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In Wilders‘ Westen

 

Der Islamkritiker Geert Wilders wird Teil der niederländischen Regierung – ideell zumindest. Warum erklimmt ausgerechnet im liberalen Holland ein Populist solche Höhen?

Überall dieses seltsam hohe Wasser. Mehre Meter über der Erdoberfläche fließen die Kanäle durch die Landschaft, gehalten nur von schmalen Dämmen. Das Polderland, von frommen Christen entwässert und urbar gemacht, hat sich im Lauf der Jahrhunderte abgesenkt, der natürliche Puffer gegen das Meer ist dadurch verschwunden. Im Grunde, dämmert es einem auf der Reise zu dem Moslem, der seine Landsleute gegen die Springflut Geert Wilders mobilisieren will, sind die Niederlande eine große Leichtsinnigkeit.

Am 9. Juni wählten anderthalb Millionen Bürger des Königreiches einen Extremisten zum dritten Mann im Staate. Der zankige Jurist Wilders, der den Islam für eine politische Ideologie hält und den Koran mit Hitlers „Mein Kampf“ vergleicht, erhielt 24 der 150 Parlamentssitze in Den Haag. Nach fast dreieinhalb Monaten Koalitionsverhandlungen haben gestern Liberale (VVD, 31 Sitze) und Christdemokraten (CDA, 21 Sitze) entschieden, sich von Wilders’ „Freiheitspartei“ (PVV) tolerieren lassen. Wilders, das menschgewordene Ressentiment, wird zwar keine Minister in der neuen Regierung stellen, ihr aber dennoch, wenn man so möchte, ideell angehören. Ein Mann, der sagt „Es ist eine Schlacht im Gange, und wir müssen uns verteidigen“, wird umarmt vom bürgerlichen Lager – und er wird Gegenleistungen erwarten für seine Unterstützung der Minderheitsregierung.

Was ist los mit den Niederlanden? Wie kommt es, dass ausgerechnet in diesem fortschrittlichen, vermeintlich besonnenen und liberalen Land ein obsessiver Hitzkopf solche Höhen erklimmt?

„Etwas brennt in der Gesellschaft“

Henny Kreeft sitzt, ein Palästinensertuch um den Hals gewickelt, in der Kantine des Krankenhauses von Harderwijk, einem beschaulichen Hafenstädtchen vor den Toren Amsterdams. Vor einigen Jahren hat Kreeft die Moslims Partij Nederlands gegründet, um, wie er sagt, „eine  Gegenstimme gegen den Unsinn“ zu etablieren, die Wilders verbreite. Kreeft sucht eine Weile nach den richtigen Worten, um zu beschreiben, was gerade mit seiner Heimat geschieht. „Etwas brennt in der Gesellschaft. Nein, anders: Etwas schwelt unter der Oberfläche. Es geht nicht um den Islam. Es geht um den Zustand unserer Gesellschaft.“

Kreeft hat ein Gefühl dafür. Denn er war selbst Teil dieses Schwelens. Es erfasste die Niederlande schon lange vor Geert Wilders Erfolgen.

Anfang der 2000er Jahre trat der Muslim Henny Kreeft der Liste Pim Fortuyn (LPF) bei. Fortuyn, auch so ein schillernder Aufrüttler und Aufmischer des politischen Establishments, war auf dem besten Weg, einen unerwarteten Wahlerfolg einzufahren, als ihn im Mai 2002 ein militanter Tierschützer erschoss. Ob der Provokateur Fortuyn („Ich hasse den Islam nicht, aber ich finde, er ist eine zurückgebliebene Kultur“) sich als Regierungsmitglied lange hätte halten können, mag man bezweifeln. Bestreiten lässt sich bloß nicht, dass Fortuyn mit seiner Art, Probleme aggressiv zu benennen statt zu beschwichtigen, Millionen Niederländern aus der Seele sprach. Eben auch Henny Kreeft. „Fortuyn wollte ja die richtigen Dinge: Eine bessere Krankenversorgung, mehr Lehrer, mehr Sicherheit, mehr Polizei. Bei der LPF hatte ich im Übrigen überhaupt keine Probleme mit meiner muslimischen Identität. Jeder wusste und respektierte, wie ich dachte und lebte. Fortuyn wollte mehr Chancen für Muslime, er wollte sie integrieren statt ausgrenzen.“

