Wie lässt sich ein Scheitern der Nato in Afghanistan noch verhindern? Ein Gespräch mit General Egon Ramms
Der deutsche Viersterne-General Egon Ramms, 61, ist einer der ranghöchsten deutschen Soldaten. Er leitet das Operationshauptquartier der Nato im holländischen Brunssum. Auf diesem Posten ist er Vorgesetzter des Isaf-Oberbefehlshabers Stanley McChrystal.
Herr Ramms, die Bundeswehr soll in Nord-Afghanistan mehr Präsenz zeigen. Gleichzeitig schicken die Vereinigten Staaten 2500 Soldaten ins deutsche Zuständigkeitsgebiet. Können es die Deutschen einfach nicht?
So würde ich es nicht sagen. Aber: Bei uns in Deutschland sind Entscheidungen zum Einsatz in Afghanistan zum Teil entlang innenpolitischer Verträglichkeiten gefällt worden. Es ging, auch jüngst bei der Londoner Konferenz, in erster Linie darum, wie Entscheidungen der Bevölkerung vermittelt werden konnten. Erst in zweiter Linie interessiert, was für unseren Auftrag in Afghanistan tatsächlich notwendig ist.
Was wäre denn notwendig?
Notwendig wäre, wenn wir in die Fläche gehen wollen, den Soldaten entsprechende Fähigkeiten mitzugeben, zum Beispiel Aufklärungsmittel wie moderne Drohnen und ausreichend viele Transporthubschrauber. Jetzt bekommen wir Letztere von den Amerikanern. Deutschland trägt im Norden die Führungsverantwortung. Die Bundesregierung muss den Soldaten die Wahrnehmung dieser Rolle auch ermöglichen.
Das klingt, als hätten Sie Verständnis für den oft gehörten Vorwurf innerhalb der Nato, die Deutschen seien eine Drückeberger-Nation.
Nein. Vor ein paar Jahren mag der Vorwurf teilweise berechtigt gewesen sein. Mittlerweile führen wir im Norden Aktiv-Operationen zusammen mit den afghanischen Streitkräften. Was nach wie vor stimmt, ist, dass wir mehr rechtliche Klarheit darüber brauchen, was die deutschen Soldaten im Einsatz dürfen und was nicht. Die Rechtslage für die Bundeswehr stammt noch aus dem Kalten Krieg. Damals waren solche Szenarien, wie wir sie heute erleben, nicht vorauszusehen. Auch nach der für mich unerwarteten Klarstellung durch den Außenminister, dass es sich in Afghanistan um einen Bürgerkrieg handelt, eine Klarstellung, die ich sehr begrüße, gibt es noch weiteren Handlungsbedarf. Was bedeutet das für die Soldaten? Sie brauchen konkrete neue Anweisungen.
Wann war Ihnen eigentlich klar, dass die Lage im Norden keineswegs so ruhig war, wie dies das Verteidigungsministerium in den vergangenen Jahren vermitteln wollte?
Ich hatte im Mai 2007 ein Gespräch mit dem Kommandeur des Wiederaufbauteams in Kundus, und er hat mir erklärt, dass es notwendig sei, gegen die Aufständischen in dem Gebiet vorzugehen. Später, so seine Einschätzung, würden wir dazu wesentlich mehr Kräfte brauchen. Die Erkenntnis über die Lage dort oben hatten wir also schon damals.
Hat die Bundesregierung auf diese Lage aus Ihrer Sicht angemessen reagiert?
Im Jahr 2007 habe ich keine Reaktion feststellen können. 2008 und 2009 ist dann durch Truppenverstärkungen und durch die Entsendung der Quick Reaction Force der Entwicklung, ich möchte mal sagen, zu Teilen Rechnung getragen worden.
Nur zu Teilen? Heißt das, der Luftangriff auf die beiden Tanklaster im vergangenen September wäre vermeidbar gewesen, wenn der deutsche Oberst Klein andere Einsatzmittel zur Verfügung gehabt hätte? Kampfhubschrauber zum Beispiel?
Ich möchte nicht in eine laufende Untersuchung eingreifen. Selbstverständlich könnte die Palette der Wirkungsmöglichkeiten deutlich erweitert werden. Möglicherweise helfen uns jetzt die Amerikaner weiter. Sie bringen Gerät in den Norden mit, das helfen kann, Kollateralschäden in der Bevölkerung deutlich zu minimieren.
Wie empfänglich war das Bundesverteidigungsministerium in der Vergangenheit eigentlich für Ihre Expertise?
