen guten Vermittlerjob geleistet, vergangenes Jahr in Georgien? Dieses Jahr in der Weltfinanzkrise? Darf’s nicht ein bisschen mehr sein von Konfliktbewältigung à la Brüssel?

Am Bürgersteigtischchen eines italienischen Restaurants sitzt eine junge Deutsche und gerät ins Schwärmen. „Der multinationale Diplomat! 27 Länder vertreten!“, sagt sie und macht große Augen, „das wäre doch eine ganz andere Hebelkraft!“ Attraktive Karriereoption sehen derzeit viele Attachées im neuen EU-Dienst. Energisch schneidet die Dame ihre Pizza in Stücke. „Die Ersten, die da rein kommen, können ziemlich stolz sein.“

Doch wäre ein EU-Botschafter in Peking oder Neu-Delhi tatsächlich ein Vertreter aller 27 EU-Länder? Oder eher einer für keines? Welches EU-Land, anders gefragt, würde seine Botschaft zugunsten einer EU-Vertretung aufgeben?

„Ich sehe noch lange nicht, dass das passiert“, gesteht Benita Ferrero-Waldner, die EU-Kommissarin für Auswärtige Beziehungen. Schon heute kümmern sich 130 Delegationen der EU in aller Welt um Entwicklungshilfe, Außenhandel und Nachbarschaftspolitik, sprich: um klassisch weiche Außenpolitik. Etwa 6500 der rund 25 000 Kommissionsbeamten arbeiten für diese Abteilung, im Brüsseler Jargon Relex, Relations Extérieures, genannt. Ab dem nächsten Jahr könnte die Relex mit dem Posten des EU-Außenbeauftragten (derzeit Javier Solana) verschmelzen und die EU-Delegationen rund um den Globus in EU-Botschaften umgewidmet werden. Doch wo genau die Grenzen verlaufen sollen zwischen nationaler und supranationaler Diplomatie, das sei, so Ferrero-Waldner, „noch überhaupt nicht klar.“

Und genau hier beginnt der Traum von der europäischen Diplo-Offensive zu bröseln. Die EAD-Pläne entfalten keineswegs die Gravitationskraft auf die Außenämter der Mitgliedstaaten, die sich seine Brüssel Architekten erhofft haben. Zu eifersüchtig wachen die einzelnen EU-Länder über ihre Botschafter und Interessen. Schließlich bleibt die Außen-Repräsentation in möglichst vielen Staaten entscheidend für nationale Schlagkraft. Wenn es um Stimmgewichte in internationalen Organisationen geht, zum Beispiel. Oder darum, Geschäfte für die heimische Wirtschaft einzufädeln. Welches Land würde sich dabei auf die EU verlassen? Allen Absichtserklärungen zum Trotz droht der EAD in der Praxis schon jetzt das Gegenteil dessen zu produzieren was beabsichtigt war: Konkurrenz statt Kohärenz.

„In den Planungsrunden geht es derzeit vor allem um hochprotokollarischen Wer-sitzt-wo-Fragen“, sagt die Europaabgeordnete Franziska Brantner, die das Projekt EAD für die Grünen begleitet. „Eine der Hauptsorgen scheint zu sein, wer bei internationalen Konferenzen vor wem sprechen darf.“ Und natürlich die, wer welchen Posten bekommt. Die Bundesregierung ist vor allem darauf bedacht, sich gegen die Kandidatenlisten aus Kommission und Rat zu behaupten. „Wir wünschen uns natürlich schon eine unserem Gewicht angemessene Vertretung im EAD“, heißt es. Die entsprechenden Vorbereitungsseminare und EU-Kurse beim Auswärtigen Amt seien „intensiviert“ worden. Aber um bloß keinen Zweifel aufkommen zu lassen, wo Schluss sein muss mit europäischem Corpsgeist, stellt ein Sprecher des Auswärtigen Amtes klar: „Die Kompetenzen der Nationalstaaten im außenpolitischen Handeln bleiben absolut gewahrt.“

Die mit einem Sitz im UN-Sicherheitsrat ausgestatten Briten beäugen den EAD mit noch größerer Skepsis. William Hague, der in einer neuen Tory-Regierung Außenminister werden will, umwirbt offen andere Bundesgenossen. Das Commonwealth, sagte Hague unlängst, sei in letzter Zeit „vernachlässigt und unterbewertet“ gewesen. Großbritannien solle besser die Verbindungen zu Indien und anderen traditionellen Verbündeten stärken, statt sich an die Heilsversprechen eines Lissabon-Europas zu ketten.