Später trat Kreeft einer regionalen Splitterpartei der LPF bei. Doch als Geert Wilders die Bildfläche der niederländischen Politik betrat, sei auch diese Gruppe von einem regelrecht Islamhass erfasst worden. „Schließlich haben sie sich mich rausgeworfen.“

Der „faschistische“ Koran

Seither sieht es Kreeft als seine Bürgerpflicht, den immer schrilleren anti-islamischen Tiraden in den Niederlanden eine aufgeklärte muslimische Sicht entgegenzuhalten. „Wenn man einem Kind jeden Tag sagt, das Wasser ist blau, das Wasser ist blau“, sagt Kreeft mit leicht erschöpfter Miene, „dann glaubt das Kind das irgendwann, obwohl das Wasser in Wahrheit grün oder braun ist. Genau so redet Wilders mit den Holländern. Es ist schrecklich.“

Warum bloß hat der Polit-Guru aus Venlo einen solchen Erfolg damit? Über Holland breche ein „Tsunami der Islamisierung“ herein, behauptet er, der „faschistische“ Koran müsse verboten werden, ebenso neue Moscheebauten. Natürlich gibt es islamischen Extremismus in den Niederlanden, und natürlich hat der Mord an dem Filmemacher Theo van Gogh, verübt 2004 von einem blindwütigen Dschihadisten, das Land tief geschockt. Aber steht dieser Exzess für eine „Islamisierung“ des Landes? Wo sind sie denn, die ganzen Migranten?, fragen Migrationsforscher und legen Berechnungen vor, deren zufolge in der Bilanz Tausende von Türken, Marokkaner und Surinamer das Land.

Sicher, in Rotterdam, Utrecht oder Amsterdam verursachen vor allem Jugendgangs aus marokkanischen und türkischen Migranten Probleme. Aber ist daran wirklich eine Religion schuld? Oder sind die großen Angstmacher Jugendkriminalität, Machokultur und Inländerhass nicht vielmehr Folge einer illusorischen, allzu gutgläubigen Einwanderungspolitik? „Das am wenigsten Interessante an unseren Islamisten ist der Islam“, befindet der Amsterdamer Soziologe Abram de Swaan. Wenn das stimmt, gilt dieser Schluss dann nicht auch für die neuen Populisten? Ist das am wenigsten Interessante an Geert Wilders womöglich seine Islamfeindlichkeit? Stecken hinter dem Aufstieg des zornigen Blondschopfs in Wahrheit ganz andere, komplexere niederländische Ängste?

In den Häuserfassaden entlang der Amsterdamer Grachten hat es noch überlebt, das stolze, das selbstgewisse „Goldene Zeitalter“ der Niederlande. Als perfekte Stadt, als architektonische Widerspiegelung der Ordnung Gottes haben seine kalvinistischen Schöpfer Amsterdam im 17. Jahrhundert angelegt, gebaut auf festen Säulen, wie die niederländische Gesellschaft selber. Jahrhunderte lang wusste jeder Holländer, ob orthodox, reformiert oder freiheitlich, wo sein Platz war, welche Kirche er besuchte, welche Zeitungen er las, aus welcher Quelle er seine Werte zog. Und heute?

Holland kann nicht mehr neutral bleiben

In einem der prachtvollen Patrizierhäuser an der Herengracht, in einem hohen Raum mit religiösem Deckenbild, sitzt Geert Mak und kommt aus den Erklärungsversuchen nicht heraus. Der Erfolgsschriftsteller („In Europa“, „Das Jahrhundert meines Vaters“) hat die Seele seines Landes ausgelotet wie vielleicht kein zweiter. Und wie sie verstört ist!, lautet sein Befund.

