Es gibt eine Liste der Anti-Terror-Erfolge. Warum hat das Europäische Parlament sie nicht diskutiert?
Es ist die vielleicht wichtigste Abstimmung, die es je abzuhalten hatte. Das Europäische Parlament will morgen darüber entscheiden, ob weiterhin SWIFT-Überweisungsdaten aus Europa an die Vereinigten Staaten übermittelt werden dürfen.
Die Frage der Bankdatenübermittlung ist von einer rechtpolitischen Diskussion zu einer transatlantischen Grundsatzangelegenheit aufgewachsen. Während der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende appellierte Barack Obamas Sicherheitsberater James Jones an die Parlamentarier, das SWIFT-Abkommen nicht zu torpedieren; es unverzichtbar für die Terrorismusabwehr sowohl in den USA wie auch in der EU. Außenminister Hillary Clinton lud die EU-Politiker nach Washington ein. Dort wolle sie ihnen die Nutzen der Datenanalyse erläutern.
Doch um genau diesen Nutzen in Augenschein zu nehmen, hätten die EU-Abgeordneten nur wenige Meter zu Fuß gehen müssen. Im Brüsseler Ratsgebäue lag seit dem 1. Februar ein geheim gehaltener Bericht aus, der zehn Fälle auflistet, in denen SWIFT-Daten angeblich zur Aufklärung von Terrorangriffen oder islamistischen Netzwerken beigetragen haben. Zusammengetragen wurde die Liste von dem französischen Ermittlungsrichter Jean-Louis Bruguière, einem hartleibigen Terroristenjäger. Anders als die europäische Öffentlichkeit hatten EU-Parlamentarier Zugang zu dem Dokument. Doch in keiner der Debatten im EU-Parlament spielten die Fälle, die es auflistet, eine Rolle.
Der ZEIT liegt die Brugière-Liste vor. Die zehn Fälle, bei denen SWIFT-Daten demnach zu Ermittlungserfolgen geführt haben, sind:
1. Im Jahr 2006, zum 5. Jahrestag des 11. September, wollten islamistische Terroristen 12 Flugzeuge aus Europa über New York, San Francisco, Boston und Los Angeles zum Absturz bringen. SWIFT-Daten, so der Rats-Bericht, hätten nach den Anschlagversuchen „zu neuen Spuren geführt, Identitäten bestätigt sowie Beziehungen zwischen den einzelnen Verantwortlichen der Terrorplanung ausgemacht.“
2. Trotz gegenteiliger Behauptungen des Bundeskriminalamtes (BKA) und des Bundesinnenministers hätten im Sommer 2007 SWIFT-Daten noch vor der Festnahme der „Sauerland-Gruppe“ nicht nur die Konto- und Überweisungsdaten eines ihrer Mitglieder ermittelt, sondern auch ergeben, dass der Verdächtige Konten im Ausland unterhielt. Ebenfalls vor der Festnahme sei festgestellt worden, dass ein zweites Mitglied der Gruppe Finanzbeziehungen „mit Personen im Ausland“ unterhielt. Diese Informationen seien der Bundesregierung übermittelt worden.
3. Im Januar 2009 stellten US-Behörden Ermittlungen über eine Gruppe Amerikaner an, die mit Hilfe von al-Qaida einen Anschlag in der Vereinigten Staaten geplant haben sollen. Die Personen sollen mit einem mutmaßlichen al-Qaida-Mitglied in Dänemark in Verbindung gestanden haben. SWIFT-Daten hätten „Geldflüsse von und zu den drei Personen in den USA gezeigt.“ Sie hätten „wichtige Informationen enthalten, um neue Untersuchungsrichtungen zu eröffnen. Europäische Partner haben die Informationen auch für eigene Ermittlungen genutzt.“
4. Nach der Terrorattacke auf ein Hotel in Mumbai im November 2008 hätten SWIFT-Daten ergeben, dass mehrere Mitglieder der Lashkar-e-Tayyiba (LeT) „Verbindungen zu Personen und Organisationen in den USA und Europa“ unterhielten. Die Informationen seien den entsprechenden Regierungen zugeleitet worden.
5. SWIFT-Daten hätten einen Indonesier als Finanzchef der Terrorgruppe Jemaah Islamyah „entlarvt“. Sie hätten auch gezeigt, dass die Gruppe, die unter anderem bei einem Anschlag auf ein Hotel in Jakarta am 17. Juli 2009 neun Menschen tötete, Geldgeber in der Golfregion habe.
6. Als Reaktion auf einen Interpol-Sicherheitsalarm am 10. Februar 2009 seien SWIFT-Daten auf „85 Terroristen“ überprüft worden, die von der Regierung von Saudi-Arabien wegen Verbindungen „zu al-Qaida in Saudi-Arabien, dem Irak und Afghanistan“ gesucht wurden. „Die Ergebnisse entlarvten Decknamen, Namensvariationen und Finanznetzwerke von mindestens neun der Gesuchten. Mindestens eine der Personen könnte Finanzkontakte in mehrere europäische Länder unterhalten.“
7. Anfang 2009 hätten SWIFT-Informationen auf die Spur einer Person „in einem nordeuropäischen Land“ geführt, die Verbindungen zu al-Qaida unterhalten habe. Die Person habe einen Angriff auf ein Flugzeug geplant.
8. Ebenfalls 2009 hätten SWIFT-Daten zur Aufklärung eines Unterstützernetzwerks der asiatischen LeT gedient.
9. Ende 2008 seien SWIFT-Daten genutzt worden, um „Beziehungen erkenntlich zu machen“ zwischen ranghohen Mitgliedern von al-Qaida-affiliierten Gruppen in Südost-Asien.
10. Mitte 2009 hätten SWIFT-Daten Informationen über Mitglieder der baskischen Terrorgruppe Eta ergeben. Diese Informationen seien „europäischen Regierungen“ zugeleitet worden.
Warum haben die Europa-Parlamentarier nicht auf Basis dieser (angeblichen) Fakten über das Swift-Abkommen diskutiert? Wie belastbar die Liste ist, insbesondere wie maßgeblich der Anteil von SWIFT-Erkenntnissen an den Ermittlungserfolgen wirklich war, wie neutral ein Gutachter wie Bruguière ist, wäre weitere Fragen wert. Sie wurden bis heute nicht gestellt, weder in Brüssel noch in Straßburg.
Das EU-Parlament verknüpft ein höheres Interesse mit der SWIFT-Abstimmung als ein rein datenschutzrechtliches. Viele seiner Mitglieder wollen die Gelegenheit nutzen, um zu zeigen, dass das Parlament unter den Regeln des Lissabon-Vertrages ein vollwertiger Mitspieler im europäischen Gesetzgebungsprozess sein muss. Dieses Interesse ist berechtigt. Die Art und Weise aber, wie das Parlament versucht sich zu emanzipieren, spricht nicht für seine Reife.