Wie viel außenpolitische Harmonie kann ein Brüssel Diplomatiecorps bei so viel Argwohn und zementiert scheinenden Nationalinteressen realistischerweise erzeugen? Spanien, Griechenland und Rumänien werden demnächst wohl kaum – wie es der Rest der EU getan hat – das Kosovo anerkennen, bloß weil eine Brüsseler Zentrale möchte. Unwahrscheinlich auch, dass Italien, Österreich und Ungarn aufhören, die russische Gaspipeline South Stream zu unterstützen, bloß weil es eine hübschere „Koheränz“ schaffen würde, wenn sie sich an der europäischen Nabucco-Röhre beteiligten.

Ach, sagt Elmar Brok. Fehlender Gemeinschaftssinn sei nicht das Problem. Der entstehe schon in einer „Wertegemeinschaft“ wie Europa. Und zwar auf bewährter Brüsseler Art: Man nehme eine Idee, gieße sie in eine Institution, und lasse sie reifen. Notfalls Jahrzehnte lang. Das sei schon immer so gewesen. Trifft man Brok, den Brüsseler CDU-Veteranen, in seinem Büro im Europaparlament, bekommt man tatsächlich einen staubigen Respekt vorm langfristigen Integrationspotenzial europäischer Einzelspieler. Die Arbeitsstube besitzt die gefühlte Größe eines Schuhkartons, aber die Fotos an den Wänden künden von gesprengten Grenzen und neuen Horizonten. Helmut Kohl Hand in Hand mit Francois Mitterand. Willi Brand beim Kniefall. Adenauer bei Ben Gurion. „Was Europa jetzt braucht“, ist Brok überzeugt, „ist ein Außenbeauftragter, der sich seine Aufträge selbst erteilen kann, und der über einen Apparat verfügt, der es ihm erlaubt, diese Positionen auch umzusetzen.“ Einen Adenauer-Gründervater mit Brand-Visionen und Kohl-Kraft, sozusagen.

Aber gebe es vielleicht auch eine modernere Methode, um die schlummernden Kräfte Europas zu wecken? Jüngere Europapolitiker wie die Grüne Franziska Brantner denken ebenfalls groß. Aber anders. Die 30jährige glaubt an die Chance, den EAD zu einem Aushängeschild für effizienten Multilateralismus zu machen. „Europa braucht kein verstaubtes und überholtes Diplomatiekonzept aus dem 18. Jahrhundert, sondern einen Außendienst für eine smart power“, sagt Brantner. Dazu müssten die „drei großen Ds“ im Europäischen Dienst vernetzt werden: Diplomacy, Defense und Development. Mit dem EAD, glaubt Brantner, biete sich die Gelegenheit, das klassische Ressortdenken in den Hauptstädten zu überwinden. Herauskommen könnten Geschwindigkeiten und Ergebnisse, die die Nationen anzögen. Doch leider, klagt die Grüne, sei sie mit ihren Vorschlägen – etwa für eine gemeinsame europäische Diplomatenakademie – in der Bürokratie nicht recht durchgedrungen.

Und dass obwohl im Ratssekretariat der EU die Angst umgeht, einige EU-Staaten könnten versucht sein, den EAD als Halde für abgeschriebene Beamte zu nutzen. Nicht alle Länder schließlich bedienen sich so verfeinerter Auswahlverfahren wie Deutschland, und die windstillen Winkel von Auslandsmissionen eignen sich hervorragend für politische Abschiebungen. Oder für Nepotismus.

Der tatsächliche Mehrwert des neuen europäischen Botschafterdienstes dürfte sich daher auf absehbare Zeit auf bescheidene Effekte beschränken. Ein reeller Fortschritt wäre es schon, dass wenn Europa seine Stimme erhebt, dabei wenigstens keine Dissonanzen herauskommen. Mit Grausen erinnert sich mancher Eurokrat noch an den Winter 2008/2009, als während des Gaza-Krieges hintereinander ein egomanischer Nicolas Sarkozy, ein provokanter tschechischer Außenminister und ein weichspülender Europaparlaments-Präsident im Nahen Osten aufschlugen. Das war mehr Tourismus als Außenpolitik. Rechtzeitig vor solchen Gelegenheiten Strategien zu erarbeiten, die den Namen verdienen, statt Schauläufer für Verwirrung sorgen zu lassen, das wäre ein guter erster Schritt für ein EU-Diplomatenheer.