„Natürlich ist die Angst vor dem Islam nur ein Symbol für seine tiefere Beunruhigung“, sagt Mak. „Die Niederlande waren immer ein kleines Land, aber zugleich waren wir der Globalisierung auch immer besonders stark ausgesetzt. Deswegen war es den Holländern immer wichtig, sich in Sturmzeiten in ihre Häuser, in ihre Ordnung zurückziehen zu können. Es mag paradox sein, aber es gab schon immer dieses Schisma zwischen Weltoffenheit und Provinzialität. Am liebsten“, sagt Mak und lacht, „wären wir immer eine Insel gewesen, wie Großbritannien.“

In den vergangenen Jahrzehnten sind genau die Rückzugsmauern zusammengebrochen, welche die Niederländer stattdessen gegen die Unbilden der Welt errichtet hatten. Ein eigentlich gesamteuropäisches Phänomen, Entkonfessionalisierung, die Auflösung sozialer Bindungen, Werteunsicherheit, all das trifft, sagt Mak, die Holländer besonders hart. Sie verlieren so schnell so viel, und die entstehenden Kontraste stechen ihnen stärker ins Auge als anderen Europäern: „1958 gehörte weniger als ein Viertel der Niederländer keiner Religionsgemeinschaft an, 2020 werden es voraussichtlich drei Viertel sein. Nur 1,2 Prozent der Bevölkerung nimmt sonntags an katholischen Gottesdiensten teil – die Zahl der Moscheebesucher ist inzwischen höher.“ Die neutrale Haltung, welche die friedens- und ordnungsliebenden Niederländern in beiden Weltkriegen einnahmen, sie lässt sich gegenüber der Globalisierung und den Migrationsströmen nicht mehr erklären. Wilders zu wählen, glaubt Geert Mak, bedeute für 15 Prozent der Niederländer nunmehr gleichsam, der Bedrohung der „Entholländischung“ den Krieg zu erklären.

Wie gefährlich ist all das? Zehn bis fünfzehn Prozent Abgehängte und Radikale gibt es in fast jedem europäischen Land. Können die ernsthaft Demokratie und inneren Frieden gefährden?

Ach was, sagt Hennie Kreeft. Demonstrativ schaut er sich in der Krankenhauskantine um. „Sehen Sie irgendwo Bodyguards? Ich brauche keine. Ich schlafe gut.“ Lass Wilders machen, lass ihn machen!, sagt Kreeft mit einer wegwerfenden Handbewegung. Er glaubt sogar, es diene den Interessen der Muslime, wenn Wilders noch eine zeitlang tobe. „Denn der Mann wird von seinem Sockel fallen.“

„Wir fühlen uns zu sehr im Recht“

Der Schriftsteller Mak ist da skeptischer. Das Problem sei, sagt er, dass die Niederländer zu sehr an ihren „Unschuldsmythos“ glaubten. „Die Deutschen haben aus der Geschichte der 30er Jahre gelernt, dass man sich an Extremismus gewöhnen kann, wenn er nach und nach einsetzt. Diese Erkenntnis teilen bei uns die wenigsten. Wir fühlen uns zu gut, zu sehr im Recht.“

Im Jahr 2000, als Jörg Haider in Österreich an der Regierungsbildung beteiligt wurde, entrüsteten sich die Niederländer lauter als andere Europäer. „Kann man einen Pyromanen als Feuerwehrhauptmann akzeptieren, nur weil er versichert, er sei ein wahrer Brandbekämpfer?“, fragten damals Politiker eben jener CDA, die sich jetzt anschickt, mit Wilders zu paktieren.

„Die Heuchelei und Feigheit der niederländischen Christdemokraten und Liberalen kotzt mich an“, entfährt es dem sonst so bedächtigen Geert Mak. „Diskrimierung und Rassismus, denken sie, ist immer nur ein Problem der anderen. Aber nein! Wir können sehr rassistisch sein.“ Er zögert ein bisschen, bevor er weiterspricht. Mit Holland, sagt er dann, müsse Europa diplomatisch jetzt das machen, was auch Holland immer gemacht habe: Scharfe Entrüstung zeigen – und Wachsamkeit.. „Ich finde es schrecklich und erniedrigend, aber ich muss es jetzt zum ersten Mal sagen: Ich hoffe in den kommenden Monaten auf internationale Aufsicht, auf Druck von außen. Wir brauchen das jetzt.“

Um zu verhindern, meint Mak damit, dass in Holland Dämme brechen.