Hollands Christdemokraten schließen einen Duldungsbund mit Geert Wilders. Ein verhängnisvoller Fehler, sagen Kritiker innerhalb der Partei
Arnheim
Memet Tekinerdogan kommt spät an die Reihe, aber was er sagt, sind
vielleicht die wichtigsten Sätze, die auf diesem Parteitag, dem größten der
niederländischen Geschichte, fallen. »Meine Tochter ist zwölf Jahre alt«,
sagt Tekinerdogan, als er in der schwülen Luft der Arnheimer Rheinhalle
endlich das Saalmikrofon ergattert hat, »und sie fragt mich: ›Papa, was ist
los in Holland? Hassen die Menschen uns jetzt alle? Nur weil wir Muslime
sind? Was haben wir denn getan?‹«
Genau eine Minute Redezeit blieb dem 44 jährigen Bauingenieur, um
Widerspruch einzulegen gegen den Sündenfall, den seine Partei, der
niederländische Christlich-Demokratische Appell (CDA), seiner Ansicht gerade
beging. Die Christdemokraten werden sich zusammen mit den Liberalen (VVD) in
Den Haag als Minderheitsregierung tolerieren lassen. Von Geert Wilders,
einem Politiker, der sagt: »Wenn die Leute den Islam so leben wollen, wie
ihn der Koran vorgibt, dann gibt es für sie keinen Platz in diesem Land.«
2759 der Delegierten des Sonderparteitages, knapp 70 Prozent, stimmten am
vergangenen Wochenende für die »Gedoogsteun«, die Duldung durch den Populisten, am
Dienstag willigte auch die Parlamentsfraktion ein. Die neue Regierung wird
ein wackliges Konstrukt, politisch wie rechnerisch. Konservative und
Liberale verfügen mit Wilders’ »Partei für die Freiheit« (PVV) über 76 der
150 Parlamentssitze, also über eine Stimme mehr als die Opposition.
Kein Wunder, dass der Vorsitzende der Christdemokraten, Maxime Verhagen,
seit Tagen angestrengt zu beschwichtigen versucht. Wilders, sagt er, werde
nicht Teil der Regierung sein. Es seien die Volksparteien, die in dem Trio
den »Ton setzen«.
„Tut das diesem Land nicht an!“
Verhagens Taktik funktionierte. Die Gegner des Zweckbündnisses erhielten in Arnheim zwar artigen Applaus. So auch der prominente CDA-Politiker Ernst Hirsch Ballin, scheidender Justizminister und Sohn von Holocaust-Überlebenden, der geradezu flehte : »Tut das diesem Land nicht an!« Am Ende siegte dennoch der Wunsch nach Regierungsmacht über die Prinzipien.
Richtig an Parteichef Verhagens Standpunkt ist, dass Wilders’ PVV keine
Minister stellen wird. Das unterscheidet den Fall Holland 2010 vom Fall
Österreich 2000, wo die Christdemokraten unter Kanzler Wolfgang Schüssel den
Kabinettstisch mit Jörg Haiders FPÖlern teilten. Richtig ist auch, dass
Wilders eher ein Sektenführer ist denn Chef einer ernsthaft organisierten
Partei. Die PVV hat nur ein Mitglied, Wilders, und wer eines der 24 über die
Parteiliste gewählten Mitglieder des Haager Parlamentes sprechen möchte, den
weist die Pressestelle mit empörtem Tonfall ab.
»Natürlich bekommt Wilders Einfluss, wir sind schließlich von ihm abgängig«,
kontert Cornelius Hulsmann die Argumente Verhagens. Hulsman ist
Parteimitglied seit 1980, als der CDA als Zusammenschluss calvinistischer,
protestantischer und katholischer Parteien gegründet wurde. Wilders
Handschrift lässt sich schon im Koalitionsvertrag nachlesen, wo sich seine
»Rettet den Westen«-Philosophie in Form eines Burka-Verbots und dem Plan zur
Verschärfung der Einwanderungsgesetze niederschlägt.
Und weil der Rechtspopulist sich zudem als der Rächer des kleinen Mannes versteht,
stemmte er sich auch gegen die Kürzung von Renten und Arbeitslosenhilfen.
»Wir wollen das Land dem arbeitenden holländischen Bürger zurückgeben!«,
fasste der Parteichef der Liberalen und künftige Ministerpräsident Mark
Rutte in bemerkenswerter Wortwahl den Konsens zusammen. Wilders Rhetorik
wirkt offenbar ansteckend auf die Koalitionäre, was sich stärker noch in den
Reihen des CDA niederschlägt. Beim Arnheimer Parteitag gab es anhaltenden
Applaus für einen Delegierten, der das neue Bündnis mit dem Argument
verteidigte, in Pakistan würden Christen verfolgt, »auch deshalb sollten wir
zusammenarbeiten«. Viele Skeptiker wiederum ließen sich von der Parole der
Parteiführung überzeugen, wonach die CDA auch und gerade zum Schutz vor zu
viel Wilderismus, im Land gebraucht werde.
