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„Ich bin nicht der deutsche Kommissar“

 

 Günther Oettinger versprüht bei seinem ersten Brüsseler Auftritt tatsächlich Energie

Anhörung OettingerNatürlich hat Angela Merkel den Mann nicht in erster Linie wegen seiner europapolitischen Kompetenzen nach Brüssel verfrachtet. Aber wer die Anhörung des künftigen EU-Energiekommissares Günther Oettinger heute vormittag im Europaparlament verfolgte, gewann dann doch einen überraschenden Eindruck. Der Begriff des schnellen Brüters, schien es nach dem dreistündigen Kandidatentest, muss ganz neu definiert werden.

Oettinger, so viel wusste man schon vorher, ist ein Fleißmensch. Doch der Schwabe versteht es offenbar nicht nur, sich binnen kurzer Zeit erhebliches Faktenwissen anzutrainieren. Die neue Materie, die er über die Weihnachtstage verinnerlicht hat, erreichte offenbar auch die kritische Masse, die notwendig ist, um Leidenschaftsreaktionen auszulösen. Mit Verve versprach der Noch-Ministerpräsident von Baden-Württemberg den Brüsseler Abgeordneten eine „offensive Politik“. Er wolle „neue Möglichkeiten ausloten“ für das Energieressort der Europäischen Union. Dazu gehöre es zum einen, die neuen Gesetzgebungsbefugnisse, die der Lissabon-Vertrag der Kommission übertragen hat, zu nutzen. Europa als einheitlichen Block gegenüber Öl- und Gaslieferanten aufzustellen, sei die zweite Herausforderung. Und schließlich wolle er die europäischen Leitungsnetze „ertüchtigen“, um die Bürger von liberalisierten Energiemixen profitieren zu lassen, so Oettinger.

Das Energiekommissariat ist, entgegen anderslautenden Gerüchten, eines der wichtigeren Brüsseler Ressorts. Es kann, in seiner marktwirtschaftlich Dimension, den Bürgern echten Mehrwert bringen, indem es den Wettbewerb unter den europäischen Anbieter anheizt. Es muss, in seiner strategischen Dimension, für Versorgungssicherheit sorgen, indem es der Erpressbarkeit Europas durch ausländische Anbieter entgegentritt (die EU bezieht über 50 Prozent ihres Energiebedarfs aus dem Ausland, einen Großteil davon aus Russland). Beides hat Oettinger erkannt. Sein Leitmotiv als Kommissar, machte er dem Parlament klar, lautet Vielfalt im Inneren und Einigkeit nach außen.

„Ich habe die Vision eines intelligenten europäischen Netzes“, beschwor Oettinger.  Und: „Die EU braucht eine gemeinsame Energieaußenpolitik statt nationaler Insellösungen.“

Auf Visionen springen Europaparlamentarier an. Auf den Verdacht, dass da nur jemand das Lehrbuch für Kommissionsanwärter studiert hat, weniger. Mehrfach flog Oettinger in Nachfragen der Verdacht entgegen, er könne sein Amt als Lobbyist der deutschen Energiekonzerne missbrauchen. Zu diesem Eindruck trug die anhaltende deutsche Medien-Diskussion darüber bei, ob Oettinger wohl in der Lage sei, auch  „deutsche Interessen“ in Brüssel zu vertreten. Tatsächlich müssen EU-Kommissare bei ihrem Amtsantritt allen nationalen Blickwinkeln abschwören. 

„Die Kommission übt ihre Tätigkeit in voller Unabhängigkeit aus. Die Mitglieder der Kommission dürfen (…) Weisungen von einer Regierung, einem Organ, einer Einrichtung oder jeder anderen Stelle weder einholen noch entgegennehmen. Sie enthalten sich jeder Handlung, die mit ihrem Amt oder der Erfüllung ihrer Aufgaben unvereinbar ist.“ So will es der Lissbaon-Vertrag(Artikel 17 Abs. 3 Sätze 2 und 3 EU-Vertrag).
 
Oettinger sah sich aufgrund der wiederholten Nachfragen gezwungen, hier besonders klar zu werden.

„Ich bin nicht der deutsche Kommissar“, entgegnete er auf entsprechende Vorhaltungen aus dem Lager der Sozialisten und der Grünen, „ich bin der von Deutschland vorgeschlagene Kommissar. Ich habe nicht die Absicht, Partei von deutschen Interessen zu sein.“ Und versicherte weiterhin: „Ich besitze keine Aktien von Eon, RWE oder Vattenfall. Trauen Sie mir die notwendige Objektivität und Unabhängigkeit bitte zu.“

Ob und welche Länder in die Atomenergie investierten, stellte Oettinger klar, sei deren Sache. Auch wenn er selbst die Kernkraft als „Brückentechnologie“ betrachte, es gehe die EU nichts an, welche demokratischen Entscheidungen in den Nationalstaaten getroffen würden. Die Frage der sicheren Endlagerung von Brennstäben indes sei sehr wohl eine, um die sich die Union kümmern müsse.

Noch glüht der Mann für seinen Stoff. Die Frage ist bloß, welche Halbwertszeit Oettingers Begeisterung für Europa hat. Der energiezehrende Brüsseler Apparat hat, nach leidenschaftlichen Starts, schon andere helle Köpfe ermattet.