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Zur Sache, bitte

 

Wo blieb die Ehrlichkeit in München?

Karl-Theodor zu Guttenberg traf einen tieferen Nerv als er wollte. „Wir reden zu viel und wir erreichen zu wenig“, sagte derVerteidigungsminister heute morgen vor der Münchner Sicherheitskonferenz. Eigentlich hatte er mit der Bemerkung nur die Reform der Nato gemeint. Doch der Befund gilt über einzelne Themen der Tagung hinaus. In München wurde mehr gebetet als bewegt. Die Konferenz, in anderen Jahren sehr wohl ein Klartext-Forum, geriet in wesentlichen Teilen zur Drum-herum-rede-Runde.

Weder im Atom-Streit mit Iran noch bei der neuen Weltbewegung Global Zero gab es mehr als rhetorisches Geruckel zu besichtigen. Im Falle des Iran mag man den Mangel an Ehrlichkeit noch der Teheraner Seite ankreiden; sein Außenminister gab schlicht keine belastbaren Signale von sich, die den Schluss erlauben könnten, Iran meine es ernst mit der Auslagerung der Urananreicherung.

Die Idee der weltweiten nuklearen Totalabrüstung derweil ist im Begriff  zum Opfer westlicher Denkfaulheit zu werden. Global Zero, das zeigte München, droht sich von einer ambitionierten Initiative zum Sekularreligions-Ersatz der Klimadebatte zu entwickeln. Das ist mindestens schade, denn die Bedrohlichkeit von sich verchaotisierenden nuklearen Abschreckungsmechaniken rund im die Welt steht außer Frage. Doch wenn die Reduzierungs-Bekenntnisse so leer bleiben wie bisher, werden sie bestenfalls in einem Nuklear-Kopenhagen enden.

Drei Jahre ist es her, dass Henry Kissinger und andere Elder Statesmen den Anstoß gaben, „das nukleare Feuer zu bändigen, bevor es uns verzehrt.“ Seitdem haben sich zwar immer mehr Staatschefs und Prominente von Hollywood bis Peking zu dem Ziel bekannt – doch mit eben so beeindruckender Beharrlichkeit weigert sich die vielleicht größte Friedensbewegung aller Zeiten, ihre Ambitionen zu rationalisieren und operationalisieren.

Ein Klang von Stings „Russians“-Song lag in der Luft, als in München auch der russische Außenminister Sergej Iwanow (5200 Sprengköpfe) versicherte, er wolle die Overkill-Potenziale vom Planeten zu verbannen. „Glaube ich wirklich an Global Zero?“, kam er schnell zum Kern der Sache. „Nicht in meiner Lebensspanne. Aber ist das ein Grund, uns nicht zu bewegen?“ John Kerry, Senator der anderen Nukleargroßmacht (5400 Sprengköpfe) sah das ebenso, gleichfalls Frank-Walter Steinmeier (0 Sprengköpfe). Bloß, wie lässt sich ein Spiel stoppen, deren Attraktivität andere Player entweder weiterhin anhängen oder die sie gerade erst entdecken?

Iran entzieht sich ganz offenbar der gewünschten Dynamik, sich von westlicher Abrüstung „nach unten mitreißen“ zu lassen. Das Regime schraubt, glaubt man jüngsten Medienberichten, vielmehr an moderner Sprengkopftechnik. Aus nämlichem Grund wird erstens Israel keine der Bomben, die es offiziell nicht besitzt, nicht aufgeben. Zweitens wird das sunnitische Saudi-Arabien (vielleicht auch Kuwait) einem nuklearen Shiiten-Hegemon eigene Raketen entgegensetzen wollen. Der Markt für den entsprechenden Einkaufszug steht offen; Atomphysiker aus Russland, Raketentechnik aus Nord-Korea, Zentrifugen aus Pakistan.

Apropos Pakistan: Der islamisische Staat (60 Sprengköpfe) setzt den regionalen Rüstungswettlauf mit Indien (50 – 60 Sprengköpfe, alle Schätzungen IISS) unbeeindruckt vom globalen Zero Talk fort. Beide Seiten sagen, sie würde ja gerne abrüsten – sofern die andere Seite anfange. Ägypten, um auf den Nahen Osten zurückzukommen, sagt derweil, es würde seine Atomwaffen-Absichten jederzeit begraben. Sobald Israel abrüste.

Global Zero würde also vor allem eins erfordern: Diplomatische Kärrnerarbeit in jedem einzelnen Schauplatz, wo Arsenale entweder wachsen oder zum betonierten regionalstrategischen Kalkül gehören.

Der Schlüssel zum einem glaubwürdigen Anfang liegt in Iran. Rüstet er auf, rüstet die Region auf. Rüstet die Region auf, ist das historisch-politische Momentum, das sich für die Totalabrüstung bietet, verloren. „Die Straße zu Global Zero führt nicht durch ein nukleares Teheran“, formulierte es John Kerry vorsichtig in München. Schon wahr. Aber welche Straße führt zu einem nicht-nuklearen Teheran? Vielleicht, hoffentlich, sind wir nächstes Jahr ein paar Meter weiter.