„Wir bekommen eine neue Art von Apartheid“
Gerade dieses Argument bringt einen wie Hulsmann in Rage. Er macht sich seit
Jahren für einen Dialog mit dem vierten Glauben des Landes stark, dem Islam.
Und für eine offene Debatte über Probleme bei der Integration von Muslimen.
Aber Wilders, sagt Hulsmann, gehe es vor allem darum, die politische Mitte
auf einen grundsätzlich neuen Kurs zu zwingen. Er wolle ein feindliches
Menschenbild verbreiten, also den urholländischen Mut zum Einbinden in die
Angst vor dem Fremden verwandeln. Hulsmanns Ansicht teilen vor allem ältere
Mitgileder des CDA. Wenn Wilders, so fürchten sie, jetzt auch noch das
Gerichtsverfahren wegen Volksverhetzung gewinnt (dem in der Tat der Ruch
eines politischen Prozesses anhaftet), werde er obendrein als Held der
freien Meinung dastehen. »Wir begehen gerade Harakiri«, bilanziert der
CDA-Parteihistoriker P. G. Kroeger.
Regierungseuphorie und Untergangsstimmung – zwischen diesen beiden Extremen
schwanken derzeit die niederländischen Konservativen. »Eine neue Art von
Apartheid« prophezeit Jacques Duivenvoorden, CDA-Stadtvorsitzender von Den
Haag, seinem Land unter dem Einfluss von Geert Wilders »Die Wähler werden
uns weiter niederstimmen, weil sie sich bei uns Christdemokraten nicht mehr
zuhause fühlen. In den Städten, wo schon jetzt Segregation herrscht, werden
sie uns als erstes auslöschen.« In der Tat verlacht Wilders seine
bürgerlichen Bündnisgenossen als feige Weichlinge, die unfähig seien, den
Problemen der Zeit zu begegnen. »Das Kürzel CDA, das steht für ›Christliche
Diener Allahs‹«, spottet er.
Europas Nachbarregierungen schweigen auffällig laut zu dem, was sich in den
Niederlanden abspielt. Angela Merkel ließ schmallippig verlauten, sie
bedauere die Lösung. Darüberhinaus, so verkündete die Bundesregierung, freue
man sich auf »weitere enge Kooperation auf allen Ebenen mit dem
freundchsftlichen Partner Niederlande.« Frankreichs Staatspräsident Nicolas
Sarkozy sagte gar nichts – wohl wissend, dass er mit jeder Kritik an den
neuen Haager Verhältnissen die französischen Wähler am rechten Rand
verprellen würde, die er selbst so dringend braucht. Wilfried Martens, Chef
der Europäischen Volkspartei (EVP), der EU-Familie der Konservativen,
stellte klar, dass es auf europäischer Ebene keine Zusammenarbeit mit
Radikalen gebe werde – und dass er im Übrigen auf die »langen Tradition« des
CDA vertraue.
Europa schweigt
An diplomatische Sanktionen, wie sie vor zehn Jahren 14 EU-Regierungen
bilateral gegenüber Österreich verhängten, denkt heute niemand. Auch in der
Brüsseler EU-Verwaltung zeigt niemand auch nur einen Hauch von Streitlust.
Kommission und Rat sehen sich mit, wie sie finden, weit größeren Problemen
konfrontiert: mit Strafen für Haushaltssünder; mit einer französischen
Regierung, die gerade den Status von Roma als gleichberechtige europäische
Bürger in Frage stellt; und mit einem drohenden Finanzkollaps in Irland.
»Meine Kollegen in der EVP sind zur Zeit sehr höflich, gerade die
deutschen«, berichtet der CDA-Europaabgeordnete Wim van de Camp. Die
Wirtschaftskrise, die Angst der Baby-Boomer-Generation um ihre Rente, ihre
Jobs, die Sorge um Kriminalität, all das seien schließlich nicht nur
niederländische Phänomene. Außerdem wirke die konservativ-liberale
Regierungskoalition in Deutschland ja auch nicht gerade besonders stabil.
»Vielleicht«, sagt van den Camp, »ist es ganz klug von den Kollegen, im
Moment, wie wir auf Holländisch sagen, keine große Hose anzuziehen. Denn sie
wissen, was bei uns geschieht, kann auch bei ihnen passieren.«