Ich würde mir wünschen, dass man – gerade mit Blick auf meine Erfahrungen in ganz Afghanistan und mit den Menschen und ihrem Verhalten – das Ohr für meine Beiträge manchmal etwas weiter öffnen würde. Ich sehe einen Teil meiner Aufgabe auch darin, meinem Land sowie auch allen anderen beteiligten Nationen als Berater zur Seite zu stehen.
Mit welchen Gefühlen verfolgen Sie die deutsche Debatte um einen Rückzug aus Afghanistan?
Um ganz ehrlich zu sein: Als ich im Jahr 2007 meine Aufgabe in diesem Hauptquartier übernommen habe, habe ich den Gebrauch des Wortes Exit Strategy verboten. Ich habe es verboten, weil es an die Afghanen, an unsere Gegner aber auch an unsere eigene Bevölkerung die falschen Botschaften sendet. Die Afghanen empfangen die Botschaft ,Die wollen uns verlassen’, und die Aufständischen empfangen die Botschaft ,Die gehen bald – wir müssen nur warten’, und unsere eigene Bevölkerung glaubt ‚Diese lästige Angelegenheit ist bald vorbei!‘ Alle diese Botschaften vermitteln falsche, unrealistische Eindrücke.
Statt abzuziehen, soll das Bundeswehrkontingent nun erst einmal um 500 Soldaten aufgestockt werden, und die Soldaten sollen auch wieder Fußpatrouillen im Norden unternehmen. Bedeutet das nicht, dass es zwangsläufig mehr Tote geben wird?
Nicht zwangsläufig, nein. Das hängt von der Herangehensweise ab. Richtig ist aber: Das Risiko erhöht sich deutlich.
Ist das Isaf-Mandat eigentlich weit genug gefasst, um den selbst gesetzten Ansprüchen des „umfassenden Ansatzes“ gerecht zu werden? Gegenüber Drogenhandel und Korruption sind Nato-Soldaten machtlos.
Die Uhr in Afghanistan läuft gegen uns. Wenn andere Organisationen, die eigentlich zivile Aufbauarbeit leisten sollten, die gewünschten und erwarteten Ergebnisse nicht erzielen, kann Nicht-Handeln keine Alternative sein. Ich würde mir wünschen, dass die Nato in etlichen Bereichen politisch besser dazu befähigt würde, dieses Aufgabenspektrum abzudecken. Die Nato ist – leider – immer noch ein überwiegend militärisches Bündnis. Ich würde gerne Bataillone von zivilen Beratern in Nordafghanistan sehen, die den Einheimischen bei der Entwicklung und den Aufbau ihres Landes helfen. In Afghanistan bräuchten wir 5000 Polizeiausbilder, um das Ziel zu erreichen, das wir uns vorgenommen haben.
Moment mal – ein Top-Militär plädiert für weniger Militär?
Was mich in der Tat stört, ist, dass wenn wir über Afghanistan sprechen, sich der Blick immer reflexartig auf das Verteidigungsministerium und die Soldaten richtet. Das ist verkehrt. Der Anteil des Militärischen, an dem Ziel, das wir dort zu erreichen suchen, beträgt vielleicht 25 Prozent. Die anderen Anteile sind zivile Anteile. Bloß, für die ist den vergangenen Jahren nicht genug Personal zur Verfügung gestellt worden, und niemand hat sich wirklich verantwortlich gezeigt.
Präsident Karsai sagte bei der Münchner Sicherheitskonferenz, es werde nur noch fünf Jahre dauern, bis Afghanistan für seine eigene Sicherheit sorgen könne. Glauben Sie das?
Was die Sicherheit angeht ja. Aber wird Afghanistan bis dahin als Staat funktionieren? Nein.
Wäre es dann nicht sinnvoll, die Bundeswehr grundlegend umzubauen, hin zur einer Gendarmie-Armee, die beides kann: zivilen Aufbau und Kampfeinsatz?
Mit Blick auf den Bedarf in Afghanistan ist diese Frage mit einem eindeutigen Ja zu beantworten. Mit Blick auf das Grundgesetz und die außenpolitische Rolle, die ein Land wie die wiedervereinigte Bundesrepublik Deutschland eigentlich spielen müsste, muss man sagen: Nein. Vielleicht aber sollte die Weltgemeinschaft nach den Erfahrungen der vergangenen zwanzig Jahre, sei es Afghanistan, in Bosnien, im Kosovo oder jetzt in Haiti, darüber nachdenken, ob wir in Zukunft nicht generell viel mehr zivile Wiederaufbau-Kräfte vorhalten müssen.
Die Fragen stellte Jochen Bittner
Fotos: Carl Brunn für DIE ZEIT/www.carlbrunn.de